Medizin & Technik

Meniskuswurzelverletzungen – “root tears”: ­Modediagnose oder schwerwiegende Verletzung?

04.10.2013 - Dem Verletzungsbild der "root tears" wird seit kurzem starkes wissenschaftliches Interesse entgegen gebracht. Ob dieses Interesse zu Recht einer bisher unterschätzten und unterdiagnostizierten schweren Verletzung gilt oder eher als Hinweis auf eine Modediagnose aufzufassen ist, wird in diesem Beitrag untersucht.

Hintergrund

Die Meniskuswurzeln beschreiben die Insertion der Menisken am Tibiaplateau und sind von besonderer Wichtigkeit für die Funktion des Meniskus. Die biomechanisch bedeutsamsten Fasern innerhalb der Menisken verlaufen zirkulär zwischen Vorder- und Hinterhorn und sind über die Meniskuswurzeln fest am knöchernen Tibiaplateau verankert [20]. Im unversehrten Zustand verhindern die Meniskuswurzeln, dass die Menisken unter axialer Krafteinwirkung aus dem Kniegelenk gedrängt werden. Hierdurch wird eine axial gerichtete Kraft in Ringspannung entlang der zirkulären Fasern des Meniskus umgewandelt und so der Druck auf den femoro-tibialen Knorpel reduziert [16].

Unter dem Begriff Wurzelriss bzw. Wurzelverletzung (engl.: root tear) werden Abrisse der menisko-tibialen Bandinsertion und Radiärrisse des Meniskus nahe der tibialen Insertion zusammengefasst [24,25]. Das Interesse an diesem Verletzungsbild hat in den letzten Jahren stark zugenommen, was durch die Anzahl relevanter Publikationen bei PubMed verdeutlicht wird: Während bis Ende 2009 ca. 30 relevante Publikationen zu verzeichnen sind, wurden zwischen 2010 und heute bereits über 60 Artikel zu diesem Thema publiziert. Daher stellt sich die Frage, ob es sich bei diesem Verletzungsbild um eine Modediagnose oder doch um eine schwerwiegende, jedoch lange Zeit verkannte Verletzung handelt.

Epidemiologie

Meniskuswurzelrisse betreffen in aller Regel die Hinterhorn-Wurzeln, wobei sowohl der Innen- wie auch der Außenmeniskus betroffen sein kann. Innenmeniskuswurzelrisse sind meist degenerativer Natur und treten gehäuft bei übergewichtigen Frauen nach dem 50. Lebensjahr mit varischer Beinachse auf [9]. Seltener werden diese Verletzungen auch als Begleitpathologie im Rahmen von Multiligamentverletzungen vorgefunden [11]. Die Häufigkeit variiert je nach Region: Während in asiatischen Ländern die Prävalenz mit 10-28 % aller Innenmeniskusläsionen angegeben wird [4,6,9], konnte eine Studie aus Nordamerika diese Verletzung lediglich bei 2,8 % von 1500 Patienten mit Knieschmerzen identifizieren [21]. Für das gehäufte Auftreten in asiatischen Ländern wird in erster Linie ein Lebensstil mit häufig knieender Position bzw. häufiges Sitzen im Schneidersitz verantwortlich gemacht. Außenmeniskuswurzelverletzungen sind in aller Regel traumatisch und meist mit einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes assoziiert. Nach Angaben der Literatur muss mit einer Außenmeniskuswurzelläsion bei 7-12 % aller VKB-Rupturen gerechnet werden [1,5,25].

Biomechanische und klinische ­Konsequenzen

Wurzelverletzungen gelten als besonders schwerwiegende Meniskusverletzung, da sie entsprechend theoretischer Überlegungen die Funktion des Meniskus nahezu vollständig aufheben: Unter axialer Last wird der Meniskus aus dem Gelenk gepresst und axialer Druck kann somit nicht mehr in Ringspannung umgewandelt werden. Als Konsequenz sollte es zu einer Zunahme des femoro-tibialen Kontaktdrucks kommen, was letztlich zu einer progredienten Schädigung des Knorpels führen würde [16]. Diese theoretischen Überlegungen sind mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen. In mehreren biomechanischen Arbeiten an humanen Kadavern konnte gezeigt werden, dass eine artifizielle Ablösung sowohl der Innen- wie auch Außenmeniskus-Hinterhornwurzel zu einer signifikanten Zunahme des tibio-femoralen Kontaktdrucks bei gleichzeitiger Abnahme der Kontaktfläche führt [2,15,22]. Allaire et al. [2] konnten anschaulich zeigen, dass eine Innenmeniskuswurzelläsion die gleichen Auswirkungen auf den Kontaktdruck im medialen Kompartiment hat wie eine totale mediale Meniskektomie. In klinischen Arbeiten konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen Meniskuswurzelverletzungen und Meniskus-Extrusion, höhergradigen Knorpelschäden, Osteonekrosen und Arthrose nachgewiesen werden [7,8,14,21]. Basierend auf der aktuellen Studienlage sind Meniskuswurzelverletzungen somit zweifellos als schwerwiegende Verletzungen anzusehen!

