Medizin & Technik

Neue Bluthochdruck-Leitlinie der ESH

27.06.2023 - Die neue Bluthochdruckleitlinie der „European Society of Hypertension“ definiert neue Risikofaktoren und Komorbiditäten, die für das mögliche Vorliegen einer Hypertonie sensibilisieren sollen.

Jetzt wurde auch die Unterteilung der Hypertonie in drei Klassen anhand des Grads hypertonieassoziierter Organschädigungen stärker hervorgehoben. Im Hinblick auf die Zielwerteinstellung definiert die Leitlinie einen Maximalwert, lässt ansonsten den Ärztinnen und Ärzten Handlungsspielräume, die Therapie je nach individuellem Risiko zu intensivieren. Bei Menschen über 40 Jahre sowie jüngeren, die Risikofaktoren aufweisen, sollte einmal pro Jahr eine Blutdruckmessung durchgeführt werden.

Am Wochenende wurden in Mailand auf dem Kongress der „European Society of Hypertension“ (ESH) die „2023 ESH Guidelines for the Management of Arterial Hypertension“ vorgestellt.

Folgende Neuerungen ergeben sich für die Praxis:

Deutlicher herausgestellt wird jetzt der Grad der Organschädigungen, der zur Unterteilung in Hypertonie-Stadien herangezogen wird. Schon in älteren Leitlinien gab es diese Gradierung, die aber im Alltag kaum zu finden war. Das Hypertonie-Stadium 1 beschreibt eine unkomplizierte Bluthochdruckerkrankung ohne blutdruckassoziierte Organschäden. Bei Stadium 2 liegt, begleitend zur Hypertonie, ein Diabetes mellitus oder bereits eine bluthochdruckassoziierte chronische Nierenkrankheit (CKD) Grad 3 vor. Das Stadium 3 der Hypertonie ist durch kardiovaskuläre Endorganschaden oder eine CKD Grad ≥ 4 gekennzeichnet. „Diese Einteilung der Hypertonie in Klassen ist wichtig, um den fortschreitenden Charakter der Erkrankung zu verdeutlichen und darzustellen, dass eine Hypertonie Schäden produziert, die dann für die Patientin/den Patienten ein noch höheres Risiko nach sich ziehen. Die Dringlichkeit einer zügigen Intervention wird damit auch deutlich“, erklärt Prof. Markus van der Giet, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga.

Die Zielwertdefinition hingegen ist in der aktuellen Leitlinie trotz der Betonung der Risiken für Endorganschäden etwas weniger restriktiv. Einziges Diktum ist, dass alle Betroffenen Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg erreichen sollen – wohl wissend, dass mit Werten unter 130/80 mmHg das Risiko für Endorganschäden noch weiter abgesenkt werden kann. Dafür ist aber häufig eine intensivere Therapie nötig, die von vielen Betroffenen nicht toleriert wird. „Die Leitlinien geben uns Ärztinnen und Ärzten einen Rahmen vor, in dem wir pragmatisch agieren können. Patientinnen und Patienten, die eine intensivere Blutdrucksenkung problemlos vertragen, können wir auf niedrigere Werte einstellen. Wir sind aber nicht gezwungen, therapieintolerante Betroffene auf einen Optimalwert zu senken, was häufig dazu führt, dass diese Patientinnen und Patienten dann gar keine Blutdrucksenker mehr einnehmen und nicht mehr in die Hausarztpraxis kommen“, erklärt Prof. van der Giet. Die neuen Leitlinien geben somit den Ärztinnen und Ärzten mehr Spielraum für eine individualisierte und patientenzentrierte Hypertonietherapie. Prinzipiell soll vor Beginn der medikamentösen Therapie immer eine individuelle Risikoeinschätzung erfolgen. Zur Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos werden in den neuen Leitlinien der SCORE2 bzw. SCORE-OP (für ältere Patientinnen und Patienten) empfohlen. „Nur so ist eine risikoadaptierte Bluthochdrucktherapie möglich“, erklärt Prof. van der Giet.

Darüber hinaus weist die Leitlinie auf neue Komorbiditäten hin, die das CV-Risiko bei Hypertonie erhöhen. Dazu gehören Schlafstörungen (inkl. OSAS), COPD, chronische inflammatorische Erkrankungen, nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NASH), chronische Infektionen (inkl. COVID-19) sowie Migräne und depressive Erkrankungen. „Es ist wichtig, diese Zusammenhänge zu kennen und bei Menschen mit diesen Diagnosen auch gezielt auf Bluthochdruck zu screenen bzw. bei bekannter Hypertonie das erhöhte kardiovaskuläre Risiko der Betroffenen im Hinterkopf zu behalten“, so der Experte.

Empfohlen wird das Screening auf Hypertonie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Bei Menschen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, sollte in der Hausarztpraxis mindestens einmal pro Jahr eine Blutdruckmessung durchgeführt werden, bei Risikopatientinnen und -patienten auch schon bereits in jüngeren Jahren. Hier wurde erheblich pragmatisch vereinfacht.

Ebenso beschreibt die Leitlinie neue Hypertonierisikofaktoren wie Bluthochdruck oder bluthochdruck-assoziierte Komplikationen während der Schwangerschaft (Präeklampsie/Eklampsie), ein frühes Einsetzen der Menopause, geringes Geburtsgewicht, Migrationshintergrund sowie eine erhöhte Luftverschmutzungs- und Lärmexposition. Auch die geschlechtsangleichende Hormontherapie bei transsexuellen Menschen wurde als neuer Risikofaktor für eine Hypertonie identifiziert.

„Es ist wichtig, dass alle Ärztinnen und Ärzte die neuen Risikofaktoren kennen und bei Betroffenen regelmäßig Blutdruckmessungen durchführen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Hochdruckliga. „Auch sollten sie alle Patientinnen und Patienten mit Risikofaktoren auf die Gefahr von Bluthochdruck hinweisen und sie zu Präventionsmaßnahmen ermuntern, vor allem zu einer gesunden, salzarmen Ernährung und ausreichend Bewegung. Auch Achtsamkeit zur Stressreduktion bekommt einen Stellenwert.“

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