Standardhygiene statt Isolierung
16.08.2010 -
Seit den 1980er Jahren beschäftigen multiresistente Erreger (MRE) in zunehmendem Maße die internationale Fachwelt. Einen besonderen Status hat MRSA, die Methicillin-resistente Variante von Staphylococcus aureus (S. aureus), erlangt. Weltweit werden aber die meisten (auch lebensbedrohlichen) S. aureus-Infektionen durch Methicillin-sensible S. aureus hervorgerufen. Diese Tatsache wird nicht berücksichtigt, wenn MRSA als gefährlicher Erreger dargestellt wird. Bei Nachweis von MRSA wird international häufig die Isolierung der Patienten empfohlen. Eine solche Empfehlung gibt es seit 1999 auch in Deutschland durch die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO).
Die Isolierung ist mit erheblichem zeitlichem Aufwand für das Personal, mit zusätzlichen Materialkosten, mit psycho-sozialen Belastungen durch die räumliche Absonderung bei extremer Einschränkung der persönlichen Freiheit für Patienten und Angehörige sowie mit Erlöseinbußen für die Kliniken durch die erforderliche Sperrung von Betten verbunden. Vor dem Hintergrund, dass die empfohlenen Maßnahmen in ihrer Effektivität wissenschaftlich nie belegt waren und inzwischen sogar - in kontrollierten Studien einzeln untersucht - als ineffektiv dargestellt werden konnten, muss darauf hingewiesen werden, dass ein anderes Vorgehen möglich und nicht mit einem erhöhten Risiko der Mit-Patienten für die Akquisition von MRSA verbunden ist. Denn nur für den (angeblichen) Schutz der Mit-Patienten werden Patienten mit MRSA isoliert, nicht etwa zu ihrem eigenen Nutzen.
In den Kliniken Südostbayern AG (SOB) wurde 2006 nach jahrelanger Praktizierung der Isolierung mit der Schaffung der Abteilung für Krankenhaushygie-ne der konkrete Auftrag von der Geschäftsführung verbunden, das Prinzip „Standardhygiene statt Isolierung" zu etablieren, wie dies von der Autorin bereits über viele Jahre in einer Universitätsklinik durchgeführt worden war. Hier sollen nun die wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Entscheidung dargestellt werden. Wir haben berechnet, welche Kosten bzw. Erlöseinbußen sich für die Kliniken SOB pro Patient mit MRSA (bei einer durchschnittlichen - also sehr langen - Verweildauer dieser Patienten von 28,5 Tagen) ergeben, wenn die KRINKO-Empfehlung umgesetzt werden würde.
Kosten
Bei den Kosten handelt es sich um Personalkosten (Umkleiden, Köperwaschung, Information der Patienten) und Materialkosten (Schutzkleidung, Waschkosten, Screening, Schlussdesinfektion). Sie machen zusammen knapp 1.000 € aus.
Erlöseinbußen
Weil Einzelzimmer nur sehr begrenzt vorhanden sind, wären fast immer Bettensperrungen erforderlich. Die Erlöseinbuße von fast 14.000 € wurde für ein Bett mit 80 %iger Belegung berechnet, obwohl wegen vorwiegend Dreibettzimmern meist zwei Betten gesperrt werden müssten.
Nicht berücksichtigte Kosten
Nicht in die Berechnung eingegangen sind zusätzliche Kosten, die sich auf den Intensivstationen aus der Notwendigkeit ergeben würden, Pflegepersonal aus der Freizeit zu holen, um den Mehraufwand durch die Isolierung realisieren zu können. Hinzu kämen dann noch erfahrungsgemäß die Kosten durch vermehrte Krankmeldung des Pflegepersonals, das die Arbeit im Isolierzimmer als sehr belastend erlebt.
Zwar gibt es seit einigen Jahren die prinzipielle Möglichkeit, den Mehraufwand durch die Isolierung mit dem Prozedurencode OPS-2010 8-987 abzurechnen, jedoch ist dies nur in besonderen Situationen möglich und äußerst komplex, sodass es dadurch in vielen Fällen zu keiner Entlastung kommt. Seit 2006 wurden allein im Klinikum Traunstein 254 Patienten mit MRSA-Nachweis stationär versorgt - wiederholte Aufenthalte sind dabei nicht berücksichtigt. Das ganze Ausmaß von Kosten und Erlöseinbußen ist somit beträchtlich.
Unter dem Aspekt, dass der Nutzen der von der KRINKO empfohlenen Maßnahmen nicht belegt ist und sie - wie inzwischen in zahlreichen Arbeiten beschrieben - für die isolierten Patienten auch mit schweren Fehlern bei der ärztlichen und pflegerischen Versorgung verbunden sein können, sowie angesichts der erheblichen finanziellen Bedeutung muss es zu einem Umdenken kommen und das Isolierungskonzept zugunsten des Konzepts von „Standardhygiene statt Isolierung" auf den Prüfstand gestellt werden. Eine Neuorientierung ist auch deshalb nötig, weil es außer MRSA inzwischen eine Vielzahl von MRE (z. B. ESBL-Bildner) gibt, sodass es medizinisch wie epidemiologisch nicht zu begründen ist, einen dieser MRE besonders hervorzuheben, zumal es mittlerweile gerade für MRSA sogar vier neue Antibiotika gibt. Dies alles sind wichtige Gründe, das Prinzip von „Standardhygiene statt Isolierung" bei allen Patienten anstelle von Isolierung nur bei einigen zu fordern und zu fördern. Literatur zum Thema kann bei der Autorin angefordert werden.