Aus den Kliniken

Viel Verpackung pro Tablette: Blisterstreifen verursachen unnötigen Müll

19.02.2024 - Nachwuchswissenschaftlerin und Klinischer Pharmakologe des Universitätsklinikums Heidelberg warfen einen genauen Blick auf eine bisher unbeachtete Müllquelle im Gesundheitswesen. Ihre Ergebnisse und Lösungsvorschläge zur Materialreduktion sind im „European Journal of Clinical Pharmacology“ erschienen.

Rund 3.000 Tonnen an bisher nicht recycelbarem Verpackungsmaterial könnten allein in Deutschland jedes Jahr vermieden werden, wenn Tabletten und Kapseln platzsparender in ihren Blisterstreifen angeordnet wären. Zu diesem Ergebnis kommen die Nachwuchswissenschaftlerin Olivia Falconnier‑Williams und Professor Dr. Walter E. Haefeli, Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, Ärztlicher Direktor der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Sie vermaßen und wogen die Blisterverpackungen der 50 häufigsten in Deutschland verschriebenen Tabletten und Kapseln und berechneten daraus das jährlich anfallende Gewicht gebrauchter Blisterstreifen. Auf dieser Basis schätzten sie, wie viel Verpackungsmaterial sich bei anderer Anordnung der Kammern einsparen ließe.

Anders als beispielsweise im amerikanischen Raum sind Tabletten und Kapseln in Europa jeweils einzeln in hohlen Kammern eines Blisterstreifens verschweißt. Dieser besteht aus einem Verbund verschiedener Kunststoff-Polymere und / oder Aluminiumfolien. „Derzeit gibt es keine wirtschaftlichen Verfahren, die Materialien wieder voneinander zu trennen, um sie recyclen zu können. Gebrauchte Blisterstreifen landen in Deutschland ausnahmslos im Restmüll“, erläutert Prof. Haefeli. „Das ist Ressourcenverschwendung. Die Menge an Material, die wir allein in Deutschland durch kleine Anpassungen jährlich einsparen könnten, rechtfertigt, die gängige Praxis zu hinterfragen und nach neuen Lösungen zu suchen.“

Hochrechnung: Deutscher Arzneimittelmarkt produziert mehr als 8.500 Tonnen Blisterabfall

Die Vermessung ergab: Die Abstände zwischen den Kammern machen derzeit durchschnittlich rund 70 Prozent des Blistermaterials aus. Für die betrachteten 50 meistverkauften Tabletten und Kapseln schätzte das Team das für die Zwischenräume verbrauchte Material auf 3.868 Tonnen. Hochgerechnet auf alle in Deutschland pro Jahr vertriebenen Medikamente dieser Art ergeben sich mehr als 8.500 Tonnen Blistermaterial. 37 Prozent davon ließen sich jährlich einsparen, wenn man die Tabletten in zwei Reihen mit jeweils zwei Millimetern Abstand anordnen würde. Dieser vorgeschlagene Mindestabstand ist den Materialeigenschaften der Folierung geschuldet: Er soll sicherstellen, dass die Blisterkammern dicht und handhabbar bleiben.

Spezielle Gründe für größere Kammerabstände gibt es nicht, weder aus pharmakologischer noch aus Nutzersicht: Weder beeinflusst die Verpackungsdichte die Haltbar- oder Wirksamkeit des Medikaments, noch lassen sich die Tabletten bei einem bestimmten Abstand besser oder schlechter aus dem Blister drücken. „Haben Patientinnen und Patienten Probleme, die Tabletten auszupacken, liegt das in der Regel am unnachgiebigen Material der Deckfolie, durch die das Arzneimittel gedrückt werden muss“, so der Klinische Pharmakologe. Dazu kommt, dass gleiche Medikamente von verschiedenen Herstellern nicht nur in unterschiedlicher Tablettenform und -größe, sondern auch in Blistern mit unterschiedlichen Kammerabständen angeboten werden. Vorgaben gibt es nicht. „Ausschlaggebend ist wahrscheinlich hauptsächlich die maschinelle Ausstattung des jeweiligen Verpackungsunternehmens“, sagt Prof. Haefeli.

Projektidee stammte von Abiturientin Olivia Falconnier‑Williams

Die Idee, sich diese bisher kaum beachtete Problematik näher anzuschauen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, hatte Erstautorin Olivia Falconnier‑Williams, Tochter einer Apothekerin in der Schweiz, als sie sich auf das Abitur vorbereitete: „Ich wollte mit einem alltäglichen Beispiel, den Blisterverpackungen von Medikamenten, zeigen, welch großen Unterschied kleine, unscheinbar erscheinende Anpassungen machen können, und Menschen motivieren, Dinge in ihrem Alltag kritisch zu hinterfragen und bestenfalls zu optimieren, um Stück für Stück unseren Alltag ökologischer zu gestalten.“ Dem schließt sich Prof. Haefeli an: „Solange es noch nicht möglich ist, Blister zu recyclen, ist ihre flächendeckende Umgestaltung eine einfache und vor allem zeitnah umsetzbare Strategie der Abfallvermeidung. Ich hoffe, dass dieser Punkt vor allem bei Großabnehmern wie Kliniken und ihren Einkaufsgenossenschaften berücksichtigt wird, denn häufig können sie zwischen mehreren gleichwertigen Anbietern auswählen. Ich hoffe aber auch, dass andere Verpackungen, wie Blisterstreifen für Kaugummis, Batterien etc., diesbezüglich sehr kritisch überdacht werden.“

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