Die Praxis fit machen für Post-COVID
15.11.2023 - Das interdisziplinäre Team des Post-COVID-Zentrums am Universitätsklinikum Jena erforscht nicht nur die Entstehungsmechanismen und bessere Versorgungsformen der Erkrankung.
Um den Umgang mit Post-COVID in der ärztlichen und klinischen Praxis zu erleichtern und den Betroffenen effizienter helfen zu können, arbeitet das Zentrum auch an einem verbindlichen Diagnoseschlüssel und an Leitlinien für die Behandlung mit.
„Post-COVID ist ein ganzes Mosaik an Symptomen, die jeweils ganz individuell ausgeprägt sind“, sagt Dr. Christina Lemhöfer. Sie lassen sich als körperliche, geistige und seelische Erschöpfung beschreiben, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Corona-Infektion steht und mindestens drei Monate danach noch anhält. „Bei vorbestehenden Erkrankungen wie z.B. chronischen Schmerzen ist die Abgrenzung sehr schwierig. Die Ärzte und Ärztinnen benötigen aber eine klare Diagnose, damit die Krankenkassen die Behandlung vergüten“, ergänzt die Leiterin des Instituts für Physikalische und Rehabilitative Medizin am Universitätsklinikum Jena.
Ziel: Klare Definition und Diagnose
Neue Punktescores ermöglichen es, die Erkrankung besser einzustufen und den Verlauf zu beurteilen. Für diesen Score werden standardisierte Fragebögen zur Lebensqualität und Leistungsfähigkeit eingesetzt. Christina Lemhöfer: „Wir konnten in unserem Zentrum zeigen, dass sich ein solcher Score prinzipiell zur Objektivierung und Quantifizierung der Beschwerden eignet.“ Für genauso wichtig erachtet sie jedoch eine Bewertung der Erkrankung auch anhand der funktionellen Einschränkungen, die sie mit sich bringt. Kann die Patientin noch drei Treppen in ihre Wohnung steigen? Wie lang kann sich der Patient auf seine Bildschirmarbeit konzentrieren? „Unser Ziel ist ein funktionsbezogener Score, der letztlich den Patienten in allen seinen Facetten darstellt und zur Klarheit der Diagnose beiträgt.“
Physiotherapie bei Long-COVID ist nicht budgetiert
Eine ganz praxisnahe Verbesserung für die Betroffenen konnte Christina Lemhöfer in Diskussion mit den Krankenkassen schon vor zwei Jahren erreichen: Bei Post-COVID verschriebene Physio- und Ergotherapien fallen nicht in das allgemeine Budget, das den Arztpraxen für diese Behandlungsformen zur Verfügung steht. Wie nach einem Schlaganfall sind diese Behandlungen bei Post-COVID nicht quartalsweise begrenzt.
Und wie sieht eine solche Therapie aus? Da verweist Christina Lemhöfer auf den symptomorientierten Ansatz – eine ursächliche Behandlung steht bislang nicht zur Verfügung. „Beispielsweise erhalten Patienten mit Atemproblemen eine reflektorische Atemtherapie, bei der die Übungen durch Wärmereize an bestimmten Hautarealen und Dehnungen verstärkt werden.“ Zur Anwendung kommen für die jeweiligen Beschwerden gut etablierte Therapien. Oberstes Gebot ist Geduld, denn der Körper benötigt Zeit, um auf diese Reize zu reagieren. Und noch wichtiger: Long-COVID verschlechtert sich bei Überlastung, die Patientinnen und Patienten müssen ein Gefühl für ihre Grenzen entwickeln. „Wir sehen den Menschen als Ganzes, deshalb ist die Interdisziplinarität das wesentliche Element in unserem Post-COVID-Zentrum“, betont Christina Lemhöfer. „Die Betroffenen, die Medizin und die gesamte Gesellschaft müssen Verständnis und Akzeptanz für diese Erkrankung entwickeln, damit deren Auswirkungen gemindert werden können.“
Das ist auch das Credo des 2. Long COVID Kongresses, der am 24. und 25. November in Jena stattfindet. Er widmet sich sowohl neuen Forschungsergebnissen zu Krankheitsmechanismen und Therapieansätzen als auch den sozialen und ökonomischen Aspekten von Post-COVID. Ein ganztägiges Symposium richtet sich speziell an die Betroffenen.