„Führung heißt, andere groß, nicht andere klein zu machen.“
28.11.2023 - Im Januar 2023 fand das herzchirurgische Spezialkräftetraining in Kooperation mit Spezialkräften der Bundespolizei in Berlin statt.
Olaf Lindner, Präsident der Bundespolizeidirektion 11 und ehemaliger Kommandeur der Bundespolizei-Eliteeinheit GSG 9, erklärt im Interview, warum gemeinsame Werte, eine geschulte Kommunikation und ein gezieltes Führungskräftetraining die Basis für erfolgreiche Einsätze sind.
Herr Lindner, Sie sind der Präsident der Spezialkräfte der Bundespolizei. Welche Aufgaben haben die Spezialkräfte?
Die Bekämpfung des Terrorismus, des Extremismus und der organisierten Kriminalität sind unsere Kernaufgaben. Wir stellen spezielle Fähigkeiten und Kapazitäten der Bundespolizei und externen Bedarfsträgern zur Verfügung, über die andere Behörden in Deutschland nicht verfügen. Hierfür müssen wir entsprechend trainiert und anpassungsfähig sein; mit unserem Dienstleistungsangebot streben wir stets ein hohes Qualitätsniveau an. (Infobox 1)
Welche Werte sind für die Spezialkräfte der Bundespolizei wichtig? Für welche Werte stehen Sie persönlich?
Meine Werte sind deckungsgleich mit denen der Bundespolizeidirektion 11. Im Kern sind dies Vertrauen, Integrität und Einigkeit. Diese werden im Weiteren ergänzt um Respekt, Wertschätzung, Kameradschaft, Professionalität, Zuverlässigkeit und Disziplin. Es ist wichtig, im Beruf authentisch zu sein. Authentizität von Führungskräften ist ein wesentliches Merkmal und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spüren, ob man authentisch ist oder nicht; gerade in punkto gelebter Werte.
Was muss eine Führungskraft in der Regel mitbringen?
Eine Führungskraft muss aufgeschlossen sein und gerne mit Menschen umgehen. Das wesentliche Merkmal von Führung ist das der Kommunikation. Nur wer in der Lage ist, auf Augenhöhe, von Mensch zu Mensch, und nicht in einer hierarchischen Betrachtung zu kommunizieren, der wird langfristig mit seinem Team auch großen Erfolg haben. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte eine hohe soziale Kompetenz aufweisen. Diese wird um die Fachkompetenz ergänzt. Führung ist erlernbar. In unserer Ausbildung wird daher auf das Erlernen von Führung, sprich Führungslehre und Führungsmanagement, Wert gelegt. In anderen Berufsgruppen fehlt diese Schulung von Führungskompetenz oft. Da bleibt es manchmal dem Zufall überlassen, ob jemand sozialkompetent ist oder sich selbst Führungskompetenz angeeignet hat.
Wie schulen Sie bei den Spezialkräften die soziale Kompetenz?
Zum Beispiel durch Kommunikationstrainings. Übrigens nicht nur für Führungskräfte, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die keine Führungsfunktion innehaben. Es geht um das große Ganze des Miteinanders. Wie gehen wir miteinander um? Wie verhalten wir uns respektvoll? Wie gehen wir mit differenzierten Meinungen um? Wie nehmen wir diese auf und wie kommentieren wir sie? Das sind alles Fragen, die in einem Kommunikationstraining aus- und fortgebildet werden können.
Wer schult in welchem Turnus?
Kommunikationstrainings sind Teil unserer Grundausbildung, die wir in den unterschiedlichen Spezialbereichen durchführen. Diese Kommunikationstrainings werden nicht nur von eigenen Beamten durchgeführt. Wir beauftragen zudem externe Berater, die einen geschulten Blick von außen einbringen. Das bringt erfrischende Impulse und Erkenntnisse, die uns in unserer Entwicklung weiterbringen.
Die Führungskräfte sollten also introspektionsfähig und reflektiert sein.
Das ist sehr wichtig. Sich immer mit der Meinung des Gesprächspartners auseinanderzusetzen und diese auch noch einmal zu wiederholen, um festzustellen, ob man richtig verstanden wurde, ist entscheidend. Das macht ein reflektiertes Gespräch aus. Des Weiteren sollten Führungskräfte fähig sein, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und sich selbstkritisch zu beleuchten.
