Lotsen in der Notaufnahme
23.02.2024 - An der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) startet ab April 2024 ein Projekt, in dem ehrenamtlich Tätige und geschulte Begleiter*innen in der Notaufnahme bei der Betreuung von älteren Notfallpatient*innen mit beginnender Demenz unterstützen.
Das Projekt „Notaufnahmelotsen“, das ebenfalls an zwei weiteren universitären Kliniken in Deutschland durchgeführt wird, fördert der Hirnliga e. V. mit je 30.000 Euro pro Standort.
Laut der Robert Bosch Stiftung werden in Deutschland zirka 20 Millionen Patient*innen pro Jahr in Notaufnahmen vorstellig. Demographisch bedingt wird der Altersdurchschnitt dieser Menschen zunehmend höher. Ältere Notfallpatient*innen, insbesondere mit beginnender Demenz, die sich beispielsweise in zunehmender Vergesslichkeit äußert, haben ein erhöhtes Risiko für einen ungünstigen Verlauf in Bezug auf Sterblichkeit, Liegedauer sowie die Wiederaufnahme in eine Notaufnahme. Insbesondere ein Delir, ein Zustand akuter Verwirrtheit, beziehungsweise dessen Entwicklung während des Aufenthalts in der Notaufnahme ist vor allem bei älteren Patient*innen mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeitsrate verbunden. Vor diesem Hintergrund fordern verschiedene Fachgesellschaften sowie die nationale Demenzstrategie der Bundesregierung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass es bei dieser Patient*innengruppe erst gar nicht zu einem Delir in Notaufnahmen kommt. Gleichzeitig gewinnen Vorsorgemaßnahmen an Bedeutung, um einen Verwirrtheitszustandes zu vermeiden. Hierbei sollen die Notaufnahmelotsen unterstützen. In einer Pilotstudie von Mai bis Oktober 2019 in der Zentralen Notaufnahme am Campus Benjamin Franklin der Charité - Universitätsmedizin Berlin konnte bereits ein positiver Effekt von ehrenamtlich Tätigen und speziell geschulten Begleiter*innen bei der Betreuung älterer Notfallpatient*innen mit Demenz im Anfangsstadium in Notaufnahmen beobachtet werden. Während der sechsmonatigen Studie begleiteten neun Notaufnahmelotsen insgesamt 112 Patient*innen.
Aufbauend auf den Erfahrungen der Pilotstudie werden in einem gemeinsamen Projekt an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Uniklinik Mannheim ehrenamtliche Helfer*innen für die individuelle Betreuung und Begleitung der älteren Patient*innen mit beginnender Demenz als „Notaufnahmelotsen“ geschult und eingesetzt. Ab April 2024 werden sich die ehrenamtlichen Begleiter*innen in den Notaufnahmen um die älteren Notfallpatient*innen kümmern. „Die Effektivität der Einsätze wird durch die Notaufnahmelosten selbst sowie durch die Patient*innen, deren Angehörige und des medizinischen Personals wissenschaftlich begleitet und bewertet“, sagt Prof. Dr. Sabine Blaschke, ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme der UMG. „Zugleich strebt das Projekt eine verbesserte Sensibilisierung des medizinischen Personals im Umgang mit den älteren Menschen sowie eine Entlastung, vor allem des Pflegepersonals, an“, ergänzt Prof. Dr. Christine von Arnim, Direktorin der Klinik für Geriatrie der UMG. Der Hirnliga e. V. fördert das Projekt mit je 30.000 Euro pro Standort.
Tätigkeit der Notfalllotsen
Das Tätigkeitsfeld der Notfalllotsen beinhaltet in erster Linie das Vertrauen zu den Patient*innen aufzubauen, zum Beispiel durch Zuhören, Hand halten oder einfach nur anwesend zu sein. Als direkte Bezugsperson helfen sie bei der Orientierung der älteren Menschen in der neuen Umgebung, begleiten diese zu Untersuchungen oder beim Toilettengang und unterstützen das medizinische Personal beim Zusammentragen von Informationen sowie der Erklärung von geplanten Behandlungsmaßnahmen. Die Lotsen kümmern sich um das Wohlergehen der Patient*innen, indem sie Getränke anreichen, Nahrung mundgerecht zubereiten oder für Ablenkung sorgen wie vorlesen, Geschichten erzählen, Spiele spielen oder mit den Betroffenen spazieren gehen. Die Tätigkeiten werden vor Ort mit den Patient*innen und der betreuenden Pflegekraft individuell abgestimmt.
Das Schulungskonzept
Nach einer schriftlichen Bewerbung und der Beantwortung eines Fragebogens findet ein strukturiertes Interview statt. Das Schulungskonzept zur*zum Notaufnahmelots*in für interessierte Ehrenamtliche, bevorzugt aus medizinnahen Berufen, sieht Blöcke von vier mal zwei Stunden (verteilt auf vier Tage) mit abschließender Verleihung eines Zertifikats vor. Das Schulungsprogramm beinhaltet theoretischen Unterricht zu den Krankheitsbildern Delir und Demenz. Delir beschreibt einen Zustand akuter Verwirrtheit, während Demenz eine Minderung der geistigen Fähigkeiten darstellt. Der Fokus liegt jedoch nicht nur auf der reinen Vermittlung von medizinischem Wissen, sondern auch auf dem patient*innenbezogenen Umgang in Notaufnahmen. Als Anreiz und Entschädigung erhalten die Lotsen eine Aufwandsentschädigung für Wege- und Verpflegungskosten. Insgesamt zielt das Schulungskonzept darauf ab, die Ehrenamtlichen fundiert auf ihre Aufgabe als Notaufnahmelots*in vorzubereiten, sowohl in Bezug auf medizinisches Wissen als auch auf den einfühlsamen Umgang mit Patient*innen in Notaufnahmesituationen.
Nach sechs Monaten werden die neu erworbenen Kenntnisse der Notaufnahmelotsen erhoben. Gleichzeitig wird auch das Notaufnahmepersonal zu ihren Erfahrungen befragt werden. Falls möglich, werden auch Angehörige und Patient*innen befragt. Hieraus wird abschließend eine Bewertung der Einführung der Notaufnahmelosten abgeleitet und der Projekterfolg gemessen.
Kontakt
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