Auszeichnungen

Dennis L. Kasper wird mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2024 ausgezeichnet

20.09.2023 - Der Arzt und Immunologe Dennis L. Kasper (80) von der Harvard Medical School erhält den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2024. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung bekannt.

Kasper hat die bisher einzig bekannten Wörter der biochemischen Sprache entdeckt, mit der Bakterien, die unseren Darm bevölkern, unser Immunsystem erziehen und damit für dessen gesunde Entwicklung sorgen. Dadurch hat der Preisträger ein neues und dynamisches Forschungsfeld eröffnet, auf dem sich bereits konkrete Ansatzpunkte für die Behandlung schwerer Autoimmunkrankheiten abzeichnen.

Im Dickdarm jedes Menschen leben rund zehn Billionen Bakterien. Sie machen den Großteil unseres Mikrobioms aus, also aller Mikroorganismen, die auf unserer Haut und in unseren Körperhöhlen siedeln. Dass diese Bakterien nicht nur schädlich, sondern auch nützlich sind, haben die biomedizinischen Wissenschaften seit der Analyse von Antibiotika-Nebenwirkungen in den 1960er Jahren allmählich erkannt. Wie sie aber insbesondere dem Immunsystem ihrer Wirte nützliche Botschaften mitteilen, blieb lange ein Rätsel. Dennis Kasper hat es am Beispiel des Bakteriums Bacteroides fragilis gelöst. Er entdeckte zwei besondere Moleküle, mit deren Hilfe diese Darmmikrobe das Immunsystem ihrer Wirte dazu erzieht, maßvoll zu agieren und den eigenen Körper nicht anzugreifen. „Dem Preisträger ist es als Erstem gelungen, Kommunikationskanäle in dem Superorganismus aufzudecken, den der Mensch und sein Mikrobiom bilden“, erklärt der Vorsitzende des Stiftungsrates, Prof. Dr. Thomas Boehm. „Durch ihn haben wir erfahren, mit welchen Signalen Darmbakterien in unserem Immunsystem für eine gesunde Balance zwischen Angriffslust und Entzündungsdämpfung sorgen. Das wird weitreichende klinische Konsequenzen haben.“

B. fragilis ist eine Bakterienart, die unseren Darm nach unserer Geburt besonders früh und zahlreich besiedelt. Dennis Kasper begann sich Mitte der 1970er Jahre mit ihr zu beschäftigen, weil sie bei Infektionen des normalerweise sterilen Bauchraumes infolge von Verletzungen wegen ihrer Penicillinresistenz eine oft fatale Hauptrolle spielt. Innerhalb des Darmes  ist B. fragilis aber kein Krankheitserreger. Manche Bakterien schützen sich vor ihrer Umgebung durch die Ausbildung einer Kapsel. Diese Kapsel zeichnet sich bei B. fragilis, wie Kasper herausfand, durch eine außergewöhnliche Variabilität aus. Während die meisten Bakterien ihre Kapsel nur  mit einem Vielfachzucker (Polysaccharid) bestücken, kann B. fragilis acht verschiedene produzieren und zu immer neuen Mustern kombinieren. So erscheint es dem Immunsystem seines Wirtes in ständig wechselnden Gewändern, entzieht sich dessen Zugriff und kann es damit gut getarnt beeinflussen. Zu diesem Zweck setzt B. fragilis in erster Linie den am häufigsten vorkommenden dieser Kapselzucker ein, dem Kasper den Namen PSA gab. In diesem sehr großen Molekül sind bis zu 200 Einheiten von je vier verschiedenen Zuckern miteinander verknüpft, und mit einem fettähnlichen Anker in der Membran befestigt. Kasper entdeckte, dass dendritische Zellen, die als „Wächterzellen“ das Immunsystem über den Zustand des Körpers informieren, den Zucker aufnehmen, verarbeiten und auf ihrer Oberfläche ausstellen, womit sie die Produktion bestimmter T-Zellen stimulieren.

Für diesen sogenannten MHC-II-Weg der Antigen-Präsentation galt in der Immunologie: Er ist für fremde, von außen eingedrungene Proteine und deren Bekämpfung reserviert. Mit seiner fundamentalen Entdeckung brach Kasper dieses Dogma. Er zeigte, dass der Bakterienzucker über den MHC-II-Weg für ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Arten von T-Zellen sorgt, so dass auch die Entwicklung immunrelevanter Organe wie der Milz koordiniert abläuft. PSA kann dendritische Zellen außerdem so programmieren, dass sie regulatorische T-Zellen dazu anregen, Interleukin-10 zu produzieren, eines der wichtigsten anti-entzündlichen Botenstoffe des Immunsystems. Der Preisträger hat dabei im Detail entschlüsselt, über welche Signalwege PSA diese Wirkung entfaltet.

Während B. fragilis mit dem Polysaccharid PSA lebenslang die Ausreifung einer ausbalancierten Population von regulatorischen T-Zellen in seinem Wirtsorganismus steuert, greift es mit einem anderen Molekül nur für eine kurze Zeit, aber dennoch wirkungsvoll in die Entwicklung des Immunsystems ein. Dabei handelt es sich, wie Kasper belegte, um eine bestimmte fettartige Substanz, das Glykosphingolipid GSL-Bf717. In den Wochen und Monaten nach unserer Geburt hemmt dieses bakterielle Lipid die Vermehrung von natürlichen Killer-T-Zellen (NKT-Zellen). Das sind T-Zellen, die Elemente von angeborener und erworbener Immunität in sich vereinen, und das Immunsystem zu überschießenden Entzündungsreaktionen und Angriffen auf den eigenen Körper verleiten können. Weil es strukturelle Ähnlichkeit mit Molekülen hat, die die NKT-Vermehrung fördern, verdrängt das bakterielle Lipid viele dieser Moleküle von ihrer Bindungsstelle und verhindert damit die Entstehung eines übergroßen NKT-Pools. Erwachsene Mäuse, die als Neugeborene dem bakteriellen Sphingolipid ausgesetzt waren, haben ein deutlich geringeres Risiko, eine Autoimmunkrankheit wie etwa eine Colitis ulcerosa zu erleiden.

Dank der jahrzehntelangen beharrlichen Arbeit von Dennis Kasper können Zusammenhänge zwischen Darmmikrobiom und Immunsystem erstmals kausal und nicht mehr nur assoziativ hergestellt werden. Die anti-entzündliche Wirkung der von ihm entdeckten „B. fragilis-Wörter“ ist nicht lokal auf den Darm begrenzt. Sie zeigt sich auch systemisch. GSL-Bf717 beugt nicht nur chronischen Darmentzündungen vor, sondern auch allergisch bedingten Krankheiten wie Asthma. Das Potential von PSA wiederum hat die Erforschung der Signalachse zwischen Darm und Hirn beflügelt. So gibt es überzeugende Hinweise, dass dieser bakterielle Zucker der Zersetzung der Myelinhüllen von Nervenfasern bei experimenteller Multipler Sklerose (MS) entgegenwirkt.

Dennis L. Kasper (Labor-Homepage) ist seit 1989 William Ellery Channing Professor of Medicine und seit 1997 Professor of Immunology an der Harvard Medical School. Er ist Mitherausgeber von Harrison’s Principles of Internal Medicine (derzeit 22. Auflage), dem weltweit am häufigsten verwendeten Lehrbuch der Medizin, dessen Chefredakteur er für die 16. und 19. Auflage war.

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