Führen und Folgen. Kommunikation auf Augenhöhe und Befehlshierarchie. Wie findet das einen Konsens?
Ja, das ist eine sehr wichtige Frage. Ich denke, man muss unterscheiden zwischen Alltagssituationen und besonderen Situationen, wie sie zum Beispiel bei uns im Einsatz unter Zeitdruck entstehen können.
Einsatzmannschaft der Bundespolizei-Eliteeinheit GSG 9 (Mit freundlicher Genehmigung der Bundespolizei)
Wichtig ist, dass wir im Alltag ein gegenseitiges Verständnis schaffen, ein gegenseitiges Vertrauen aufbauen und unabhängig von Rang, Namen und Funktion miteinander kommunizieren können. Dass man die Hierarchie nicht immer ganz ausblenden kann, liegt in der Natur der Sache und des Menschlichen. Aber ich halte wenig von Vorgesetzten oder von Chefs, die versuchen, über ihre Amtsautorität, das heißt, über ihre Funktion und über ihren Status zu führen. Das ist mir zumindest in der Erwartungshaltung gegenüber meinen Führungskräften fremd. Ich wünsche mir das Gespräch und die Kommunikation auf Augenhöhe, in erster Linie die soziale und fachliche Kompetenz und nicht den Status. Und wenn Sie diesen Grundansatz in der täglichen Kommunikation befolgen, dann gelingt es Ihnen auch, Hierarchien zu reduzieren. Sie ganz auszublenden ist schwierig, aber Sie können sie reduzieren. Hier muss die Kommunikationsschulung immer funktionsbezogen und wertebasiert durchgeführt werden.
Warum halten Sie die Reduktion von Hierarchien für wichtig? Welche Vorteile sehen Sie hier?
Ich bin überzeugt, dass zu starke und zu strenge Hierarchien Menschen in ihrer Entwicklung, im Sinne einer Verbesserung einschränken. Das heißt, Hierarchie kann ein wesentlicher Kreativblocker sein. Und wir wollen ja gerade als Spezialkräfte kreativ sein. Wir und unser Miteinander wollen innovativ sein, nicht nur technologisch, sondern auch was unsere taktischen Ideen anbelangt. Je mehr Freiraum ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebe, das heißt, je weniger ich Wert auf Hierarchie lege und je mehr ich Entwicklung zulasse, desto mehr Kreativität und Ideen darf ich auch erwarten. Das ist dann für das Gesamte, als großes Team, für die Organisation von wesentlichem Wert.
Gibt es dennoch Ausnahmen, bei denen eine Rückkopplung der Kommunikation im Team nicht stattfinden kann?
Es gibt besondere Situationen, in denen Sie sehr schnell nur aufgrund Ihrer Erfahrung und auch Ihrer Intuition Entscheidungen treffen müssen. Da gibt es nicht mehr die Möglichkeit einer kommunikativen Rückkopplung. Zum Beispiel, wenn es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelt und die Führungskraft jetzt für ihre Kräfte entscheiden muss, was gemacht wird. Alle Augen schauen dann auf die Führung und erwarten eine kompetente Entscheidung, die dann auch u.U. unmittelbar, ohne eine zeitliche Rückkopplung, umgesetzt wird. Damit dies funktioniert, muss das Alltagsverhältnis von adäquater Kommunikation, Vertrauen und Wissen um die Führungseigenschaften geprägt sein. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Krisenbewältigung, in der dann auch mal sehr schnelle Anweisungen umgesetzt werden müssen. In Hierarchien mit einer ausufernden Amtsautorität haben Mitarbeiter möglicherweise Angst, sich überhaupt zu äußern und Ideen einzubringen. Ein weiteres Argument für Freiraum in der Alltagskommunikation. Wir bereiten unsere Einsätze nach: Zum einen mit einem sogenannten Hot Wash-Up. Bei diesem soll, auch aus der Emotionalität heraus, kurz der individuelle Eindruck mitgeteilt werden. Zum anderen erfolgt ein detailliertes und umfangreiches Debriefing und eine Aufbereitung mit dem Fokus auf Optimierung; die sogenannte Cool-down-Phase. Wir wollen uns ständig verbessern; streben nach einem besonderen Leistungsniveau. Und das heißt, dass man die Dinge, die nicht gut gelaufen sind, reflektiert, bewertet und optimiert. Dies gehört zu unserer etablierten Fehlerkultur.
