OP-Entscheidung bei Gelenkersatz
19.09.2019 -
Das Zünglein an der Waage ist immer der Patient.
Der Leidensdruck des Patienten ist ausschlaggebend für den richtigen Zeitpunkt bei Gelenkersatz. Bei der Indikationsstellung für einen künstlichen Gelenkersatz an Hüfte oder Knie trägt der Patient den entscheidenden Anteil. Ein „Muss“ für eine Operation gibt es aus ärztlicher Sicht nicht. Denn nicht der Röntgenbefund einer Arthrose bzw. der Grad des Knorpelverschleißes sind ausschlaggebend für die Operationsentscheidung, sondern der Leidensdruck des Patienten.
Vier Kriterien helfen dem Patienten bei seiner OP-Entscheidung. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) gemeinsam mit der AE - Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik (AE) hin.
Die seelische Belastung aufgrund von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, hervorgerufen durch ein verschlissenes Gelenk, ist bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Daher ist auch der Zeitpunkt für einen Gelenkersatz sehr individuell: „Für uns Orthopäden und Unfallchirurgen gibt es keine zwingenden Gründe für einen Gelenkersatz, die sich ausschließlich aus einem Röntgenbefund ergeben. Das Maß aller Dinge sind die Schmerzen des Patienten. Die Entscheidung liegt nach ausführlicher Beratung letztlich immer bei ihm“, sagt Prof. Dr. Carsten Perka, stellvertretender DGOU-Präsident, AE-Generalsekretär und Executive Committee-Sprecher des EPRD – Endoprothesenregister Deutschland.
Individuelle Leidensdruck entscheidet
Wenn Menschen dauerhaft unter starken Schmerzen am Knie oder an der Hüfte leiden, kann für sie ein künstliches Gelenk die Rettung sein. Eine Endoprothese kann verloren gegangene Bewegung wiederbringen oder Schmerzen ein Ende bereiten. Patienten suchen Hilfe beim Arzt und erhoffen sich Aufschluss über den Zustand des schmerzhaften Gelenks mithilfe bildgebender Verfahren. Aber egal, welche Abnutzungserscheinungen oder Knorpelschäden ein Röntgenbild oder eine andere Bildgebung zeigen: Ob das Gelenk ersetzt werden soll, entscheidet nicht der Arzt anhand des Bildes, sondern der Patient aufgrund seines individuellen Leidensdrucks: Denn bei dem einen Menschen sorgt ein Befund mit einer fortgeschrittenen Arthrose für unerträgliche Schmerzen, während ein anderer Mensch mit gleichem Befund kaum Probleme hat.
„Eine Regel für den idealen Zeitpunkt gibt es nicht“, sagt Prof. Dr. Karl-Dieter Heller, AE-Vizepräsident und Präsident der Deutschen Hüftgesellschaft (DHG). „Grundsätzlich ist es nie zu spät für ein künstliches Gelenk, auch wenn das betroffene Gelenk bereits stark beschädigt ist. Dass man besser früher operieren sollte, weil eine bessere Gelenkbeschaffenheit die OP erleichtert, stimmt nur in Ausnahmefällen. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem eine OP zu spät wäre. Voraussetzung ist natürlich die Narkosefähigkeit“, erklärt Heller. „Shared decision making“, gemeint ist die Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen, sei von hoher Bedeutung. Heller erklärt weiter: „Ein fortgeschrittener Röntgenbefund und ein hoher Leidensdruck bzw. eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität sind Voraussetzung zur Operation. Nach Erörterung der Befunde und des Risikos entscheidet letztendlich der Patient, denn dieser erlebt die Einschränkungen am eigenen Körper.“
Kriterien für eine Gelenkoperation
Es gibt auch Entscheidungshilfen für die Patienten: So biete die Leitlinie „Indikation Knieendoprothese“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen, die den Patienten über die Kriterien für eine Gelenkoperation aufklären und bei der Entscheidung unterstützen sollen.
Die Leitlinie nennt vier Hauptkriterien, die beispielsweise für die Implantation einer Knie-Endoprothese erfüllt sein sollen:
• Der Schmerz besteht seit mindestens 3 bis 6 Monaten und tritt entweder dauerhaft oder mehrmals wöchentlich bei Belastung auf.
• Die Schäden am Gelenk müssen auf dem Röntgenbild deutlich sichtbar sein. Es muss ein schwerer Röntgenbefund von Arthrose vorliegen: Es ist kein Knorpel mehr vorhanden bzw. Grad 3 bis 4 entsprechend der Systematik des „Kellgren-Lawrence-Score“.
• Medikamente und nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Bewegung und Krankengymnastik können über einen Zeitraum von 3 bis 6 Monaten den Schmerz nicht mehr ausreichend lindern.
• Die Schmerzen schränken den Patienten im täglichen Leben so stark ein, dass er nicht mehr bereit ist, sich mit ihnen abzufinden.
Zahlen aus dem EPRD – Endoprothesenregister Deutschland zeigen ein „Durchschnittsalter“ (Median), in dem besonders häufig operiert wird: Es liegt für eine Erstimplantation an Hüfte oder Knie bei etwa 70 Jahren. „Dabei ist die Geschlechterverteilung der operierten Patienten im EPRD über die Jahre nahezu unverändert: Drei von fünf Patienten, die sich einer Erstimplantation an Hüfte oder Knie unterziehen, sind weiblich“, sagt Prof. Dr. Volkmar Jansson, wissenschaftlicher EPRD-Direktor.
Entscheidet sich der Patient für eine künstliche Hüfte oder ein künstliches Kniegelenk, so sollte er die Operation am besten in einem EndoCert-zertifizierten Zentrum vornehmen lassen. EndoCert-Kliniken erfüllen die wesentlichen wissenschaftlich belegbaren Vorgaben für eine sichere und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung der Patienten beim künstlichen Gelenkersatz: Erfahrene Operateure mit einer jährlichen Mindestanzahl an Operationen nehmen den Eingriff vor und ein geschultes Team sowie klar definierte Strukturen sorgen für Qualitätssicherung. „Der hohe Anspruch an ein Kunstgelenk muss durch immer weiter verfeinerte Operationstechniken realisiert werden. Wir empfehlen deshalb, sich in einem EndoProthetikZentrum (EPZ) oder einem EndoProthetikZentrum der Maximalversorgung (EPZmax) operieren zu lassen“, sagt Dr. Holger Haas, Vorsitzender der Zertifizierungskommission EndoCert. Dort besteht auch die Verpflichtung, die Leitlinien zur Indikationsstellung einzuhalten. „Dadurch gewinnt der Patient zusätzliche Sicherheit in seiner Entscheidung“, betont Haas.
Kontakt
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