IT & Kommunikation

Die Notfallaufnahme: Wenn Papier und Tinte digital werden

15.04.2011 -

Durch zeitgleiches Digitalisieren von Handschriftlichem wird das Informationsmanagement in der medizinischen Versorgung erheblich effizienter, günstiger und fehlerfreier.

Um den Patienten reibungslos und rundherum versorgen zu können, bedarf es einer störungsfreien technologischen Basis: Ärzte, Kliniken und Pflegeeinrichtungen sollten im Idealfall uneingeschränkt miteinander kommunizieren können. Eine gemeinsame Informationsbasis ist dafür unabdingbar. Wie aber lässt sich handschriftlich Verfasstes allen anderen zur Verfügung stellen? „Digital Pen & Paper" (DPP) lautet die Antwort des schwedischen Unternehmens Anoto, das als Erfinder und Marktführer bei der Technologie für die digitale Erfassung und Weiterverarbeitung handschriftlicher Informationen gilt. Das Systemhaus Diagramm Halbach hat die DPP-Technologie in seine spezifische Lösung „dotforms" integriert. Hierbei geht es um Informationen rund um die Notaufnahme, welche die Mitarbeiter mit digitalen Stiften handschriftlich aufnehmen können und die gleichzeitig digital abgespeichert werden. So verfügen Sanitäter, Ärzte, Schwestern und Pfleger zeitgleich über dieselbe Information. Zugleich bleibt auch das Papier als Originaldokument erhalten. Lars Brorsson, Key Account Manager bei Anoto, und Jürgen Dreesen, Verkaufsleiter Digitale Dienste bei Diagramm Halbach, erläutern die jüngsten Neuentwicklungen auf diesem Gebiet.

M & K: Anoto ist der Erfinder der Digital Pen-&-Paper-Technologie. Wie funktioniert sie?

Lars Brorsson: Das Prinzip ist so einfach wie effizient: Die Lösung besteht aus einem digitalen Stift, der mit einer winzigen Kamera ausgestattet ist, sowie gerastertem Papier. Während des Schreibvorgangs „erkennt" die Kamera die Position der handschriftlichen Informationen auf dem Raster, zeichnet diese auf und wandelt sie in digitale Daten um, die im Stift gespeichert werden. Diese werden via USB-Dockingstation oder Bluetooth in einen PC oder Server eingespeist und dort je nach Fall der Anwendung weiterverarbeitet. Eine Handschriftenerkennungssoftware liest in den meisten Fällen die digitalen Daten im Stift aus. Bevor diese endgültig ins Zielsystem eingepflegt werden, kann nochmals daraufhin überprüft werden, ob alle Informationen korrekt übertragen wurden. Bei etwaigen
Fehlern gibt es an dieser Stelle die Möglichkeit, diese zu korrigieren und anzupassen.

Welches neue Produkt für den Klinikbereich ist Anotos „jüngstes Kind"?

Brorsson:
Die neueste Funktion bei der Anoto Pen-&-Paper-Technologie ist die in Verbindung mit bestimmter Stifthardware mögliche Datenverschlüsselung
im Stift selbst, bevor die Daten dort gespeichert werden. Beim Schreiben mit dem digitalen Stift auf einem mit dem Anoto Punkteraster bedruckten Formular zeichnet der Stift nur dann Daten auf, wenn zuvor ein spezieller Verschlüsselungscode geladen wurde. Ohne Code zeichnet der Stift keine Daten auf und warnt
den Nutzer durch eine Fehlermeldung.

Wie beurteilen Sie die Diskussionen zur Datensicherheit?

Brorsson: Sensible Patientendaten müssen vor Verlust, Manipulation und unerlaubtem Zugriff geschützt werden. Mit den Produkten und Tools von Anoto können alle drei Punkte abgedeckt werden: Von dem digitalen Stift werden die Daten erst dann gelöscht, wenn das Empfangsgerät diese sicher erhalten und gespeichert
hat. Bei der Nutzung z. B. eines Mobiltelefons zum Versenden der Daten werden diese sofort weitergeleitet und verbleiben nicht im Telefon. Sobald das Backend-System die Daten gespeichert hat, erfolgt eine sekundenschnelle Bestätigung zurück an das Telefon. Eine eventuelle Manipulation der Daten wird von Systemseite aus überwacht: Sobald die Daten versandt wurden, kann der Nutzer ein Formular sperren, sodass keine ungenehmigten Veränderungen mehr möglich sind. Um sicherzustellen, dass nur Berechtigte bestimmte Daten einsehen und ins System einspeisen, kann jeder einzelne Stift temporär oder dauerhaft einem Nutzer zugeordnet werden. Das Empfängersystem verfügt über Informationen der individuellen Seriennummern der Stifte, die im System zugelassen und gespeichert sind. Da jedes Formular über ein eigenes Anoto Punkteraster verfügt, „erkennt" das System nicht nur das Formular selbst, sondern auch den Formulartyp. Geht der digitale Stift verloren, sind die darin gespeicherten Daten für den Finder wertlos, denn sie bestehen lediglich aus komprimierten Koordinatendaten, die die Schreibbewegung des Stifts auf dem gerasterten Papier beschreiben. Der Stift „kennt" also den konkreten Kontext nicht, denn der Sinn der Daten ergibt sich erst, wenn die Daten aus dem Stift extrahiert und entschlüsselt werden. Als Backup bleibt zudem immer auch das Originalpapier erhalten. Das Systemhaus Diagramm Halbach ist Partner-Unternehmen von Anoto. Unter dem Markennamen „dotforms" entwickelte es eine auf der Anoto Digital Pen-&-Paper-Technologie basierende Lösung zum „Notaufnahmeprotokoll".

