Der hormonelle Zyklus des Gehirns
17.10.2023 - Umbauvorgänge in zentralen Lern- und Gedächtniszentren im menschlichen Gehirn finden im Einklang mit periodischen Schwankungen der Sexualhormone statt.
Eine neue Studie in Nature Mental Health von Rachel Zsido und Julia Sacher vom MPI CBS und des Universitätsklinikums Leipzig bringt rhythmische Oszillationen der weiblichen Geschlechtshormone im Verlauf des Menstruationszyklus mit Veränderungen im Temporallappen in Verbindung.
Geschlechtshormone entfalten als Botenstoffe im Gehirn eine eindrucksvolle Wirkung, unter anderem, wenn es um Lernen und Gedächtnis geht: so kann etwa eine frühe Menopause mit einem erhöhten Risiko für eine beschleunigte Gehirnalterung und Demenz im späteren Leben einhergehen. Über die Auswirkungen von hormonellen Schwankungen auf das Gehirn im frühen Erwachsenen-Alter ist jedoch wenig bekannt. Rachel Zsido und Julia Sacher zeigen in ihrer aktuellen Studie, dass auch körpereigene Schwankungen der weiblichen Geschlechtshormone die strukturelle Plastizität des Gehirns während der reproduktiven Jahre beeinflussen.
Die Wissenschaftlerinnen entnahmen dafür 27 Studienteilnehmerinnen Blutproben, untersuchten mit Ultraschall das Wachstum der Follikel in den Eierstöcken der Frauen sowie den Zeitpunkt des Eisprungs und zoomten mithilfe eines 7-Tesla-MRT in die tieferen Ebenen des Gehirns. Denn dort, im Temporallappen und Hippocampus, sitzen sehr viele Rezeptoren für Sexualhormone und es werden wichtige kognitive Funktionen des Gehirns unterstützt, wie zum Beispiel das episodische Gedächtnis. Im Unterschied zu bisherigen Studien haben Zsido und Sacher das Gehirn der Frauen nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt untersucht, sondern an sechs verschiedenen Zeitpunkten während des Menstruationszyklus. Dieses longitudinale Studien-Design erlaubt eine sehr genaue und individuelle Darstellung des jeweiligen Hormon-Profils – das ist wichtig, denn es kommt oft zu starken individuellen Schwankungen und die Muster der Hormonausschüttung sind von Frau zu Frau oft sehr unterschiedlich. Typischerweise gibt es während des 28 Tage dauernden Zyklus einen starken Anstieg des Hormons Östradiol rund um den Eisprung herum, während Progesteron die zweite Hälfte des Zyklus dominiert. Östradiol ist eines der wichtigsten Hormone im weiblichen Körper und trägt entscheidend zur Erhaltung des Fortpflanzungssystems bei. Progesteron, ein weiteres wichtiges Geschlechtshormon, bereitet die Gebärmutter auf eine mögliche Schwangerschaft vor und wirkt angstlösend, schlaffördernd, entspannend und beruhigend.
Ähnlich wie bei Ebbe und Flut ist das weibliche Gehirn also auf einen ständigen Rhythmus der Hormone eingepegelt, den die Studie erstmals abbildet. „Wir konnten feststellen, dass bestimmte Regionen des medialen Temporallappens, die wichtig für das episodische Gedächtnis und die räumliche Wahrnehmung sind, unter hohen Östradiol- und niedrigen Progesteronspiegeln an Volumen zunehmen - das heißt, diese Gehirnareale bauen sich synchron mit dem Menstruationszyklus um. Ob diese rhythmischen Veränderungen bei Menschen mit erhöhtem Risiko, an einer Gedächtnis- oder einer affektive Störung zu erkranken, verändert sind, wollen wir in verschiedenen Folgestudien klären.“, sagt Julia Sacher. „Generell wird das weibliche Gehirn in den Neurowissenschaften immer noch viel zu wenig untersucht. Obwohl wir wissen, dass Sexualsteroidhormone unser Lernen und unser Gedächtnis stark beeinflussen, beschäftigt sich weniger als 0,5 Prozent der Fachliteratur in diesem Bereich mit dem Menstruationszyklus, dem Einfluss von hormonellen Verhütungsmitteln, der Schwangerschaft und der Menopause. Das wollen wir ändern, denn um Frauen mit Alzheimer oder Depressionen gezielt behandeln zu können, müssen wir besser verstehen, wie sich das gesunde weibliche Gehirn an Veränderungen anpasst und von Sexualhormonen beeinflusst wird.“
Kontakt
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Stephanstr. 1a
04103 Leipzig
Deutschland