Die Führungskraft als Vorbild. Welche Anforderungen stellen Sie?
Die Orientierung an bestimmten Personen oder Vorbildern kann selbstverständlich eine große Rolle spielen. Vorgesetzte können eine große abschreckende Wirkung haben. Vorgesetzte können aber auch eine stark motivierende Wirkung haben, das Team für etwas zu begeistern, für etwas Interesse zu entwickeln. Bei Spezialkräften ist grundsätzlich die charakterliche Eignung im Vordergrund, die auch unser Werteverständnis impliziert. Der zweite wesentliche Punkt sind die intellektuellen Fähigkeiten. Der dritte Punkt ist die Physis, eine besondere physische Leistungsfähigkeit und auch Belastbarkeit. Selbstverständlich müssen die Führungskräfte Vorbilder sein. Dazu braucht es Führungseignung. Sie müssen also auf der einen Seite geeignet sein, Führungsfunktionen wahrzunehmen. Das kann man feststellen bei Situationstrainings, in denen man Menschen vor besondere Herausforderungen stellt. So wie Sie dies im Spezialkräftetraining GermanHearts gemacht haben. Man schildert ihnen gewisse Szenarien, die Sie lösen sollen, und stellt ihnen ein Team zur Seite. Auf der anderen Seite braucht es Durchsetzungsfähigkeit, eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, Führungsneigung, den Willen zur Führung. Durchhaltefähigkeit und Durchhaltewille kann man selbstverständlich auch trainieren.
Im Operationssaal kommen Teams zusammen, die nicht zusammen trainiert sind. Sich unter Umständen auch nicht gut kennen. Was bedeutet das für die Verantwortlichen?
Ja, da ist dann eine Führungskraft gefragt. Je weniger das Team eingespielt ist, desto wichtiger ist es, dass die Führungskraft in so einem Moment dieses Team schnell zusammenführt und auch führt. Führung muss dosiert werden. Je weniger das Team im Vorfeld zusammengearbeitet hat, desto mehr Führung ist gefragt. Wenn Sie ein gut eingespieltes Team haben, brauchen Sie kaum noch zu führen.
Herzchirurgie und Bundespolizei sind gleichermaßen auf Nachwuchs(-führungskräfte) angewiesen. Wo sehen Sie die Parallelen bzw. Herausforderungen?
Ich habe neulich einen Vortrag von einem Klinikdirektor einer psychiatrischen Klinik in Berlin gehört. Dem haben wir diese Frage gestellt, „Wie sieht die Nachwuchssituation bei Ihnen aus?“ Seine Antwort lautete: „Ich finde schon genügend Leute. Aber jeder junge Studienabsolvent, jeder Jungmediziner, der jetzt zu mir zum Vorstellungsgespräch kommt, erklärt, dass die vorgeschriebene Arbeitszeit nicht überschritten werden sollte.“
Ich persönlich denke, die Generationen müssen sich aufeinander zu bewegen. Beide Seiten. Wir haben besonders herausfordernde und fordernde Berufe. Mit dem Begriff Work-Life-Balance kann ich allerdings nicht viel anfangen, weil Work und Life zusammengehören. Für die Spezialkräfte gilt, dass wir unsere Ansprüche an den Nachwuchs nicht senken können und wollen. Das wäre ein Qualitätsverlust. Mit einer entsprechenden Behörden- und Führungskultur können wir aber junge Menschen erreichen und begeistern. Diesen Nachwuchs möchten wir dann auch gewinnen und ausbilden.
Life und Work. Wie schöpfen Sie Kraft außerhalb des Dienstes?
Vor allem durch die Familie und Freunde, Sport, Lesen und Musik.
Was würden Sie sich persönlich in punkto Kommunikation von der Medizin im Allgemeinen wünschen?
Dass man mehr Zeit für den Patienten hat und mehr an dem Menschen als an dem Fall interessiert ist und man versucht, eine Gesamtsituation zu erfassen und laienverständlich zu kommunizieren. Ich habe Ärzte erlebt, um auch Positivbeispiele zu nennen, die haben sich intensiv mit einem befasst und Zeit genommen, weil sie gesehen haben, dass ein physisches Symptom viele Ursachen haben kann. Das erwarte ich von Ärzten. Ich erwarte auch von unseren Führungskräften, dass sie sich ein dezidiertes Bild machen.
Herr Lindner, vielen Dank für das Gespräch!
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