Es kann schon reichen, sich an einen Baum zu lehnen
Gartengestaltung für Menschen mit Demenz
Gerade erschien ihr Buch „Gartengestaltung für Menschen mit Demenz“. Matthias Erler von medAmbiente hat sich mit Ulrike Kreuer unterhalten.
Frau Kreuer, Sie haben gerade ein Praxisbuch zur Gartengestaltung für Menschen mit Demenz vorgestellt. Wie kamen Sie persönlich eigentlich zu diesem Thema?
Ulrike Kreuer: Gärten habe ich schon als Kind geliebt. Und beruflich beschäftige ich mich inzwischen schon seit rund 30 Jahren mit Gärten – immer in Verbindung mit sozialer Arbeit, etwa in Frauenhäusern oder im Rahmen von Langzeitarbeitslosen-Projekten, mit Kindern und Wohnungslosen. Prägend war beispielsweise meine Arbeit für Entwicklungsprojekte in Bolivien, wo ich mit Bauern ökologischen Obstanbau betrieben und eine Frauenkooperative beraten habe – und dabei übrigens auch lernte, mit dem Moped durch die Pampa zu fahren... Bei all diesen Tätigkeiten habe ich immer soziale Arbeit und Gartenbau als heilsames Medium miteinander verbunden.
. . . und irgendwann haben Sie sich selbständig gemacht?
Ulrike Kreuer: Das war vor etwa 20 Jahren. Damals habe ich den Entschluss gefasst, mich vor allem mit alten Menschen zu beschäftigen und mit Bauerngärten. Das war eine Herzensentscheidung, bei der es mir auch darum ging, Lebenserinnerungen an ein Jahrhunderte altes Kulturgut wieder aufleben zu lassen. Ich bekam sogar einen Preis von Armin Laschet überreicht, als er noch Minister in Nordrhein-Westfalen war. Ich habe mich damals intensiv weitergebildet – das Thema Demenz, mit dem ich mich heute stärker befasse, war damals übrigens noch nicht so brennend wie heute.
Frau Kreuer, der „Hortus Conclusus“ oder das „Paradies“: in der Kulturgeschichte bezeichnet der Garten immer etwas von der Außenwelt Abgetrenntes. Die unkontrollierbare Natur und das unberechenbare Leben hält er sich sozusagen vom Leibe. Wie definieren Sie für sich, was einen Garten ausmacht?
Ulrike Kreuer: Mit der Sesshaftigkeit von uns Menschen beginnt auch schon die lange Geschichte des Gartens. Dies Funktion des Schutzes vor der gefährlichen Außenwelt stand früher eher im Vordergrund. Der indogermanische Wortstamm „Gortus“ verweist einfach auf das „Umfasste“. Es geht aus heutigem Verständnis eher um das Eingefriedete, einen Raum den ich gestalten kann. Übertragen auf ein Altenheim, vermittelt es einen geschützten Raum des Friedens und der Überschaubarkeit, aber auch der Handhabbarkeit. Es ist ein Ort, den ich nach meinen Vorstellungen gestalten kann. Ich finde es ausgesprochen interessant, was heute mit Gärten alles gemacht wird – von Urban Gardening bis Schotter-Garten... Die Ergebnisse sind höchst unterschiedlich und manchmal auch befremdlich. Schon Battista Alberti stellte fest, dass der Garten unseren Charakter widerspiegele.
Was kennzeichnet denn speziell den von eben von Ihnen angesprochenen Bauerngarten?
Ulrike Kreuer: Es ist sehr spannend, einen Bauerngarten anzulegen, denn er kann wirklich alles enthalten. Tomaten stehen hier neben Pfingstrosen, Kopfsalat neben Nelken. Übertragen auf die Situation des Demenzkranken: Es darf alles so sein wie es kommt und wie es ist. Deshalb kann man vom Garten und der Arbeit darin sehr viel über den Menschen lernen. Dadurch, dass hier alles nebeneinander bestehen kann, vermittelt er Toleranz und Akzeptanz. Meine Betrachtungsweise ist deshalb vom Einzel-element der Gestaltung losgelöst und statt dessen systemischer Natur: Alles wirkt zusammen, alles hat miteinander zu tun. So vermittelt der Garten Einklang und Harmonie, was sich auf den Menschen überträgt.