Behandlungsoptionen

Aufgrund der schwerwiegenden Folgen dieser Verletzung und den nur unbefriedigenden Ergebnissen nach konservativer Therapie oder Meniskus-Teilresektion wird mittlerweile die arthroskopische Refixation der Meniskuswurzel mittels transtibialer Auszugsnaht (Abb. 1 und 2) oder mittels Fadenanker (Abb. 3) als Therapie der Wahl angesehen [13,19]. Das Ziel einer solchen Operation ist die Wiederherstellung der Ringspannung des Meniskus und somit die Normalisierung von Kontaktdruck und Kontaktfläche. In einer Studie von Kim et al. [10] wurde bei 58 Patienten mit Komplettruptur der Innenmeniskus-Hinterhornwurzel die Ergebnisse einer Meniskus-Teilresektion (n = 28) mit denen einer transtibialen Auszugsnaht (n = 30) verglichen. Nach einem durchschnittlichen Follow-up von 47 Monaten zeigten Patienten nach Wurzel-Refixation in allen untersuchten Parametern (Lysholm Score, IKDC Score, Kellgren-Lawrence Score, Gelenkspaltverschmälerung) ein signifikant besseres Ergebnis. Auch andere Autoren konnten gute bis sehr gute Ergebnisse bei den meisten Patienten nach Refixation der Innen- oder Außenmeniskuswurzel aufzeigen [1,3,12,17]. Kritisch muss jedoch angemerkt werden, dass v.a. bei degenerativ bedingten Rissen der Innenmeniskuswurzel die Heilungskapazität als eingeschränkt angesehen werden muss [23]. Als negative Prädiktoren konnten Moon et al. [17] eine Varusfehlstellung größer 5°, Knorpelschäden Grad 3 und 4 und das Ausmaß der präoperativen Meniskus-Extrusion identifizieren. Daher muss bei Patienten mit signifikanter Varus-Gonarthrose die Indikation zur Wurzelrefixation kritisch abgewägt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch eine valgisierende Umstellungsosteotomie in diesem Patientengut eine probate Therapieoption zu sein scheint [18].

Zusammenfassung

Bei Meniskuswurzelverletzungen handelt es sich um eine schwerwiegende Verletzung deren Häufigkeit derzeit vermutlich noch unterschätzt wird. Biomechanisch sind diese Verletzungen vergleichbar mit einer totalen Meniskektomie. Nach der aktuellen Datenlage kann eine Refixation der Meniskuswurzel empfohlen werden, wobei die Indikation bei bereits fortgeschrittener Varus-Gonarthrose kritisch zu sehen ist.


