Aus den Kliniken

Protonentherapie: Punktgenau in den Tumor

29.02.2016 -

„Heute sind wir an einem Punkt in der Protonentherapie angekommen, dass wir sagen können, viele Tumore, die bislang schlecht chirurgisch behandelt werden konnten, können mittels einer wirkungsvollen Bestrahlung gut in Schach gehalten werden“, sagt Prof. Michael Baumann, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und des gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) getragenen OncoRay Zentrums für Krebsforschung, der gemeinsam mit seinem Ärzteteam seit einem Jahr in Dresden täglich Patienten mittels Protonentherapie behandelt und beachtliche Erfolge erzielen konnte.

„Wir als Ärzte hatten nur ein zunächst kleines, auf den zweiten Blick aber doch etwas größeres Problem“, sagt Prof. Baumann, weiter, „denn wir konnten nicht auf den Millimeter nachverfolgen, bis zu welcher Tiefe der Protonenstrahl tatsächlich in den Patienten eindringt und seine Energie entfaltet.“ Bislang lassen die Wissenschaftler bei der dreidimensionalen Dosisberechnung immer einen gewissen „Sicherheitsabstand“, wodurch mehr gesundes Gewebe bestrahlt wird als nötig ist. In aller Regel ist der zwischen fünf und zehn Millimeter, sowohl vor als auch hinter dem Tumor. „Das klingt im ersten Moment nicht sonderlich viel, aber wenn man kurz abstrahiert und sich mal vor Augen führt, dass der Tumor vielleicht die Form einer Orange hat, dann sind die Volumen von Schale und Fruchtfleisch durchaus vergleichbar“, sagt Dr. Christian Richter, der eine Forschungsgruppe leitet, die sich in den letzten Jahren intensiv damit beschäftigte, die Präzision der Protonenbestrahlung zu verbessern. „Unsere größte Herausforderung war, dass die Protonen nicht wieder aus dem Körper austreten. Sie entfalten ihre gesamte Energie an einer fest definierten Stelle und unterscheiden sich daher beispielsweise von bekannten Röntgenstrahlen. In der Konsequenz hieß das für uns, wir konnten kein direktes Messverfahren entwickeln.“ Die Idee war also ein indirekter Lösungsansatz. Die Wissenschaftler um Dr. Christian Richter machten sich eine Gesetzmäßigkeit zunutze: Bei einer Bestrahlung mit Protonen entsteht im Patienten Gammastrahlung, welche aus dem Patient nach außen dringt. Die Gammastrahlung wird prompt, ohne zeitlichen Verzug freigesetzt und verteilt sich in alle Richtungen. Mittels einer Schlitzkamera wird nur der Teil eingefangen, aus dem sich auch die „Eindringtiefe“ der Protonen schlussfolgern lässt.

Die Aufgabe bestand darin, dieses „Nebenprodukt“ mit einem geeigneten Detektor zu messen. Dazu haben die Dresdner Wissenschaftler ihr Knowhow in einen einzigartigen Forschungsverbund eingebracht. So kam es zu einer Kooperation von Experten der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, dem OncoRay Zentrum Dresden, dem HZDR und der iba – Unternehmensgruppe für Ion Beam Applications, einem der weltweit führenden Hersteller für Protonenstrahlanlagen. In dieser effektiven Konstellation konnte in den letzten Monaten ein von iba entwickelter Prototyp einer sogenannten Prompt-Gamma-Kamera in vielen präklinischen Experimenten getestet werden. „Mittlerweile können wir sagen, dass wir die Kamera so gut einstellen und kalibrieren können, dass sie auf die Signale des Ionenstrahls empfindlich genug reagiert, und dass wir damit eine international beachtete Lösung gefunden haben, um die Position eines Protonenstrahls im Körper des Patienten zu messen“, erklärt Dr. Guntram Pausch, der die Tests wissenschaftlich begleitet hat.

Um die Gammastrahlung sichtbar werden zu lassen, bedienen sich die Dresdner Forscher eines schon länger bekannten Phänomens – dabei trifft die Gammastrahlung auf einen auf optische Signale reagierenden Hintergrund. Tausende von Lichtblitzen müssen in der Folge ausgewertet werden, die in ihrer Abstufung ein Bild liefern und mit der zuvor herkömmlich berechneten Protonenstrahldosis ins Verhältnis gesetzt werden können. Eine regelrechte Fleißaufgabe, der sich das Wissenschaftlerteam stellt und aufgrund von vielen Messungen einen Algorithmus gefunden hat, mit dem sich tatsächlich der Verlauf des Protonenstrahls beschreiben lässt. „Diese Schlitzkamera ist so gestaltet, dass sie sich sehr schnell neben dem Patienten genau positionieren lässt“, resümiert Christian Richter, der mit seinem Team daran gearbeitet hat, den Prototypen der Prompt Gamma Schlitzkamera wirklich klinisch einsetzen zu können.

Weltweit arbeiten mehrere Teams daran, wie sich mit der prompten Gammastrahlung die Reichweite von Protonen verifizieren lässt. In Dresden ist es aber dem bereits beschriebenen Forschungskonsortium mit ihrer Schlitzkamera erstmalig gelungen ein Verifikationssystem zu entwickeln, dass wirklich unter klinischen Bedingungen – am Patienten – eingesetzt werden konnte und nicht nur im Labor, unter idealisierten Bedingungen funktioniert.

Eine der ganz großen Ansprüche war es, dass das Messverfahren recht störunempfindlich und verhältnismäßig robust ist, damit der Einsatz in der Praxis nicht von mehreren möglichen Fehlerquellen beeinflusst wird. Mit der jetzt entwickelten und erstmalig am Patienten eingesetzten Prompt-Gamma-Schlitzkamera steht den Strahlenmedizinern ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich der Protonenstrahl im Organismus genau nachverfolgen lässt. Weltweit sorgte diese erste klinische Anwendung in Dresden für Beachtung und einer eingehenden Publikation im führenden europäischen Strahlentherapie-Journal.

Damit ist in Dresden ein neuer Grundstein gelegt worden, auf dem die Protonentherapie in Zukunft weiter verbessert werden kann, unter anderem auch für „Risikopatienten“, die bislang nicht von dieser schonenden und relativ nebenwirkungsarmen Therapie profitieren konnten. Beispielsweise dann, wenn der Tumor sehr nah an strahlensensiblen gesunden Strukturen angrenzt, z.B. in hochsensiblen Hirnregionen.

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