Sie bezeichnen den Garten ja als „ein wahres Übungsfeld für das Leben“...?
Ulrike Kreuer: Das Leben an sich ist unberechenbar – niemand weiß, was morgen ist. Im Garten kann man eben dies ein bisschen erleben, ohne Angst davor zu haben. Bei der Gartenarbeit geht es nicht so sehr darum, die Angst in den Griff zu bekommen. Sie sagt eher, „Bleib mal locker“. Vielleicht entdecke ich an den Erdbeeren morgen Grauschimmel – aber was soll’s? Vielleicht ist der Sommer verregnet – aber es ist nicht schlimm. Man kann sich ja zum Beispiel auf einen wunderschönen Winter freuen. Der Blick auf die Natur, die Beobachtung, wie Bäume die Emissionen aushalten – das macht gelassen. Das kann man im Garten lernen. Werden und Vergehen erlebt man im Garten als sinnhaften Zusammenhang – aber auch seine Selbstwirksamkeit: Beim Retten der Erdbeeren, beim Rechen des Laubs vom Weg. Im Garten kann ich ohne viel Geld gestalten und Schönes erschaffen.
In einem Garten, schreiben Sie, gehen wir nicht verloren. Seine Übersichtlichkeit strahlt Sicherheit und Geborgenheit aus – das prädestiniert ihn ja geradezu für eine zentrale Rolle im Leben alter und pflegebedürftiger Menschen mit und ohne Demenz?
Ulrike Kreuer: Je nach Fortschritt der Erkrankung bleibt Demenzkranken immer weniger die Möglichkeit, etwas selbst zu tun. Selbstbestimmtheit zu erleben ist im Garten aber noch möglich. Jeden reizt etwas anderes – aber der Garten hat viele Angebote. Es kann schon reichen, sich an einen Baum lehnen zu können. Mein Ansatz ist es, möglichst viele Angebote im Sinne von „Ankern“ anzubieten.
Was macht in diesem Sinne einen „normalen“ Garten zu einem Demenzgarten?
Ulrike Kreuer: Für mich ist bei jedem Projekt zunächst das Wichtigste, ein Ziel zu definieren: Was sollen die Bewohner eines Altenheims in ihrem Garten erleben können? Ich sammele dann Ideen, wie man Selbständigkeit erfahren kann, wie man sinnliche Erfahrungen machen kann. Teilhabe zu erfahren halte ich dabei für das Wichtigste. Darum geht es: Der Bewohner soll Möglichkeiten bekommen, mit seinen Fähigkeiten am Leben teilzunehmen und dieses mitzugestalten. Daran messe ich jede einzelne Gestaltungsidee: Wie verwirkliche ich mit der mäandernden Wegführung die Teilhabe? Bietet sie zum Beispiel Orientierung? Sind die Materialien so gewählt, dass man gut und barrierefrei über sie laufen kann? Auch als Rollstuhlfahrer? Das sind aber nur die Grundlagen wie sie etwa ein Reiseführer auf seinen ersten Seiten als „Hard facts“ zusammenfasst. Dann geht es aber weiter mit Materialien, mit der Frage, ob ich runde organische Sitzecken oder eher rechteckige Plätze möchte. Wo sollen hohe oder niedrige Pflanzen sein? Welche Farben möchte ich sehen? Soll es immergrün sein? Welche Erden, welche Steine wähle ich? Welche Anregungen und Vorgaben haben mit der Region zu tun in der ich mich befinde? All das muss ich mit meinen Zielen im Hintergrund prüfen. Angst und Unsicherheit kann ich lindern, indem ich schöne Plätze finde, wo geborgenen Sitzplätze mit regionalem Naturstein statt Gabionen entstehen können. Bei der Gestaltung eines Gartens kommt es nicht etwa auf die Größe an oder wie pflegeleicht er ist, sondern um die Nähe zu unseren Herzen. Die Auswahl an geeigneten Pflanzen ist groß. Im Bauerngarten verwenden wir noch heute die 76 Pflanzen, die schon Karl der Große anzubauen verordnete.
