„Versorgungskontinuität muss die oberste Prämisse bleibe
28.12.2024
- Wie das Klinikum Nürnberg sich für die Zeit nach IS-H fit macht.
Das Klinikum Nürnberg ist eines der größten kommunalen Krankenhäuser in Europa. Rund 8.400 Beschäftigte versorgen jedes Jahr rund 100.000 stationäre und 170.000 ambulante Patienten. Bislang erfolgt das digitale Patientenmanagement, also die Krankenaktenverwaltung sowie die Patienten-Abrechnung, über die SAP Branchenlösung IS-H. Dies im Zusammenspiel mit dem klinischen Arbeitsplatzsystem i.s.h.med vom Anbieter Oracle Cerner und weiteren Subsystemen spricht man dann von einem Krankenhaus-Informationssystem (KIS). Im Oktober 2022 hat SAP angekündigt, den Support dafür einzustellen. Wie sich das Klinikum Nürnberg auf die neue Situation vorbereitet, erläutert der Abteilungsleiter für Informationstechnologie, Dr. Manfred Criegee-Rieck.
M&K: Sie verwenden im Klinikum Nürnberg das Produkt I.s.h.med in Komination mit IS-H. Wie waren Ihre Reaktionen, als SAP angekündigte, den Support bis 2030 einzustellen?
Dr. Manfred Criegee-Rieck: Unser komplettes Patientenmanagement samt Abrechnung stützt sich auf IS-H, eine insbesondere bei Großkrankenhäusern etablierte und sehr verlässliche Lösung, die sich nahtlos in unser Krankenhausinformationssystem (KIS) einfügt und auf der anderen Seite mit der restlichen ERP-Welt bei uns im Haus kompatibel ist. Derzeit existiert in meinen Augen keine adäquate Alternative, nur Ankündigungen, womit wir als Haus vor einer extremen Herausforderung stehen. Dass SAP in den kommenden Jahren IS-H ersatzlos vom Markt nimmt und damit auch die Weiternutzung von i.s.h.med in Frage stellt, kommt für uns und andere Großkliniken in Deutschland zum ungünstigen Zeitpunkt. Allein das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) stellt uns derzeit vor gewaltige Herausforderungen. Nun müssen wir zusätzlich eine Digital- und Software-Strategie für eine größere Zahl administrativer und klinischer Geschäftsprozesse erarbeiten. Denn trotz gegenteiliger Aussagen des SAP-Managements, dass das Gesundheitswesen für SAP ein wichtiger strategischer Markt wäre, muss man den ganzen Vorgang doch eher als Rückzug der SAP deuten.
Wie bereiten Sie sich auf die Zeit nach IS-H vor?
Criegee-Rieck: Grundsätzlich gibt es für die Häuser mit IS-H in ihrem KIS jetzt zwei Strategien. Entweder sie suchen einen Anbieter, der IS-H komplett nachbaut, inklusive möglicher Eigenentwicklungen in dem Kontext – oder aber sie verändern Patientenverwaltung samt Abrechnung derart, dass bspw. ein Drittanbieter aus dem KAS-Bereich mit einer eigenen Lösung für Patientenmanagement zum Zug kommen kann, sofern sich hier eine belastbare Migrations-Strategie aufzeigen lässt. Hier am Klinikum Nürnberg arbeiten wir deshalb aktuell an solch einer Gesamtstrategie und haben die Ausschreibungen für ein neues KIS/KAS auf den Weg gebracht. Gegen Ende dieses Jahres erwarten wir erste Ergebnisse. Wünschenswert wäre für uns in jedem Fall eine nachhaltige All-in-one-Lösung.
Sind Sie verärgert über das Vorgehen von SAP?
Criegee-Rieck: Nein, weshalb? Eine SAP ist frei in ihren unternehmerischen Entscheidungen, und man kann aus der Perspektive nachvollziehen, weshalb diese Entscheidung getroffen wurde. Der Zeitpunkt war allerdings aus Kundenperspektive schlicht unpassend. Es hätte uns gefreut, wenn es speziell zwischen den Firmen SAP mit IS-H und Cerner mit i.s.h.med, heute Oracle Cerner, auch schon in der Vergangenheit eine transparentere produktestrategische Abstimmung mit Blick auf die Kunden gegeben hätte. Das hätte uns einfach Planungssicherheit gegeben – vor allem mit Blick auf die laufenden Maßnahmen im Rahmen des KHZG. Abhängig von der noch anhaltenden Diskussion um IS-H und i.s.h.med. wird es sich zeigen, ob SAP weiterhin das führende ERP-System bei uns im Haus bleibt. Hierüber wickeln wir z.B. die komplette Finanzbuchhaltung inkl. Controlling, die Materialwirtschaft oder die Personalverwaltung ab.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und wie beurteilen Sie das Zeitfenster?
