Neue Lösungen in der Gesundheitsversorgung
23.01.2023 - Besser koordinieren, über die Medizin hinausschauen: Das Nationale Forschungsprogramm „Gesundheitsversorgung“ (NFP 74) des Schweizerischen Nationalfonds zeigt, wie sich Ressourcen im Gesundheitswesen effizienter nutzen lassen.
Von der Zunahme chronischer Krankheiten über die Digitalisierung bis zum Kostendruck: Das Schweizer Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, hat das Nationale Forschungsprogramm „Gesundheitsversorgung“ (NFP 74) in insgesamt 34 Projekten reale Abläufe im Gesundheitswesen untersucht, konkrete Lösungen entwickelt und viele davon direkt in der Praxis erprobt. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Krankheiten. Deren Zahl nimmt aufgrund der Alterung der Bevölkerung laufend zu. „Die Versorgung muss sich in den nächsten Jahren noch mehr auf die Bedürfnisse dieser Menschen ausrichten“, sagt Milo Puhan, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 74.
Das Programm kommt zum Schluss, dass hierzu eine bessere Koordination zwischen den vielen an der Betreuung beteiligten Fachpersonen notwendig ist. Und es empfiehlt, stärker auch das familiäre und soziale Umfeld von chronisch kranken Patientinnen und Patienten einzubeziehen. «Die gute Nachricht ist, dass dieser Wandel mit den in der Gesundheitsversorgung bereits vorhandenen menschlichen Ressourcen realisiert werden kann», sagt Milo Puhan. „Doch dafür müssen wir sie besser nutzen. Das gilt in Bezug auf medizinische und nichtmedizinische Fachpersonen ebenso wie für das private Umfeld von Patientinnen und Patienten.“ Wie das gelingt, zeigen nun die Resultate zahlreicher Forschungsprojekte.
Koordination neu gedacht
Eine zentrale Rolle in vielen neuen Versorgungsmodellen nimmt die interprofessionelle Zusammenarbeit ein. So belegt etwa ein Projekt, dass Pflegefachpersonen in Heimen weit stärker als bisher als Schaltstelle zwischen Hausärztinnen und -ärzten, Spitälern und weiteren medizinischen Fachspezialistinnen und -spezialisten handeln können. In einer Praxisstudie führten mehrere Pflegeheime ein entsprechendes Modell ein und vermittelten die notwendigen Fähigkeiten durch gezielte Schulungen. In der Folge sank die Zahl der ungeplanten Spitaleinweisungen.
Umgekehrt fokussierte ein weiteres Projekt auf die Planung des Spitalaustritts von älteren vulnerablen Patientinnen und Patienten. Forschende entwickelten ein Online-Tool, um diesen interprofessionell vorzubereiten, unter Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und Sozialarbeitenden. Letztere klären vor allem organisatorische Fragen, die sich bei der Rückkehr nach Hause stellen. Tatsächlich konnten Patientinnen und Patienten so früher entlassen werden, ohne vermehrte Wiedereintritte ins Spital wie bei dieser Personengruppe normalerweise üblich.
Das persönliche Umfeld einbezogen: Freunde, Familie, Nachbarschaft
Ein weiterer Erfolgsfaktor vieler neuer Versorgungskonzepte ist der Einbezug des privaten Umfelds von Patientinnen und Patienten. Das zeigt sich etwa in einem neuen Angebot für die psychiatrische Betreuung zu Hause, welches nach der Schließung einer Abteilung der Psychiatrischen Klinik Tessin als Ersatz eingeführt und wissenschaftlich begleitet wurde. Auf akute psychische Erkrankungen ausgelegt, entwickeln sich in diesem Konzept neue Formen des Zusammenspiels zwischen Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Fachleuten. Die Forschenden beobachteten, dass damit die Beteiligung von Patientinnen und Patienten und deren Familienmitgliedern gefördert wurde und zugleich die Zufriedenheit aller beteiligten Pflegekräfte stieg. Und aus klinischer Sicht war diese Art der Betreuung der stationären ebenbürtig, verursachte jedoch geringere Kosten.
Doch auch über die Angehörigen hinaus kann das Umfeld mobilisiert werden. So haben Forschende in den Gemeinden Münsingen, Belp und Obfelden sowie im Quartier Zürich-Schwamendingen Sorgenetzwerke aufgebaut, die aus Fachpersonen, Freiwilligen und politischen Vertreterinnen und Vertretern bestehen. Sie konnten damit auf lokaler Ebene die Sorgefähigkeit stärken und inklusive und altersfreundliche Quartiere schaffen, in denen Menschen trotz gesundheitlichen Einschränkungen gut umsorgt und sozial eingebettet zu Hause leben können.
Erfolgreiche Konzepte übertragen
„Die Forschung belegt, dass gute Lösungen oft im Kleinen entstehen“, so Milo Puhan. Mit Sicht auf das gesamte Gesundheitswesen stelle sich jedoch die Frage, ob und wie sie auf andere Institutionen, Gemeinden und Kantone übertragbar seien. „Damit dies gelingt, müssen wir genau verfolgen, wie sich neue Modelle auswirken, auf die Gesundheit, aber auch auf den Mitteleinsatz“. Deshalb haben Forschende des NFP 74 auch Lösungswege entwickelt, die den Zugang zu Gesundheitsdaten verbessern oder die Qualitätsmessung in der Versorgung vorantreiben. Sie haben etwa in einem Projekt untersucht, unter welchen Bedingungen Hausärztinnen und Hausärzte bereit sind, klinische Routinedaten in einer gemeinsamen Datenbank zu teilen und zu analysieren. So konnten sie das wichtigste Portal in diesem Bereich, die FIRE-Datenbank, stark ausbauen: Die Zahl der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte erhöhte sich während des Projekts von rund 200 auf über 700, was etwa zehn Prozent aller in der Schweiz tätigen Hausärztinnen und Hausärzte entspricht. Das ermöglicht nicht zuletzt, neue Ansätze jeweils repräsentativ und systematisch zu überprüfen. „Das Programm liefert damit einerseits innovative Modelle, um die interprofessionelle Zusammenarbeit zu verbessern und die Gesundheitsversorgung stärker auf den gesamten Lebenskontext der Menschen auszurichten“, so Milo Puhan. „Zugleich zeigt es Wege auf, wie die Versorgung kontinuierlich evaluiert und angepasst werden kann.“
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