Desinfektionsroboter: Mehrwert durch Kopplung an Gebäudedaten
05.05.2021 - Der Desinfektionsroboter Balto – benannt nach einem Schlittenhund, der vor hundert Jahren dringend benötigte Impfseren in ein schwer erreichbares Gebiet Alaskas brachte – kann Türklinken und Co. effizient desinfizieren.
Er tut dies selbstständig und reagiert dabei auch auf Menschen in seinem Umfeld. Möglich macht es eine Schnittstelle mit dem Building Information Modeling (BIM).
Nie stand die Hygiene so sehr im Fokus wie derzeit – schließlich ist sie eine der Waffen, um als Gesellschaft in der Corona-Pandemie zu bestehen. Der Desinfektionsroboter Balto des Fraunhofer Italia Innovation Engineering Center in Bozen und des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart, entwickelt im Fraunhofer-internen Anti-Corona Förderprogramm, setzt genau hier an: Er soll – als einer von vielen Bausteinen – dabei helfen, die Pandemie einzudämmen und zukünftige möglichst zu vermeiden. „Balto kann autonom Türklinken und andere Bereiche desinfizieren, die von vielen Personen in hoher Frequenz berührt werden. Auf diese Weise lässt sich das Risiko für Besucher ebenso verringern wie das Risiko für Personen, die mit der Desinfektion beauftragt werden“, sagt Dr.-Ing. Michael Riedl, stellvertretender Direktor des Fraunhofer Italia Innovation Engineering Center. Die Besonderheit des Desinfektionsroboters liegt jedoch nicht in der Fähigkeit des Desinfizierens an sich – diese haben andere Desinfektionsroboter schließlich auch – sondern vor allem darin, dass er direkt mit dem BIM vernetzt ist. In den BIM-Modellen sind nicht nur die Gebäude-Geometrien gespeichert, sondern auch alle grundlegenden Bauteil-Attribute wie Funktion oder Materialien. So können beispielsweise auch Türklinken erkannt und exakt lokalisiert werden.
Präzise, zuverlässige und hochautomatisierte Desinfektion
Um seine Arbeit zu verrichten, braucht der Roboter die entsprechenden Gebäudedaten. Nun ist es nicht zielführend, für den Roboter eine eigene Gebäudekarte aufzubauen: Man müsste dann nicht nur die BIM-Daten regelmäßig aktualisieren, sondern zusätzlich auch noch die des Roboters. Dies würde das System nicht nur teurer machen, sondern es wäre auch aufwändiger zu betreiben und fehleranfälliger. „Wir haben daher auf Basis des offenen Roboter-Operating-Systems ROS eine Schnittstelle geschaffen, über die der Roboter direkt mit BIM sprechen kann“, erläutert Riedl. Auf diese Weise weiß Balto nicht nur, wo im Gebäude sich beispielsweise Türen befinden, sondern auch, welche Türen oft genutzt werden und aus welchem Material deren Türklinken sind. Er kann sein Desinfektionsprogramm entsprechend anpassen. Ist ein Korridor aufgrund einer Baustelle nicht zugänglich, weiß Balto dies via BIM ebenfalls und kann diese Information direkt in seiner Navigationsplanung berücksichtigen. Wichtig ist die Schnittstelle zum BIM auch bei der Mensch-Roboter-Interaktion. Begegnet Balto einer oder mehreren Personen, soll er ausweichen. Ist dies nicht möglich, bleibt er stehen. Schlecht wäre allerdings, wenn er ausgerechnet in einem Fluchtweg stehen bleiben und diesen damit versperren würde. Da jedoch auch der Verlauf der Fluchtwege in den BIM-Daten verzeichnet ist, lassen sich solche Situationen über die Schnittstelle vermeiden. Dabei ist die Schnittstelle zum BIM nicht nur einseitig, sondern bidirektional. Der Roboter kann so seine Desinfektionsaufgaben mit weiteren Balto-Kollegen abstimmen und die gemeinsam erledigten Desinfektionsaufgaben an das System zurückmelden.
Balto plant seine Route selbst
Auch bei der Planung der Desinfektionsroutinen punktet der Roboter: „Man braucht ihn nicht mit entsprechenden Koordinaten zu füttern, sondern kann die Desinfektion einer ganzen Klasse von Objekten in Auftrag geben«, sagt Günter Wenzel, Abteilungsleiter am Fraunhofer IAO. Statt ihm also einzeln die Ortsangaben jeder zu desinfizierender Türklinke nennen zu müssen, reicht ein genereller Auftrag wie: Alle stark genutzten Türklinken sollen mit einer Frequenz von X Minuten desinfiziert werden. Über eine weitere Schnittstelle etwa zum digitalen Zwilling eines Gebäudes wären auch Szenarien denkbar wie: In diesem Raum findet laut der Raumplanungsdatei zu folgender Zeit ein Meeting statt, bitte in dieser Zeit dort nicht desinfizieren. Anhand solcher Angaben plant Balto seine Desinfektionsroutine selbst – angefangen von der Frage, welche Wege er am besten wählt, bis hin zum optimalen Desinfektionsmittel für die zu behandelnden Materialien.
IAm Technologiepark NOI in Bozen, in dem sowohl Unternehmen als auch Forschungsinstitute ansässig sind und dementsprechend ständig Leute kommen und gehen, sind bereits drei Balto-Demonstratoren im Einsatz, vorerst noch unter der ständigen Überwachung des Forschungsteams. Im Future Work Lab des Fraunhofer IAO – einer Kombination von Produktionsumgebung und Ausstellungsfläche – und im Zentrum für Virtuelles Engineering (ZVE) ist ein weiteres System im Einsatz.
Zahlreiche weitere Anwendungen denkbar
Balto ist keineswegs auf die Desinfektion beschränkt, sondern kann die Desinfektion auch mit einer Reinigung kombinieren und langfristig sogar Aufgaben im Bereich des Monitorings und der Wartung übernehmen. Das heißt: Nutzer können mit an BIM angebundenen Robotersystemen verschiedene Aufgaben abdecken. Welche Schritte bis zur Industrialisierung noch zu gehen sind, untersuchen die Forscher nun gemeinsam mit Unternehmen aus dem Desinfektionsbereich.
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