Klinik aus Holz
10.05.2022 - Holzbau schont Ressourcen und Umwelt. Langsam schwappt diese Einsicht auch in den Geschossbau über. Erste Kliniken in Holzbauweise entstehen wie ein Beispiel aus Baden-Württemberg belegt.
Kliniken und Pflegeheime in Holzbauweise sind extrem rar. In Baden-Württemberg gibt es nach Internetrecherchen aktuell genau zwei. Die erste ist ein viergeschossiger Erweiterungsbau in Baden-Baden. Er dient einer Klinik als Bettenhaus und wird 2017 gebaut. Die zweite „Holzklinik“ ist ein Solitär und steht in Pforzheim. „Vor kurzem wurde der Bau offiziell an den Mieter übergeben“, sagt Monika Seckler-Fleischer, Geschäftsführerin der Palm KG mit Sitz in Schorndorf bei Stuttgart. Diese errichtet im Pforzheimer Ortsteil Sonnenhof den Holzneubau, in den ein betreutes Wohnen mit acht Intensivpflegebetten einzieht.
Herausforderung Brandschutz
Der Termin kommt schneller als erhofft und später als geplant. Das Pforzheimer Bauamt stuft das Gebäude als Krankenhaus und somit als Sonderbau ein. Einher gehen damit verschärfte Verordnungen wie schwere Brandschutztüren sowie die Verkapselung aller hölzernen Rohbauelemente. Die Brandschutzqualität „K2 60“ ist das Stichwort. Sie besagt, dass alle Holzbauteile mit Gipsfaserbauplatten ummantelt sein müssen. Damit die Brandlast möglichst gering ist und genügend Zeit bleibt, Pflegebedürftige im Brandfall zu evakuieren. Das Problem: diese Art des Holzbaus bedarf eines speziellen Zertifikats. In ganz Süddeutschland haben nur etwa 25 Betriebe diese Zulassung. Die Produktion des Kapselkriteriums K2 60 bedarf neben einer bauaufsichtlichen Zulassung auch einer regelmäßigen Überwachung von Dritten, etwa der Technischen Universität München.
Nachdem der Vertrag mit dem ursprünglichen Generalunternehmen wegen dieser Vorgabe scheitert, vergibt die Immobilienfirma Palm alle Gewerke binnen sechs Wochen einzeln. Das gelingt, weil mit Palm-Geschäftsführer Daniel Mudroh ein Bautechniker und Immobilienfachwirt die Baustelle technisch und kaufmännisch eng begleitet und sogar Kosten spart.
2,5 Millionen-Projekt
So findet der Projektentwickler aus Schorndorf mit der Firma Holzbau Schaible aus Schönbronn den passenden Partner. Der Schwarzwälder Familienbetrieb beschäftigt 35 Mitarbeiter und kann die vom Amt geforderte Qualität liefern. Binnen sechs Wochen stehen Wände und Decken. Und weil das 800 qm Nutzfläche umfassende Gebäude in Holzbauweise zum Großteil vorgefertigt ist, gehen die Restarbeiten wie Elektro- und Sanitärinstallation schneller als bei einem herkömmlichen Ziegel-Beton-Haus. Das 2,5 Millionen-Projekt kann 2021 an den Mieter übergeben werden. Betreiber ist die Firma Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke, die mit dem Standort Pforzheim in Summe sechs Wohngemeinschaften mit 50 Intensivpflegebetten betreibt.
Dreistöckiges Holzhaus
„Durch die Suche nach einem passenden Holzbaubetrieb findet die Übergabe rund elf Monate später statt als geplant“, sagt Seckler-Fleischer. Die erhoffte Zeitersparnis, die sich die Palm-Gruppe durch den Einsatz des Holzbaus erhofft, bleibt durch den Bauverzug auf der Strecke. Wirtschaftlicher sei das dreistöckige Holzhaus aber dennoch, so die Geschäftsführerin, die jederzeit wieder in Holz bauen würde, sich im Vorfeld allerdings enger mit dem zuständigen Bauamt abstimmen. „Sonderbau in Holz lässt hinsichtlich Verordnungen Interpretationsspielraum“, sagt die Immobilienexpertin diplomatisch und führt ein Beispiel an: Statt jedes Bewohnerinnenzimmer in feuerbeständiger Holzqualität zu separieren, dienen nun Evakuierungsdecken dem Schutz der Patienten. Denn Intensivpflege bedeutet, dass bei einem Alarm rund um die Uhr Pflegepersonal binnen zwei Minuten am Bett sein muss. Kliniktypisch gibt es Kodra-Spülen, Wannenlifte, eine Brandmeldeanlage und ein Notstromaggregat ist vorgerüstet. Auch der Betreuungsschlüssel ist deutlich höher als in einem Pflegeheim. Um acht Bewohnerinnen kümmern sich pro Schicht vier Pfleger. Mehrkosten für die Holzbau-Qualität, die etwa bei zehn Prozent der Bausumme liegen, sind nach Auffassung der Bauherrin, und schlussendlich auch der Baubehörde, daher nicht zu rechtfertigen.
Standortentwicklerin
Seckler-Fleischer betont, dass sich die Firmengruppe in Pforzheim als Standortentwicklerin sehe – und eben nicht als Bauträger, der nach Fertigstellung des Gebäudes verschwinde. Das zeige sich daran, dass die Firmengruppe bereits 2011 den Großteil des Areals mit Apotheke, Supermarkt und betreutem Wohnen erwirbt und aufwändig saniert. „Um unser pflegerisches Standortkonzept zu realisieren, haben wir damals mit sieben Grundstückseigentümerinnen verhandelt“, verdeutlicht Seckler-Fleischer das kleinteilige Engagement, das sich nun auf der Baustelle fortsetzt.
13. Standort
Der nun fertige Neubau ist der dreizehnte Standort der Firmengruppe. Ausgangspunkt der in zentraler Lage liegenden Objekte ist – bis auf Sachsen – immer eine Apotheke. Diese Struktur geht auf das Schorndorfer Unternehmens- und Stifterpaar Dr. Maria und Johann-Philipp Palm zurück. In ihrem Lebenswerk spiegelt sich die fast 400 Jahre alte Apotheken- und Ärztetradition der württembergischen Familie. Gewinne aus den Immobiliengeschäften fließen in die Palm-Stiftung. Der Verein setzt sich für Bildung und Forschung sowie für Meinungs- und Pressefreiheit ein. Stiftungsgründerin Dr. Maria Palm arbeitet übrigens in den 1970-er Jahren persönlich in der Apotheke im Sonnenhof.
Info Holz
Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, er bietet gute Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaften und hat ökologische Vorteile gegenüber anderen Materialien im Bauwesen. Bei deren Herstellung werden fossile Energieträger eingesetzt. Holz dagegen wird mit Sonnenenergie produziert. Dabei entzieht es der Atmosphäre während des Wachstums das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), das als Kohlenstoff in Holzprodukten über die gesamte Nutzungsdauer gebunden bleibt.
Wenn der Wald einen Festmeter Holz produziert, entnimmt er der Luft rund eine Tonne CO2. Dabei werden 250 kg Kohlenstoff in Holz, Rinde, Zweigen, Blättern sowie in Wurzeln gebunden und 750 kg Sauerstoff freigesetzt. In Gebäuden aus Holz bleibt der Kohlenstoff über Jahre gebunden. Durch ein Einfamilienhaus in Holzbauweise mit etwa 30 Kubikmetern Holz in der Konstruktion werden der Atmosphäre dauerhaft 25 Tonnen CO2 entzogen.