Criegee-Rieck: Der Zeitrahmen ist nicht sehr, sondern extrem sportlich. Wir sind im Rahmen des KHZG dabei, bis Ende 2024 ein Patientenportal aufzusetzen. Ein zentrales Element dafür wäre natürlich ein stabiles Patientenmanagement, denn die sichere Verwaltung aller Daten muss in diesem Portal gewährleistet sein. Daher eilt die Zeit, dass wir uns auf die veränderte Situation vorbereiten. Aktuell laufen wie bereits wie erwähnt die Ausschreibungen für ein alternatives KIS/KAS-System. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg sind, und habe folglich auch kaum schlaflose Nächte. Unsere Teams arbeiten sehr intensiv daran und wir kommen unserem Auftrag einer bestmöglichen Patientenversorgung in jedem Fall nach – heute, morgen und auch übermorgen.
Wie sehen Sie den Einsatz einer Cloud-basierten Lösungen?
Criegee-Rieck: Für uns als Krankenhaus der Maximalversorgung müssen eine hundertprozentige Datensicherheit und ein garantierter Datenschutz die obersten Prämissen bleiben. Bei Cloud-Lösungen, die gesetzlich in Bayern inzwischen sogar möglich wären, muss klar geregelt sein, wo und wie hoch sensiblen Patientendaten gespeichert sind und wer darauf Zugriff hat. Das ist in meinen Augen aktuell noch nicht ausreichend geregelt und deshalb zumindest für mich im Moment schwer vorstellbar. Womöglich schaffen die nun kommenden Anbietergespräche hier mehr Klarheit, falls dort ein Cloud-basierter Betrieb in die Diskussion kommt.“
Ist mit der Umstellung auf ein alternatives KIS-System nicht auch die Chance auf einen digitalen Innovationsschub am Klinikum Nürnberg verbunden?
Criegee-Rieck: Ja und nein. Sicher prüfen wir im Zuge der IS-H-Ablösung unsere derzeit verwendeten Produkte respektive Systeme und Prozesse in Gänze auf Herz und Nieren. Wir suchen nach geeigneten Lösungen respektive Alternativen und erarbeiten vor allem eine Technologiestrategie. Insofern ist das Ganze schon ein Anschub für Veränderung und so unser Ziel Innovationen. Auf der anderen Seite sind jene Produkte, die derzeit in ausreichendem Funktionsumfang auf dem Markt sind, überwiegend in die Jahre gekommen, insbesondere mit Blick auf einen oftmals rückständigen, kaum zukunftsfähigen Technologie-Stack. Sie spielen in meinen Augen für ein auch in der technischen Ausprägung innovatives, zukunftsfähiges KIS eine eher untergeordnete Rolle. Hinzukommt, dass die Umstellung auf ein neues KIS unsere Mitarbeitenden vor extreme Herausforderungen stellt. Sie haben jahrelang mit i.s.h.med. gearbeitet und bringen dort eine hohe Expertise und viel Erfahrung mit. Jetzt müssen sie zeitgleich die Digitalisierung im Rahmen des KHZG voranbringen, mit gewohnter Qualität die Patientenversorgung gewährleisten und auf ein neues KIS umsatteln. Wir – und damit meine ich alle IS-H-Häuser – müssen aufpassen, dass es nicht zu massiven Engpässen beim Personal kommt, und alles dafür tun, dass wir auch auf der technischen Werkzeugebene konkurrenz- und arbeitsfähig bleiben.“
Vernetzen Sie sich mit anderen Krankenhäusern, die nach der IS-H-Abschaltung mit Ihnen in einem Boot sitzen?
Criegee-Rieck: Wir stehen mit Krankenhäusern in Bayern in Kontakt, und auch innerhalb der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) wurde hierfür ein Arbeitskreis gegründet. Unsere jeweilige Ausgangslage im Kontext IS-H ist zum Teil sehr unterschiedlich, wobei es jedoch unser gemeinsames Ziel ist es, den Markt zu erkunden und für unsere Häuser eine tragfähige Zukunftsperspektive für die Zeit nach IS-H zu entwickeln und zu erarbeiten.
Zur Person
Dr. Manfred Criegee-Rieck ist seit Mai 2017 Abteilungsleiter der Informationstechnologie am Klinikum Nürnberg. Er stellt u.a. alle rechnergestützten Informationssysteme für die medizinischen und kaufmännisch-technischen Bereiche sicher und verantwortet die IT-Sicherheit hinsichtlich kritischer Infrastruktur. Seine Promotion hat er in Erlangen im Bereich der Medizinischen Informatik abgeschlossen.