Aus den Kliniken

Gezielte Suche nach Spinaler Muskelatrophie

30.03.2022 - Am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden erhielten in den vergangenen Wochen zwei Neugeborene die AAV9-Vektor basierte Genersatztherapie mit Onasemnogen-Abepavovec (Zolgensma) gegen die angeborene Spinale Muskelatrophie (SMA). Entdeckt wurde die neurologische Erkrankung der Säuglinge im Rahmen des Neugeborenenscreenings, das erst zum 1. Oktober 2021 bundesweit um die SMA erweitert wurde.

Peter und Sofia Elena sind die ersten beiden Kinder, bei denen die Gentherapie am Dresdner Uniklinikum so zeitig – vor Symptombeginn („präsymptomatisch“) - verabreicht werden konnte. Bisher ließ sich die Erkrankung erst dann diagnostizieren, wenn („symptomatisch“) erste motorische Defizite aufgetreten waren. Im Rahmen des erweiterten Screeningprogramms ist die Erkrankung in diesem Jahr bereits bei zwei neugeborenen Kindern diagnostiziert worden.

„Peter und Sofia Elena haben die Gabe des Medikaments problemlos vertragen, so dass sie bereits entlassen werden konnten. Beide Säuglinge kommen in den nächsten Monaten nun wöchentlich zu ambulanten Nachsorge-Kontrollen in die Klinik“, sagt Prof. Maja von der Hagen, Leiterin der Abteilung Neuropädiatrie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. „Dies sind die ersten Kinder, dem unser Team das Medikament noch vor Auftreten erster Symptome geben konnte. Die uns vorliegenden wissenschaftlichen Daten bestärken uns in der Hoffnung, dass die Neugeborenen dank dieser frühen Gabe keine oder nur geringe Symptome entwickeln wird oder möglicherweise sogar als geheilt gelten können.“

Die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine Erkrankung der Nerven des Rückenmarks (Motoneurone), durch die willkürlichen Bewegungen der Muskulatur gesteuert werden. Sie gehört zu den seltenen Erkrankungen. Ungefähr eines von 6 bis 10.000 Neugeborenen ist betroffen. Der schleichende Untergang der motorischen Nervenzellen macht sich bei Babys dadurch bemerkbar, dass sie sich motorisch nicht altersgerecht entwickeln oder gar bereits gezeigte Fähigkeiten – etwa sich selbstständig zu drehen – wieder verlieren. Weil diese Veränderungen bei Geburt in der Regel nicht erkennbar sind, ließ sich die Diagnose ohne das Neugeborenen-Screening zumeist erst nach Beginn von Symptomen in den ersten Lebensmonaten oder ersten Lebensjahren stellen. Dementsprechend spät erfolgte bisher der Start der Therapie. Dann jedoch sind die entsprechenden Nerven – die Motoneuronen - bereits unumkehrbar geschädigt.

Ursache für die Spinale Muskelatrophie ist ein Gendefekt. Eigentlich produziert das im Chromosom 5 lokalisierte Gen das „Survival-of-Motor-Neuron-Protein, das für das Überleben und die Gesundheit der Motoneurone entscheidend ist. Bei SMA-Betroffenen ist dieses Gen so verändert, dass die Bildung dieses Eiweißes nicht mehr sichergestellt ist und es so zum schleichenden Untergang der Motoneurone kommt. Sie schrumpfen und sterben schließlich ab. Damit können diese Nerven immer weniger und schließlich gar keine Signale mehr an die Muskelzellen senden. Die Muskeln werden so immer schwächer und bilden sich schließlich zurück. Da die Spinale Muskelatrophie fortgeschrittenen Stadium auch die Atemmuskulatur betrifft, verläuft sie häufig tödlich und zählt insbesondere bei den schweren Verlaufsformen zu den lebenslimitierenden Erkrankungen des Kindesalters.

„Die Therapie der beiden Neugeborenen ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, welche Erfolge durch die innovative Arbeit der Hochschulmedizin möglich werden“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums. „Bemerkenswert, dass die Grundlagen für die jetzt sehr frühzeitig begonnene Therapie bereits vor 31 Jahren geschaffen wurden. Damals begannen die beiden sächsischen Uniklinika mit dem Neugeborenenscreening. Wie später mit dem Aufbau des UniversitätsCentrums für Seltene Erkrankungen (USE) ist das Dresdner Uniklinikum hierbei in Vorleistung gegangen und hat so Standards geschaffen, die heute breite Anerkennung erfahren. Doch die größte Genugtuung für mich und das ganze ärztliche und pflegerische Team ist es, Kindern wie Sofia Elena und Peter durch Frühdiagnostik und Gentherapie die Chance auf ein Heranwachsen ohne schwere Einschränkungen zu ermöglichen!“

Der Gabe des Gen-Therapeutikums gehen aufwändige Untersuchungen voraus. So muss beispielsweise im Vorfeld so weit als möglich abgeklärt werden, ob das Medikament keine schwerwiegenden Reaktionen im Organismus auslöst. Die Infusion wird auf der pädiatrischen Intensivstation der Dresdner Uni-Kinderklinik gegeben. So können die Säuglinge während und die Stunden nach der Infusion engmaschig überwacht werden. Die Entscheidung für die Gentherapie muss im Vorfeld einer umfassend vorbereitet werden. Diese aufwändigen Vorarbeiten und auch die engmaschige ambulante Nachsorge der Kinder mit SMA-Diagnose können nur hochspezialisierte Teams leisten, von denen es neben dem Dresdner Uniklinikum laut der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke deutschlandweit noch 19 weitere Behandlungszentren gibt. Wie auch bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen wird dieser hohe finanzielle Aufwand durch die Krankenkassen jedoch nicht adäquat erstattet.

Seit 1991 untersuchen sächsische Uniklinika gezielt das Blut von Neugeborenen

Das Screeningzentrum Sachsen wird seit 1991 gemeinsam von den Universitätskliniken Dresden und Leipzig für den Freistaat Sachsen betrieben. Dabei wird den Neugeborenen bereits am dritten Lebenstag Blut aus der Ferse des Kindes entnommen und auf seltene Erkrankungen untersucht. Erfasst werden dabei derzeit 19 Zielkrankheiten, darunter 15 Stoffwechselkrankheiten, zwei Hormonstörungen, die Mukoviszidose und schwere kombinierte Immundefekte sowie SCID. Zuletzt wurden zum 1. Oktober 2021 die Spinale Muskelatrophie und die Sichelzellanämie in das Neugeborenenscreening aufgenommen. „Im gemeinsam mit dem Uniklinikum Leipzig betriebenen Screeningzentrum Sachsen können wir nunmehr für alle in im Freistaat geborenen Kinder auch diese Untersuchung anbieten. Das waren in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres rund 9.000 Kinder, ein Drittel der Neugeborenenscreening-Untersuchungen übernimmt dabei das Screeninglabor hier in Dresden“, sagt Dr. Peter Mirtschink, Leiter des Bereichs Stoffwechseldiagnostik, Neugeborenenscreening am Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin des Dresdner Uniklinikums. Sein aus sechs Mitarbeitenden, einem Facharzt und einem Arzt in Weiterbildung bestehendes Team war wesentlich an der Etablierung der neuen Methoden beteiligt. Rund 14.000 Kinder aus einem Einzugsgebiet zwischen Riesa; Görlitz, Brandenburg und der Landesgrenze zu Tschechien wurden im vergangenen Jahr untersucht. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer der gescreenten Erkrankungen liegt dabei in etwa bei einer auf 1.000 Geburten.

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Universitätsklinikum Carl Gustav Carus ­Dresden

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