Infektion mit Fernsteuerung: Neue Erkenntnisse zur Shigellose
19.01.2024 - Bakterien der Gattung Shigella, eng verwandt mit dem bekannten E. coli, sind die zweithäufigste Ursache für tödlich verlaufende bakterielle Durchfallerkrankungen, mit weltweit über 200.000 Opfern pro Jahr.
Ausbrüche von Stämmen, die gegen gängige Antibiotika resistent sind, treten immer häufiger auf. Um Shigella und andere krankheitserregende Bakterien besser in den Griff zu bekommen, suchen Forschende weltweit nach neuen therapeutischen Angriffspunkten. Nun lieferten Marburger Forscherinnen und Forscher Einblicke in die bakterielle Genregulation der Bakterien, die gleichzeitig zu einem besseren Verständnis ihrer Infektionsfähigkeit beitragen.
Einem Team um Prof. Dr. Martin Thanbichler, Max-Planck-Fellow am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und Professor für Mikrobiologie an der Philipps-Universität Marburg, gelang kürzlich die Entdeckung und Aufklärung eines speziellen bakteriellen Schalters, der die Verteilung des Erbguts bei der Zellteilung steuert. Nun zeigt sich, dass derselbe Mechanismus auch für die Regulation bakterieller Gene von Bedeutung ist.
Die Forschenden untersuchten den Infektionsprozess des Bakterienruhr-Erregers Shigella flexneri. Dabei konnten sie nicht nur den Regulationsprozess aufklären, sondern auch wichtige Informationen liefern, wie das Bakterium diesen Mechanismus nutzt, um die Infektion zu steuern. Ihre Ergebnisse liefern mögliche neue Ansatzpunkte zur Bekämpfung dieser und verwandter bakterieller Krankheitserreger.
Ein ungewöhnlicher Schalter mit weitreichender Bedeutung
Der molekulare Schalter, den das Team vor wenigen Jahren fand, hat eine ungewöhnliche Eigenschaft: sein An- und Ausschalten basiert auf CTP, dem Ribonukleotid und RNA-Baustein Cytidin-Triphosphat (das chemisch verwandte Adenosin-Triphosphat, ATP, ist auch als universeller Energieträger biologischer Prozesse bekannt). Da die Fähigkeit zur Bindung und Spaltung von CTP voraussichtlich bei vielen bakteriellen Proteinen besteht, vermuten die Forschenden, dass es sich dabei um ein grundlegendes, bislang unentdecktes Steuerungsprinzip handelt. Dieses könnte auch für den Menschen relevante bakterielle Prozesse betreffen. Tatsächlich fanden sie heraus, dass die Regulation von Virulenzgenen bei Shigella über einen CTP-abhängigen Schalter erfolgt, der für das Infektionsgeschehen von zentraler Bedeutung ist.
Grundsätzlich verdanken Shigella und verwandte Bakterien ihre Infektionsfähigkeit, aber auch ihre Resistenz gegen Antibiotika einer besonderen Ausstattung: Plasmide, ringförmige DNA-Moleküle, die unabhängig vom eigentlichen Genom vererbt oder weitergegeben werden. Bereits vor 20 Jahren wurde ein Protein namens VirB entdeckt, das als so genannter Transkriptionsfaktor das Ablesen mehrerer Gencluster auf dem Shigella-Virulenzplasmid steuert und damit die Fähigkeit der Bakterien, menschliche Darmzellen zu infizieren, kontrolliert. Trotz langjähriger Forschung blieb der Mechanismus, mit dem VirB die Genexpression steuert, völlig im Dunkeln.
„Ferngesteuertes“ Anschalten der Shigella-Infektion
Bemerkenswert ist, dass VirB nicht zu den klassischen Transkriptionsfaktoren gehört. Es ist vielmehr mit derselben Klasse von Proteinen verwandt wie die CTP-abhängigen Schalter, die helfen, die Erbinformation von Bakterien bei der Zellteilung reibungslos auf die Tochterzellen zu verteilen. „Die Stelle, an der VirB an die DNA bindet, ist überraschend weit von seinen Zielgenen entfernt. Es war unklar, wie es über so große Distanzen aktiv sein kann“, sagt Sara Jakob, Erstautorin der Studie, die in Nature Communications erschienen ist.
„Bioinformatische Strukturvorhersagen deuteten darauf hin, dass VirB CTP binden könnte. Unsere Untersuchungen haben dann gezeigt, dass es tatsächlich auch einen CTP-abhängigen Schaltmechanismus nutzt, um die Expression von Virulenzgenen zu steuern“, ergänzt Prof. Thanbichler.
Dank eines methodisch breiten Ansatzes gelang es, den Mechanismus aufzuklären: Das Protein interagiert mit seiner Bindestelle auf der DNA und legt sich ringförmig um das DNA-Molekül, wobei CTP den VirB-Ring wie ein doppelseitiges Klebeband in einem geschlossenen Zustand hält. In dieser Form gleitet VirB dann seitlich an der DNA entlang, so dass die Bindestelle wieder zugänglich wird und weitere VirB-Moleküle geladen werden können. Diese verändern dann die Struktur der DNA, so dass die Zielgene abgelesen werden können. Der CTP-abhängige Lade- und Gleitmechanismus ermöglicht es VirB, als molekularer Schalter die Genexpression während der bakteriellen Pathogenese aus der Ferne zu steuern.
CTP-Abhängigkeit als möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien
„Mutationen, die die Bindung von CTP verhindern, blockieren das Laden von VirB auf die DNA in vitro und unterdrücken die Bildung von VirB-DNA-Komplexen sowie die Expression von Virulenzgenen in Shigella-Zellen“, erklärt Sara Jakob.
Da dieser Schaltertyp beim Menschen nicht vorkommt, könnte VirB ein Angriffspunkt für neuartige Therapeutika sein, die spezifisch die Virulenz von Shigella unterdrücken und so eine bessere Behandlung der Shigellose ermöglichen, hofft Martin Thanbichler: „Unsere Arbeiten liefern den ersten Nachweis eines CTP-abhängigen Schalters, der an der Genregulation beteiligt ist. Sie zeigen damit, dass diesem neu entdeckten Regulationsprinzip in Bakterien eine weitreichende Bedeutung bei der Steuerung biologischer Prozesse zukommt.“
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