„Das Tiermodell muss für die Forschungsfrage geeignet sein“
24.04.2025 - Interview mit HZI-Forscherinnen zum Internationalen Tag des Versuchstiers 2025
Wissenschaftler*innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen wichtige Mechanismen zur Entstehung von Infektionskrankheiten und wie diese behandelt oder verhindert werden können. Einige der Forschungsfragen können nur mithilfe von Tierversuchen beantwortet werden. Dr. Julia Port, Leiterin der Nachwuchsgruppe „Transmissionsimmunologie“, und Dr. Marina Greweling-Pils, Leiterin der Core Facility „Vergleichende Medizin“ und Tierschutzbeauftragte des HZI, erklären im Interview zum Internationalen Tag des Versuchstiers 2025, warum nicht alle Tierversuche ersetzbar sind und warum die Wahl des richtigen Tiermodells entscheidend ist für belastbare wissenschaftliche Ergebnisse.
M&K: Julia, du erforscht seit 2024 am HZI die Übertragung von Viren und Immunreaktionen des Wirts darauf. Was war denn die größte Herausforderung bei der Etablierung deiner Forschungsgruppe und wie hast du sie überwunden?
Julia Port: Meine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit einem relativ neuen Gebiet, der Transmissionsimmunologie. Wir untersuchen, welche mukosalen Immunantworten - also die Immunantworten auf Schleimhäuten – die Ausscheidung von Viren verhindern. Dazu müssen kreative und auch neue Methoden in vitro und in vivo erprobt und etabliert werden, um die Interaktion zwischen unserem Immunsystem, dem Virus und der Umwelt zu untersuchen. Zu Beginn musste ich am HZI viel Neues konzipieren wie Transmissionsmodelle, Luftprobennahme sowie die Analyse von ausgeatmeten Tröpfchen und der Luftqualität. Dies muss natürlich alles durch administrative und sicherheitsrelevante Prozesse abgesichert werden. Das geht nur in einem so motivierenden und in jeder Hinsicht unterstützenden Umfeld, wie es das HZI bietet, und mit einem Team, das sich von technischen Schwierigkeiten nicht bremsen lässt und Resilienz und Kommunikationskompetenz beweist.
Du setzt in deiner Forschung auch Tiermodelle ein. Welche Tiermodelle sind das und warum kannst du diese Fragestellungen nicht mit anderen Ansätzen wie Zellkultur untersuchen?
Port: Wir verwenden spezielle Nagetiermodelle, mit denen wir die Übertragung von Viren untersuchen können. Für Coronaviren ist dies der Syrische Goldhamster (Mesocricetus auratus), für das Mpox-Virus (MPXV) wollen wir zukünftig die Vielzitzenmaus (Mastomys natalensis) einsetzen. Das Tiermodell muss an die Fragestellung angepasst und richtig ausgewählt werden, wenn es nicht durch in vitro-Modelle ersetzt werden kann. Leider ist es bis heute nicht möglich, die Infektionswege und die Ausscheidung der Viren in der Zellkultur natürlich nachzubilden, wenn man auch die mukosalen immunologischen Prozesse, die physiologischen Veränderungen im Wirt, die die Ausscheidung bedingen, wie z.B. Pockenbildung und Tröpfchenproduktion in der Luft, und den Einfluss der Umwelt darauf untersuchen will.
Marina, welche Herausforderungen gibt es in der Tierhaltung, um ein neues Tiermodell zu etablieren? Wie arbeiten Wissenschaftler*innen mit Tierärzt*innen und Tierpfleger*innen dabei zusammen?
Marina Greweling-Pils: Zunächst müssen die bestmöglichen Haltungsbedingungen für die neue Tierart festgelegt werden. Dafür erkundigen sich die Tierärzti*nnen am HZI bei Expert*innen für diese Tierart nach den Bedürfnissen der Tiere und suchen zusammen mit den Tierpfleger:innen nach Lösungsmöglichkeiten, wie die Haltung vor Ort umgesetzt werden kann. Die Lösungsvorschläge werden mit den Wissenschaftler*innen durchdacht, sodass die Versuche auch sinnvoll durchgeführt werden können. Für jede neue Tierart muss dann durch eine*n Experten*in zunächst eine Schulung aller Personen, die mit den Tieren umgehen sollen, stattfinden.
Könnt ihr Beispiele aus eurer Forschung geben, warum die Wahl des richtigen Tiermodells entscheidend ist für gute wissenschaftliche Ergebnisse?