Worin liegt die Besonderheit?

Jürgen Dreesen: Die Besonderheit liegt in der Einfachheit der Datenerfassung. Ziel ist es, Daten für das medizinische Qualitätsmanagement zu gewinnen, die vor allem für die Notfallbehandlung äußerst wertvoll sind, da sie Rückschlüsse auf Wirkung und Zusammenspiel von Medikamenten, Dosen, Therapien, Notfallmaßnahmen usw. ermöglichen. Tatsächlich gibt es eine erhebliche Lücke in der Informationsdichte zwischen der Präklinik (Rettungseinsatz) und der Intensivmedizinischen Betreuung (OP/Anästhesie). Was genau passiert in den 10-20 Min. nach Eintreffen des Patienten mit dem Rettungswagen und dem Beginn einer OP? Wenn Daten unter Zeitdruck entstehen, ist Aufschreiben immer die einfachste Form der Dokumentation. Was also läge näher, als das elektronische Erfassen von Daten gleich während des Schreibvorgangs mit zu erledigen, in gut und einfach strukturierten Formularen, ohne in Bildschirmansichten  zu blättern? Trotz elektronischer Datenerfassung ändert sich für die Nutzer nicht an den gewohnten Abläufen und dem Schreibvorgang. Auch bedarf es keiner ständigen Neuschulung im Falle von Personalwechseln. Das Einzige,was zu tun bleibt, ist, nach dem Schreibvorgang das Ergebnis der Handschrifterkennung auf der Oberfläche zu überprüfen. User nahmen die Software daher auch sehr positiv an.

Wie gestaltete sich die Entwicklung der neuen Software, in deren Rahmen Sie mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin kooperierten?


Dreesen:
Unsere Software besteht aus Standardmodulen, und die Anpassung auf eine bestimmte Anwendung geschieht ausschließlich über das verwendete Formular. Mit der DIVI haben wir im Rahmen der Notaufnahmeprotokolle mehrere Protokollmodule erstellt wie Basis-, Trauma-, Konsil- und Überwachungsmodul. In keinem der Fälle musste die Software angepasst werden. Über eine Konfiguration werden die z. B. für die Handschrifterkennung und die Datenverifikation notwendigen Informationen der Software bekannt gemacht.

Wie ordnen Sie diese Lösung in das Gesamtportfolio von Diagramm Halbach ein?


Dreesen:
Als Spezialist im Gesundheitswesen entwickeln wir Systeme zur Datenaufnahme und -verarbeitung sowohl in der Anästhesie (Anästhesieprotokoll,
OP-Protokoll, Verlaufsbogen) wie auch im präklinischen Einsatz (Notarzteinsatz, Rettungsdienst, Feuerwehr). Die dotforms Notaufnahmemodule schließen dabei genau die Lücke zwischen Rettungsdienst und Klinik. Mit dem Trend zur zentralen interdisziplinären Notaufnahme eröffnet sich hier eine Chance, zunehmende Dokumentationserfordernisse mit einer gleichzeitig quasi nebenbei entstehenden besseren Datenbasis fürs medizinische Qualitätsmanagement zu verbinden.

Welche Entwicklung liegt in den nächsten fünf Jahren in puncto Datenerfassung und reibungslose Zusammenarbeit vor uns?

Dreesen:
Wir werden in den kommenden Jahren mehr Vernetzung und neue Generationen elektronischer Geräte in immer schnelleren Zyklen erleben. Wer schon einmal Datenerfassungsgeräte beschafft hat, weiß über hohe Investitionskosten, Schulungs- und Neubeschaffungsbedarf sowie inkompatible Insellösungen zu berichten. Bei der Technikorientierung einiger Anbieter hapert es oft am Wichtigsten: der Stabilität in der Routine und in der Nutzerakzeptanz. Natürlich sind Tablet PCs schick. Aber es muss doch eine erhebliche Integrationsleistung vollzogen werden, bis ein solches Gerät all das kann, was heute stabil und einfach mit Stift und Papier getan wird. Und das auch mit Arzt-/Patientenunterschrift, auch bei Stromausfall - und vor allem ohne Datenverlust.

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