Der Weg zu mehr alters- und pflegegerechten Bädern
Zum Grundsatzpapier „Demografischer Wandel“ von VDS und ZVSHK
Es enthält u. a. konkrete Forderungen an die Politik. Damit wollen die Verbände Bund und Länder auffordern, dem Thema als gesamtgesellschaftliche Kernaufgabe konsequent mit nachhaltigen Konzepten und Lösungen zu begegnen. Matthias Erler von medAmbiente befragte Jens Wischmann vom VDS zu den Einzelheiten.
Herr Wischmann, Ihr Verband hat kürzlich ein Grundsatzpapier „Demografischer Wandel“ vorgestellt. Aus welchem Anlass und mit welchem Ziel?
Jens Wischmann: Bereits 2010 legten die Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e.V. (VDS) als Dachverband der Unternehmen aus Industrie, Handel und Handwerk sowie ihr Mitgliedsverband, der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) als Standesvertretung des SHK-Handwerks im Bereich Bad Positionspapiere zu diesem wichtigen gesellschaftlichen Thema vor. Wir wollten nun nach über zehn Jahren gemeinsam schauen, wie die Sachlage ist, was erreicht wurde und was noch erreicht werden muss. Zugleich wurden die Positionen und Forderungen von damals hinterfragt, überarbeitet und angepasst. Neu hinzugekommen ist der Bereich des Pflegebades, denn sehr häufig ist das Bad auch ein Arbeitsplatz aus Pflegesicht. Und wir haben erstmals alle verfügbaren Informationen umfassend zusammengetragen und ausgewertet. Dazu gehören die Daten zu Barrieren innerhalb der Wohnung, die das statistische Bundesamt im Zusatzprogramm „Wohnen“ des Mikrozensus 2018 bundesweit erhoben und Ende 2019 veröffentlicht hat. Damit ist es ein echtes Grundsatzpapier, das darüber informiert, wo und wie die Sanitärwirtschaft bei der Bewältigung des demografischen Wandels helfen kann.
Sie kritisieren insbesondere auch die Förderpraxis beim altersgerechten Bauen...?
Jens Wischmann: Das KfW-Programm 455-B „Altersgerecht Umbauen“ ist grundsätzlich ein gutes Instrument. Die staatliche Förderpolitik muss aber der wachsenden Bedeutung des altersgerechten Wohnens weiter angepasst werden. Durch eine Verschiebung und gezieltere Verteilung der Mittel. Dazu gehört eine dauerhafte Aufstockung des Fördertopfes für altersgerechtes Umbauen auf mindestens 150 Millionen jährlich und vor allem eine Verstetigung der Förderung. Das jährliche Bangen um die Fördertöpfe würde dann endlich durch eine verlässliche und planungssichere Hilfe abgelöst werden.
Sie sind ja als Verband sehr aktiv beim Thema Altersgerechtigkeit – ein Beispiel war die Aktion Barrierefreies Bad (medAmbiente berichtete). Könnten Sie einmal die Leistungen und die Rolle der deutschen Sanitärwirtschaft in diesem Zusammenhang beschreiben?
Jens Wischmann: In der Tat, die Aktion Barrierefreies Bad spielt eine zentrale Rolle beim vielfältigen Engagement der Branche. Ihre Aufgabe ist die gezielte Information und Kommunikation zum gesamten Themenkomplex, insbesondere über die Anforderungen und Fördermöglichkeiten für barrierereduzierte und barrierefreie Bäder, Auftritte auf Messen und Sonderschauen, sowie eigene Publikationen und Ratgeber zu erstellen. Weiterhin partnerschaftliche Forschungsprojekte und Studien zu fördern und mit www.aktion-barrierefreies-bad.de eine Ratgeberplattformen im Internet vorzuhalten. Diese sollen weiter forciert und ausgebaut werden. Das Ziel ist, den sensiblen Komplex der körperlichen Beeinträchtigung in der Berichterstattung nicht länger als Rand- oder Spezialthema anzusehen, sondern als selbstverständlichen Badtrend zu bewerben.