Port: Da gibt es mehrere. Ganz banal formuliert, muss das Modell auch den Prozess nachbilden, den man eigentlich untersuchen möchte. Wenn man zum Beispiel die Übertragung eines Virus über die Luft nachweisen will, braucht man ein Modell, das das Virus nicht nur im Atemtrakt repliziert, sondern es auch ausatmen kann - das ist nicht dasselbe. Auch der Infektionsweg kann, wenn er nicht richtig gewählt wurde, um die natürliche Exposition zu simulieren, das Krankheitsbild verfälschen. In meinem MPXV-Modell würde man z.B. den Eindruck haben, dass MPXV keine großen Beschwerden verursacht, wenn es intraperitoneal, also in die Bauchhöhle, verabreicht wird. Bei der mukosalen (rektalen) Exposition sehen wir hingegen ein Krankheitsbild, das vielen Mpox-Fällen mit der Klade IIb beim Menschen schon sehr viel näherkommt. Man muss sich immer fragen, was genau man untersuchen will und ob das Modell diesen Aspekt der Erkrankung genau wiedergeben kann, sodass man danach auch Rückschlüsse auf den Menschen ziehen kann.
Greweling-Pils: Wie Julia gerade gut erläutert hat, muss zunächst das Tiermodell für die bestimmte Frage geeignet sein, damit die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind. Dann muss die Tierart gewählt werden, die am wenigsten unter den Versuchsbedingungen leidet. So wären für viele Fragestellungen nicht-menschliche Primaten, zum Beispiel Rhesusaffen, die Tiere, die dem Menschen am ähnlichsten sind. Aus ethischen Gründen wählt man jedoch eine Tierart, die weniger eng mit dem Menschen verwandt ist. Wenn möglich nimmt man zunächst z.B. Fruchtfliegen oder Fische. Nur wenn die Frage ausschließlich mithilfe von Säugetieren beantwortet werden kann, werden Mäuse oder Hamster verwendet. Nur wenn diese ebenfalls nicht geeignet sind, wählt man die nächst höher entwickelte Tierart aus.
Am HZI werden überwiegend Mäuse gehalten, aber auch Hamster und Ratten. Warum sind beispielsweise Hamster für gewisse Versuche besser geeignet als Mäuse?
Greweling-Pils: Die Immunantwort von Mäusen und Hamstern gegenüber Coronaviren unterscheidet sich: Bei Hamstern verläuft die Infektion wie bei den meisten Menschen eher mild bis mittelschwer, die Tiere erholen sich schnell wieder. Mäuse sind eher geeignet, einen schweren Verlauf der Infektion zu untersuchen, da sie sehr schnell und stark erkranken. Beide Tierarten zeigen die auch beim Menschen typische Ausbreitung des Erregers von den Nasenhöhlen in die Bronchien und in die Blutgefäße der Lunge.
Julia, bitte gib uns einen Ausblick, welche Forschungsfragen du mit deinem Team in der Zukunft untersuchen willst und welche Tiermodelle dafür zum Einsatz kommen sollen.
Port: Wir wollen mechanistisch verstehen, welche Immunantworten verstärkt werden müssen, um das Ausatmen oder die Ausscheidung von Viren zu verhindern. Dies soll in den Kontext der sich verändernden Umwelt durch Umweltverschmutzung oder den Klimawandel gestellt werden. Im Allgemeinen streben wir an, die Kapazität und Überzeugungskraft von in vitro-Daten parallel zu stärken, aber verschiedene Nagermodelle werden weiterhin verwendet werden. Langfristig sind auch Übertragungsmodelle, die nicht auf den Menschen, sondern auf natürliche Reservoirarten wie Fledermäuse abzielen, von großer Bedeutung für das Verständnis zoonotischer Viren.
Was genau wird eigentlich als Tierversuch gezählt und wie entwickeln sich die Zahlen der Tierversuche am HZI?
Greweling-Pils: Jede Behandlung aufgrund einer wissenschaftlichen Fragestellung, bei der nicht ausgeschlossen werden kann, dass Schmerzen, Leiden oder Schäden, die einem Nadelstich gleichkommen oder darüber hinaus gehen, ausgelöst werden, ist ein Tierversuch.
Die Zahlen der Tierversuche am HZI gehen seit vielen Jahren zurück, was mit der Verbesserung der Möglichkeiten von Computersimulationen und Tests in Zellkulturmethoden zu tun hat. Dies führt dazu, dass weniger Versuche in Tieren durchgeführt werden müssen, weil die Frage genauer gestellt werden kann. Am Ende braucht es aber in vielen Fällen einen vollständigen Organismus, um z.B. zu klären, wie ein neues Virus sich im Körper verbreitet und welche Organe es besonders angreift oder wie ein neuer Impfstoff auf das gesamte Immunsystem wirkt.
Ein weiterer Grund für die sinkenden Tierversuchszahlen sind die hohen bürokratischen Hürden. Der Bearbeitungsprozess von Tierversuchsanträgen dauert in der Regel etwa sechs Monate, in anderen europäischen Ländern haben wir die Erfahrung gemacht, dass dies innerhalb weniger Wochen abgeschlossen ist. In internationalen Projekten werden Tierversuche dann eher bei Kooperationspartnern durchgeführt. Um es klar zu sagen: Durch die langen Fristen werden Tierversuche aber nicht verhindert, sondern nur in andere Länder verlagert. Es trägt nicht zur Vermeidung von Tierversuchen bei, ist für unsere Forschung aber ein klarer Standortnachteil!
Interview: Charlotte Schwenner