Literatur

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  2. Allaire R, Muriuki M, Gilbertson L, Harner CD (2008) Biomechanical consequences of a tear of the posterior root of the medial meniscus. Similar to total meniscectomy. J Bone Joint Surg Am 90 (9):1922-1931.
  3. Anderson L, Watts M, Shapter O, Logan M, Risebury M, Duffy D, Myers P (2010) Repair of radial tears and posterior horn detachments of the lateral meniscus: minimum 2-year follow-up. Arthroscopy 26 (12):1625-1632.
  4. Bin SI, Kim JM, Shin SJ (2004) Radial tears of the posterior horn of the medial meniscus. Arthroscopy 20 (4):373-378.
  5. De Smet AA, Blankenbaker DG, Kijowski R, Graf BK, Shinki K (2009) MR diagnosis of posterior root tears of the lateral meniscus using arthroscopy as the reference standard. AJR Am J Roentgenol 192 (2):480-486.
  6. Habata T, Uematsu K, Hattori K, Takakura Y, Fujisawa Y (2004) Clinical features of the posterior horn tear in the medial meniscus. Arch Orthop Trauma Surg 124 (9):642-645.
  7. Han SB, Shetty GM, Lee DH, Chae DJ, Seo SS, Wang KH, Yoo SH, Nha KW (2010) Unfavorable results of partial meniscectomy for complete posterior medial meniscus root tear with early osteoarthritis: a 5- to 8-year follow-up study. Arthroscopy 26 (10):1326-1332.
  8. Henry S, Mascarenhas R, Kowalchuk D, Forsythe B, Irrgang JJ, Harner CD (2012) Medial meniscus tear morphology and chondral degeneration of the knee: is there a relationship? Arthroscopy 28 (8):1124-1134 e1122.
  9. Hwang BY, Kim SJ, Lee SW, Lee HE, Lee CK, Hunter DJ, Jung KA (2012) Risk factors for medial meniscus posterior root tear. Am J Sports Med 40 (7):1606-1610.
  10. Kim SB, Ha JK, Lee SW, Kim DW, Shim JC, Kim JG, Lee MY (2011) Medial meniscus root tear refixation: comparison of clinical, radiologic, and arthroscopic findings with medial meniscectomy. Arthroscopy 27 (3):346-354.
  11. Kim YJ, Kim JG, Chang SH, Shim JC, Kim SB, Lee MY (2010) Posterior root tear of the medial meniscus in multiple knee ligament injuries. Knee 17 (5):324-328.
  12. Kim YM, Rhee KJ, Lee JK, Hwang DS, Yang JY, Kim SJ (2006) Arthroscopic pullout repair of a complete radial tear of the tibial attachment site of the medial meniscus posterior horn. Arthroscopy 22 (7):795 e791-794.
  13. Koenig JH, Ranawat AS, Umans HR, Difelice GS (2009) Meniscal root tears: diagnosis and treatment. Arthroscopy 25 (9):1025-1032.
  14. Lee YG, Shim JC, Choi YS, Kim JG, Lee GJ, Kim HK (2008) Magnetic resonance imaging findings of surgically proven medial meniscus root tear: tear configuration and associated knee abnormalities. J Comput Assist Tomogr 32 (3):452-457.
  15. Marzo JM, Gurske-DePerio J (2009) Effects of medial meniscus posterior horn avulsion and repair on tibiofemoral contact area and peak contact pressure with clinical implications. Am J Sports Med 37 (1):124-129.
  16. Messner K, Gao J (1998) The menisci of the knee joint. Anatomical and functional characteristics, and a rationale for clinical treatment. J Anat 193 ( Pt 2):161-178.
  17. Moon HK, Koh YG, Kim YC, Park YS, Jo SB, Kwon SK (2012) Prognostic factors of arthroscopic pull-out repair for a posterior root tear of the medial meniscus. Am J Sports Med 40 (5):1138-1143.
  18. Nha KW, Lee YS, Hwang DH, Kwon JH, Chae DJ, Park YJ, Kim JI (2013) Second-look arthroscopic findings after open-wedge high tibia osteotomy focusing on the posterior root tears of the medial meniscus. Arthroscopy 29 (2):226-231.
  19. Papalia R, Vasta S, Franceschi F, D‘Adamio S, Maffulli N, Denaro V (2013) Meniscal root tears: from basic science to ultimate surgery. Br Med Bull doi: 10.1093/bmb/ldt002.
  20. Petersen W, Tillmann B (1998) Collagenous fibril texture of the human knee joint menisci. Anat Embryol (Berl) 197 (4):317-324.
  21. Robertson DD, Armfield DR, Towers JD, Irrgang JJ, Maloney WJ, Harner CD (2009) Meniscal root injury and spontaneous osteonecrosis of the knee: an observation. J Bone Joint Surg Br 91 (2):190-195.
  22. Schillhammer CK, Werner FW, Scuderi MG, Cannizzaro JP (2012) Repair of lateral meniscus posterior horn detachment lesions: a biomechanical evaluation. Am J Sports Med 40 (11):2604-2609.
  23. Seo HS, Lee SC, Jung KA (2011) Second-look arthroscopic findings after repairs of posterior root tears of the medial meniscus. Am J Sports Med 39 (1):99-107.
  24. Vyas D, Harner CD (2012) Meniscus root repair. Sports Med Arthrosc 20 (2):86-94.
  25. West RV, Kim JG, Armfield D, Harner CD (2004) Lateral meniscal root tears associated with anterior cruciate ligament injury: Classification and management. Arthroscopy 20 (Supplement 1):e32-e33.

Legenden zu den Abbildungen

Abb. 1: Refixation der Innenmeniskus-Hinterhornwurzel mittels transtibialer Auszugsnaht
a: Schematische Darstellung (aus Imhoff und Feucht, Atlas sportorthopädisch-sporttraumatologische Operationen; mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags);
b-d: Arthroskopische Aufnahmen eines rechten Kniegelenks. Mit Hilfe eines tibialen VKB-Zielgeräts wird ein Bohrdraht transtibial ins Insertionsareal der Innenmeniskuswurzel eingebracht (b) und der Bohrdraht anschließend mit einem ­kanülierten Bohrer überbohrt. Mit einem Naht­instrument (z. B. Fadenlasso oder Meniskus-Nahtzange) wird die Meniskus-Hinterhornwurzel angeschlungen (c) und die Fäden werden über den transtibialen Bohrkanal ausgeleitet (d). Abschließend werden die Fäden über ein Plättchen an der ­Tibiavorderfläche verknotet.

Abb. 2: Refixation der Außenmeniskus-Hinterhornwurzel mittels transtibialer Auszugsnaht.
(Kombinierte Verletzung aus VKB-Ruptur (a) und Komplexriss der Außenmeniskus-Hinterhornwurzel mit radiärer und longitudinaler Komponente (b). Nach Anschlingen der Außenmeniskus-Hinterhornwurzel wird ein transtibialer Bohrkanal angelegt (c) und die Fäden hierüber nach extraartikulär ausgeleitet (d).

Abb. 3: Refixation der Innenmeniskus-Hinterhornwurzel mit einem Fadenanker.
Arthroskopische Ansicht einer Innenmeniskuswurzelläsion eines linken Kniegelenks (a). Über ein hohes postero-mediales Portal wird ein doppelt armierter Fadenanker in die Insertion der Wurzel eingebracht (b). Die Fäden werden anschließend über ein Shuttle-Instrument (z. B. Fadenlasso oder Meniskus-Nahtzange) durch die Wurzel gebracht und verknotet (c, d).

 

 

 

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