Das altersgerechte Bad zuhause und auch die ambulante Pflege ist eine Sache – irgendwann ist aber die stationäre Pflege, das Seniorenheim oder auch das Betreute Wohnen und ähnliche Konzepte oft die naheliegende Lösung ist, auch weil Angehörige überfordert sind. Wie sehen Sie das – und welche Entwicklungen sehen Sie hier?
Jens Wischmann: Menschen möchten so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Das Bad spielt dabei eine Schlüsselrolle. Vorsorgemaßnahmen wie rechtzeitige Badanpassungen sparen für Staat, Gesellschaft und jeden Einzelnen hohe Folgekosten. Alltagsunterstützende Assistenzlösungen (AAL) können helfen, sehr lange ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber es ist richtig, irgendwann kann der Moment kommen, wo all dies nicht mehr ausreicht und nur noch eine stationäre Versorgung möglich ist. Jedoch können auch in Heimen bereits jetzt neue Technologien eingesetzt und dadurch Pflegekräfte entlastet werden.
Im privaten Sektor ist ja die Wohnlichkeit des Bades in Abgrenzung zu den früheren „Nasszellen“ ein starker Trend. In der stationären Pflege ist die Herstellung von „Wohnlichkeit“ seit vielen Jahren eine wichtige Zielvorgabe. Welche Entwicklungen und Trends sehen Sie dort?
Jens Wischmann: Richtig, wir beobachten, dass in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der Inneneinrichtung, der Möblierung und der Farbigkeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil man erkannt hat, dass dies dem Wohlbefinden und der Genesung der Kranken und zu Pflegenden förderlich ist. Natürlich immer unter der Prämisse der praktischen Nutzung und leider auch Finanzierbarkeit. Dazu gehört eine Abkehr von rein Weiß auf Weiß und deckenhoch gefliesten Räumen, die kalt und steril wirken. Wohlfühlambiente lässt sich hier durch moderne und multifunktionale Sanitärprodukte, durch den Einsatz von Farben und Kontrasten und von natürlichen Materialien wie Holz durchaus erzielen.
In nicht allzu ferner Zeit werden die im weitesten Sinne als Babyboomer bezeichneten Generationen alt und auch pflegebedürftig werden. Welche Bedeutung hat das für die Sanitärbranche?
Jens Wischmann: Laut einer Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) sind insgesamt nur 560.000 Wohnungen in Deutschland – umgerechnet gerade mal 1,5 Prozent des Wohnungsbestands – altersgerecht. Prekär ist außerdem die Feststellung, dass aktuell lediglich vier Prozent der 1,3 Millionen pflegebedürftigen Haushalte in einer barrierearmen Wohnung verortet seien. Es existiert also ein enorm großes Defizit an barrierearmem Wohnraum. Was das für die Sanitärbranche bedeutet? Vor allem Aufklärungsarbeit auch in der Branche damit beim Neubau und Umbau von Bädern immer auf die Barrierefreiheit bzw. -reduzierung geachtet wird. Dann die Inanspruchnahme von Fördergeldern, mit dem Appell an die Politik, die staatlichen Zuschüsse auszubauen – siehe die Forderungen des Grundsatzpapieres. Und natürlich auch aktive Nachwuchsgewinnung im SHK-Handwerk und ständige Qualifizierung, z. B. zum „Fachbetrieb barrierefreies Bad“.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Entwicklung auch der Branche insgesamt ausgewirkt?
