Korkspindel und Morgentau
Ein Bilderkonzept für die Palliativstation Evangelisches Krankenhaus Oldenburg
Mit ihrer Kreativität möchten sie die Umgebung, in der sie leben, angenehm und für das Auge sehenswert gestalten – das kann wesentlich zur Zufriedenheit und einem Wohlgefühl einer Gemeinde beitragen. Wie lässt sich das auf den Bereich der Schwerstkrankensorge übertragen? Diese Frage stellt sich die Architektin, Designerin und Naturfotografin Heike Ulrich in ihrem Beitrag für medAmbiente – und sie stellt einige Beispiele vor, bei denen sie sich dabei kreativ mit den Bedürfnissen der Menschen auseinandersetzt.
Gesunde und kranke Menschen brauchen gleichermaßen Räume für sich, in denen sie sich wohlfühlen können. Schwer erkrankte Personen haben allerdings häufig nicht mehr die Möglichkeit, die Kraft und die Ausdauer, selbst phantasievoll und gestalterisch tätig zu werden. Jedoch findet sich gerade bei Patientinnen und Patienten mit begrenzter Lebenszeit ein ästhetisches und feinsinniges Empfinden. Erinnerungen an vergangene Jahre, an die Berufszeit, an Urlaube, an liebe Menschen prägen die Gedanken der Betroffenen.
Sensibilität aller Beteiligten ist gefragt. Der Auftrag einer Palliativstation besteht ja darin, den betroffenen schwerkranken Menschen mit Symptomen wie beispielsweise Schmerzen, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen und Atemnot medizinisch und pflegerisch zu helfen, ihnen vorausschauende gute Versorgungsangebote anzubieten und zusammen mit den Angehörigen möglichst viel Lebensqualität zu ermöglichen.
Der Aufenthalt in der Klinik variiert zwischen Stunden, Tagen und Wochen. Mit Hilfe der Visualisierung von Naturbildern wurde im Frühling 2020 auf der Interdisziplinären Palliativstation des Evangelischen Krankenhauses in Oldenburg ein Bilderkonzept umgesetzt, das es in dieser Form vorher nie gab. In einer von Covid-19 geprägten schweren Zeit hat den Patienten und Mitarbeitern trotz Mund-Nase-Schutz der Blick auf wunderschöne Naturfotografien sehr geholfen.
Emotionen und Erinnerungen
„Mein absoluter Favorit ist der Korkspindelstrauch an der Kopfseite des Flures. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich an diesem großformatigen Bild vorbei zu meinem Arbeitsplatz gehe“, sagt eine Pflegefachfrau. Emotionen spielen bei Schwerstkranken eine große Rolle und so können natürlich auch Fotos ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen. Erinnerungen werden wach und stimmen positiv in schwerkranker Zeit.
„Die Bilder erinnern mich an meine Spaziergänge durch Wald und Flur“, so ein 77-jähriger Patient. „Ja, einen Fotoapparat hatte ich auch dabei, allerdings sind meine Aufnahmen nicht so professionell ausgefallen. Ich mag die vielen unterschiedlichen Details“. Ob Blüten, Gräser, Knospen, fliegende Samen oder auch der Morgentau mit seinen schillernden Tropfen – die vielfältigen Motive entführen den Betrachter in bekannte oder auch neu zu entdeckende Naturwelten. Unterschiedliche Maße und variierende Farben stimmen das Auge des Beobachtenden immer wieder auf spannende Details ein.
„Wenn ich die Bilder anschaue, werde ich schon etwas wehmütig. So gern würde ich selbst in die Landschaft gehen und die Jahreszeiten mit meinen eigenen Augen verfolgen, aber ich weiß, dass ich es nicht mehr schaffen werde.“ (Patientin, 57 J.)
Gerade die Natur vermag den Menschen dort abzuholen, wo er ist. Eine positive Assoziation zum Erlebten, zum Erlernten, letztlich zum Leben und Vergehen vollzieht sich bei näherer Betrachtung. Mit ihren Bildern holt Heike Ulrich die Natur mit all ihren Besonderheiten in die Räume, die dem kranken Menschen zur Verfügung stehen. Die Außenwelt wird ansatzweise zur Innenwelt und belebt den Alltag vor Ort.
„Immer wenn ich hier oben auf den Flur komme, freue ich mich über die schönen Motive der Bilder. Sie beflügeln mich in meiner Stimmung und lassen meinen Tag gut beginnen.“ (Pfarrerin, 48 J.)
Wie lässt sich nun ein derartiges Bilderkonzept auf einer Palliativstation umsetzen?
Glücklicherweise fand die Idee für eine ständige Ausstellung schon 2019 ein entsprechendes Echo bei der Leitung, so dass mit Begehung der Station und Auswahl der Bilder begonnen werden konnte. Der große Vorteil der Bildergeschichten besteht darin, dass der gesamte Flur im hellen Obergeschoss ausgestattet werden konnte und keine Unterbrechung bestand. So wurden 14 Patientenzimmer sowie die Palliativambulanz in das Gesamtkonzept einbezogen. Alle PatientInnen sowie MitarbeiterInnen haben die Möglichkeit, die Bilder anzusehen und in sie einzutauchen. So gibt es bei dem einen oder der anderen auch schon Lieblingsbilder. Heike Ulrich verfügt über eine immense Auswahl an Fotos, so dass es immer schwieriger wurde, eine Auswahl zu treffen. Schließlich entschied sie sich dazu, für möglichst alle potentiell Betrachtenden stimmige Motive zu finden.
Besonders gut gefällt den Vorbeigehenden ein großes beleuchtetes Bild mit einem Zitat von Martin Buber. Es hängt mittig vom Flur und zieht unweigerlich alle Aufmerksamkeit auf sich. Schöne Ideen gibt es natürlich viele, aber woher kommt die Finanzierung?
Ein spezielles Spendenkonto des Interdisziplinären Palliativzentrums ermöglichte die Realisierung des Bilderkonzeptes. Letztlich konnte so den SpenderInnen und PatientInnen etwas zurückgegeben, bzw. für die Zukunft Sinnvolles entwickelt werden.
Die Aufnahmen wurden auf Stoff gedruckt und in einen Aluminiumrahmen gespannt. Diese Art der Darstellung von Naturmotiven vermittelt eine warme atmosphärische Gesamtkonzeption der Bilder. Selbst hygienische Standards können eingehalten werden. Neben den Naturfotografien auf dem Flur gibt es in einigen Zimmern auch sogenannte Wolkensegel, die an der Decke angebracht sind und dem Patienten den Blick auf eine ansonsten wenig attraktive Fläche ersparen. Auch hier gibt es die Möglichkeit der Verwendung von vielfältigen Naturmotiven. Der Patient kann beispielsweise durch einen Baum hindurch in den Himmel schauen, aber genauso eine Blütenpracht genießen oder sich am „Strand aufhalten“. Der Fundus an Bildern ist groß und wächst stetig, da Frau Ulrich unermüdlich auf Entdeckungstour unterwegs ist.
Auf einer Palliativstation werden schwerstkranke Menschen betreut. Ihre Notlagen, Sorgen und Ängste können nicht durch und mit Bildern gemildert werden. Aber der Anreiz für die Sinne, für Phantasie, Erinnerungsvermögen und somit für einen kleinen Teil von Lebensqualität kann vielleicht entdeckt werden.
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