Welche Bedürfnisse stehen eigentlich bei den Bewohnern und Mitarbeitern im Vordergrund? In welchem Verhältnis geht es dabei um Obst- und Gemüseanbau und in welchem eher um Blumen und Sträucher?
Ulrike Kreuer: Obst und Gemüse wünschen sich alte Menschen auf jeden Fall häufig. Der Nutzgarten diente früher ja oft geradezu dem Überleben – mit Kartoffeln, Stangenbohnen und Salat. In diese Richtung sollten wir gesellschaftlich wieder gehen. Je nach Region können das auch Äpfel (etwa im Alten Land) oder auch Wein oder Hopfen sein. Letzteren gibt es übrigens auch als balkongeeignete Sorten. Hier sind natürlich regelmäßige Beschäftigung und Verantwortung schon wichtig – bei Stangenbohnen zum Beispiel muss man aber nicht viel machen...
Sehen, Hören, Riechen, Schmecken – ein Garten ist etwas Sinnliches. Allerdings werden unsere Sinne ja im Alter nicht gerade besser?
Ulrike Kreuer: All das verändert sich sowieso im Laufe des Lebens. Bestimmte Riechzellen werden zum Beispiel abgebaut. Aber das macht es erst recht wichtig, sinnliche Anreize zu schaffen. Wenn wir schwächer werden, müssen wir hier nachlegen. Dazu gibt es viele Erkenntnisse, die ich etwa in Form von bunten Beeten berücksichtige. Farbkleckse, das einfach wahrzunehmende Rot etwa, machen sie besser wahrnehmbar. Farben fördern auch Erinnerungen und bestimmte Lieder herauf und überhaupt lenken sie Stimmungen. Rosa mit Weiß strahlt eher Kleines und Niedliches aus – während Schwarz mit Rot eher etwas Teuflisches vermitteln. Solches Wissen ist schon wichtig bei der Gartengestaltung.
Ein Garten kann einerseits – etwa durch eine durchdachte Wegeführung – Selbstständigkeit ermöglichen. Andererseits stiftet er Beziehungen. Könnten Sie das ein wenig näher ausführen?
Ulrike Kreuer: Im Garten duzen sich die Leute sehr viel schneller. Man kommt hier ins Gespräch. Ich selbst werde in meinen grünen Gartenklamotten regelmäßig angesprochen. Insgesamt ist der Garten ein positiv besetzter Ort, der Raum für Beziehungen öffnet. Er ist in seiner Offenheit das Gegenteil eines Fahrstuhls, der mit seiner Enge die Beziehung zum Anderen eher verhindert – der Garten lockt dagegen förmlich in die Beziehung. Das gilt erst recht, wenn man zusammen etwas gepflanzt hat. Zusammen etwas tun, nebeneinander auf einer Bank sitzen – dieses Nebeneinander fühlt man. Kontakte werden in dieser entschleunigten Umgebung einfacher. Man muss dafür gar nicht immer aktiv und am Arbeiten sein. Überhaupt muss nicht jeder etwas machen. Schon das Zuschauen reicht zum Aufbau einer Beziehung.
Das geht ja sogar soweit, dass sogar Bettlägerige von einem Garten profitieren können, wie Sie in Ihrem Buch zeigen...?
Ulrike Kreuer: Ja – sie gucken vom Fenster aus zu. Die Nähe zum Garten kann früh den Prozess der Erkrankung verlangsamen helfen. Und wenn die Türen es zulassen, kann man die Kranken auch mit samt ihren Betten nach draußen bringen. Die Architektur spielt hier eine erhebliche Rolle. Der Garten kann auch hineingetragen werden: Eine Kiste mit Pflanzen auf dem Nachttisch, weiche Blätter auf der Haut, Körperlichkeit wahrnehmen mit Kastanien, duftendem Holunder, Minzezweige, ein Korb voller Äpfel... Wenn ich auf meiner Wiese Heuballen mache, nehme ich die mit ihren vielen Kräutern und ihrem großartigen Duft mit ins Altenheim – mitten ins Zimmer, sogar mit der Schubkarre. Übrigens wirkt schon der Anblick grün gekleideter Gärtner ganz unmittelbar – so ähnlich wie ein Schornsteinfeger, der ja bekanntlich Glück ins Haus bringt.