Jens Wischmann: Insgesamt ist das Interesse am eigenen Heim und dessen Verschönerung bis zur Renovierung und Modernisierung in der Krise gezwungenermaßen deutlich gestiegen. Dabei liegt das Bad laut einer aktuellen Sanierungsstudie von B + L mit über 40 % an erster Stelle aller Renovierungsabsichten der Deutschen. Das merkt die Branche auch an der positiven Umsatzentwicklung trotz der Pandemie. Maßgeblichen Anteil daran hat das SHK-Handwerk: Die Organisation von Aufträgen und Terminen ist zwar sehr viel umfangreicher geworden, z. B. hinsichtlich notwendiger Schutzmaßnahmen. Die gesamten Arbeitsabläufe sind darauf aber angepasst und sehr viel ausgefeilter geworden, so dass Bäder weiter sicher und professionell installiert werden können. Was das Thema Barrierefreies Bad betrifft, so ist in der Evaluation des IWU nachzulesen, dass die Isolation in der eigenen Wohnung und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens vielen Menschen die Bedeutung barrierereduzierten Wohnraums für eine eigenständige Lebensführung eindrücklich vor Augen geführt haben dürfte. Diese Aspekte könnten die Nachfrage nach barrierereduziertem Wohnraum spürbar steigern. Dazu kommt natürlich die Sorge vor einer Ansteckung durch andere Bewohner bei einer Heimunterbringung, die einen vielleicht länger im eigenen Heim leben lässt. Wobei natürlich nicht Angst der Motivator zum barrierefreien Bad sein soll, sondern die Aussicht auf mehr Lebensfreude durch mehr Lebenskomfort!
5 Forderungen von VDS und ZVSHK im Überblick
1. Bessere Organisation und Kommunikation bei bzw. mit Bund und Ländern, bedeutet:
- Die Immobilien-Komponente des demografischen Wandels in einem neu geschaffenen Bundesbauministerium etablieren;
- Berufung eines für Demografie-Fragen zuständigen Staatssekretärs;
- Finanzielle Anreize auch für den Bau von pflegegerechten Bädern;
- Bessere Sichtbarkeit von Beratungsangeboten;
- Finanzielle Anreize zum Einbau eines pflegegerechten Bades.
2. Transparente und kontinuierliche Verteilung der Fördergelder, bedeutet
- Dauerhafte Aufstockung der KfW Mittel für den barrieregerechten Umbau auf mindestens 150 Mio. Euro pro Jahr;
- Ein eigener Förderbaustein „Barrierefreies Bad“.
3. Bundesweit mehr Praxisorientierung und Vernetzung der Privatwirtschaft, bedeutet:
- Einbindung von Bau- und Sanitärprofis in den für Normung und Gesetzgebung zuständigen Gremien;
- Aufnahme der kompletten DIN 18040 Teil 1 und 2 in alle Landesbau-ordnungen;
- Start einer Qualifizierungsoffensive „Demografischer Wandel“.
4. Gezielte Finanzierung von sowie einfacherer Zugang zu pflegegerechten Bädern, bedeutet:
- Finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte und Innovationsoffensiven;
- Verpflichtende Ausführung über Unternehmen des Fachhandwerks bei Zusagen im Zusammenhang mit dem Pflegekassen-Zuschuss für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen;
- Zusätzlicher Baustein „Pflegegerechtes Bad“ bei der KfW-Förderung.
5. Ausbau des Badezimmers als Erfolgsfaktor für die ambulante Pflege, bedeutet:
- Bundesweite Umsetzung von realen Modell- bzw. Leuchtturmprojekten für
pflegegerechte Bäder auf engstem Raum als Best Practice; - Ausschließlich Handwerker, Planer und Architekten, die hinreichend qualifiziert sind, pflegegerechte Bäder kostengünstig im Bestand umzusetzen, sollten Wohnungsanpassungen im Rahmen des Pflegezuschusses durchführen dürfen;
- Mehr Personal für Pflegestützpunkte.
Hier können sie das vollständige Grundsatzpapier „Demografischer Wandel. Altersgerechte Wohnungen. Barrierefreie bzw. reduzierte Bäder. Pflegegerechte Bäder“ herunterladen:
Kontakt
Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e.V. (VDS)
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