Thrombose-Prophylaxe und –Therapie: Überzeugende Daten für Rivaroxaban
04.05.2012 -
Als die Ergebnisse der RECORD-Studien veröffentlicht wurden(1,2,3,4,5) durfte die Fachwelt auf eine substanzielle Verbesserung in der Thrombose-Prophylaxe nach Knie- und Hüftgelenkersatzoperation hoffen. Denn der erste direkte orale Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto) war signifikant wirksamer als Enoxaparin und dabei ebenso verträglich. Dennoch stellte sich die Frage, ob sich die Ergebnisse aus den Studien in die Praxis übertragen lassen würden. Sie lässt sich mittlerweile mit einem klaren ‚Ja‘ beantworten.
Als Beleg führte PD Dr. Jan Beyer-Westendorf (Dresden) eine aktuelle Auswertung des OrthoTEP-Registers an. Darin werden seit 2010 die Daten aller Patienten der Orthopädischen Klinik der Universität Dresden erfasst, die zur Thrombose-Prophylaxe nach Knie- oder Hüftgelenkersatz einmal täglich 10 mg orales Rivaroxaban erhalten. "Wir analysierten schließlich die Verläufe von 1.043 Patienten und verglichen sie mit jenen von Patienten, die bei gleicher Indikation niedermolekulares Heparin oder Fondaparinux erhalten hatten", sagte Beyer-Westendorf.
In die Analyse gingen die Inzidenzen aller symptomatischen venösen Thromboembolien (VTE) - primärer Wirksamkeitsendpunkt -, aller schweren Blutungskomplikationen -primärer Sicherheitsendpunkt, aller chirurgischen Komplikationen sowie die Krankenhausverweildauer (weitere sekundäre Sicherheitsendpunkte) ein. Im Vergleich der Kohorten zeigte sich, dass VTE unter Rivaroxaban seltener auftraten als unter Enoxaparin und Fondaparinux (2,1% vs. 4,1% bzw. 5,6%). Weiter gab es in der Rivaroxaban-Kohorte weniger schwere Blutungen (7,5% vs. 12,6% bzw. 11,1%), und die Verweildauer war niedriger (8,3 vs. 11,1 bzw. 9,3 Tage). Die Unterschiede zwischen Rivaroxaban und Enoxaparin bzw. Fondaparinux waren jeweils signifikant.
Angesichts der Risikoreduktionen für symptomatische VTE von 49% gegenüber Enoxaparin und von 63% gegenüber Fondaparinux habe Rivaroxaban die hohen Erwartungen an seine Wirksamkeit erfüllt, so Beyer-Westendorf. "Damit ist Rivaroxaban in diesem unselektierten Patientenkollektiv und unter Alltagsbedingungen sowohl Enoxaparin als auch Fondaparinux überlegen", resümierte Beyer-Westendorf.
Rivaroxaban gegen VTE: Einfach anzuwenden
Ganz aktuell liegen auch die Ergebnisse der EINSTEIN-PE-Studie vor, in der Rivaroxaban zur Akutbehandlung und Sekundärprophylaxe venöser Thromboembolien geprüft wurde. (6) Eingeschlossen waren 4.832 Patienten mit akuter symptomatischer Lungenembolie, die entweder Rivaroxaban (zweimal 15 mg pro Tag für drei Wochen, danach einmal 20 mg pro Tag) oder Enoxaparin in Kombination mit Warfarin erhielten. Die vorab definierte Behandlungsdauer betrug bis zu zwölf Monate, anschließend wurden die Patienten 30 Tage lang beobachtet. Die Studie war für den Nachweis der Nicht-Unterlegenheit konzipiert. Primärer Wirksamkeitsendpunkt waren symptomatische rezidivierende VTE, zusammengesetzt aus tiefen Venenthrombosen, tödlichen und nicht-tödlichen Lungenembolien. Der primäre Sicherheitsendpunkt bestand in schweren und nicht-schweren klinisch relevanten Blutungen.
In der Rivaroxaban-Gruppe erreichten 2,1% der Patienten den primären Wirksamkeitsendpunkt, in der Vergleichsgruppe 1,8%. "Der Unterschied war nicht signifikant und die Nicht-Unterlegenheit von Rivaroxaban somit bewiesen", sagte Professor Dr. Hanno Riess, Berlin. Die Nebenwirkungsprofile der beiden Therapien gestalteten sich nach Art und Häufigkeit vergleichbar, Vorteile für Rivaroxaban ergaben sich jedoch hinsichtlich der Sicherheit. "Die Inzidenzrate für schwere Blutungen betrug unter dem Faktor-Xa-Inhibitor lediglich 1,1% und war damit nur halb so hoch wie unter der Standardtherapie", berichtete Riess. (Diese Indikation ist noch nicht zugelassen; die Daten sind aber zur EU-Zulassung eingereicht.)
Damit ist auch die letzte der drei EINSTEIN-Studien veröffentlicht. In der EINSTEIN-DVT-Studie wurde Rivaroxaban nach demselben Design bei 3.449 Patienten mit akuten, symptomatischen tiefen Venenthrombosen geprüft und erwies sich dabei als mindestens ebenso wirksam und sicher wie die Standardtherapie.(7) Hinsichtlich des Gesamtnutzens - der Kombination aus primärem Wirksamkeitsendpunkt und schweren Blutungen - zeigte sich Rivaroxaban sogar signifikant überlegen. In der Verlängerungsstudie EINSTEIN-EXT reduzierte der Faktor-Xa-Inhibitor das relative Risiko für rezidivierende venöse Thromboembolien im Vergleich zu Placebo um 82%.(7)
Neben der Wirksamkeit und Sicherheit nannte Riess die einfache Anwendung als weiteren Vorteil von Rivaroxaban. Im Vergleich zur Standardtherapie überzeuge es durch das geringe Risiko für Interaktionen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, zudem entfalle ein routinemäßiges Gerinnungsmonitoring. "Rivaroxaban ist daher eine wichtige Option in der Prophylaxe und Therapie venöser Thromboembolien."
Schlaganfall bei Vorhofflimmern: Effektive Risikoreduktion auch in der Sekundärprophylaxe
Ein gutes Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil zeigte Rivaroxaban auch in der ROCKET-AF-Studie zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern.(8) Eingeschlossen waren 14.264 Patienten mit moderatem bis hohem Schlaganfallrisiko, die Rivaroxaban (einmal täglich 20 mg bzw. 15 mg bei eingeschränkter Nierenfunktion) oder Warfarin erhielten. Die Behandlungsdauer betrug zwölf bis 41 Monate, anschließend wurden die Patienten für 30 Tage nachbeobachtet. Primäre Endpunkte waren die Kombination aus Schlaganfall und systemischen Embolien außerhalb des zentralen Nervensystems (Wirksamkeit) bzw. die Kombination aus schweren und nicht-schweren, klinisch relevanten Blutungen (Sicherheit).
Die Ereignisraten für den primären Wirksamkeitsendpunkt von 1,7% (Rivaroxaban) versus 2,2% (Warfarin) in der Per-protocol-Population (as treated) belegten die Nicht-Unterlegenheit des Faktor-Xa-Inhibitors.(+) Eindeutige Vorteile ergaben sich für Rivaroxaban bei der Sicherheit: "Zwar war die Gesamtrate an Blutungen mit knapp 15% in beiden Studienarmen vergleichbar", sagte Prof. Dr. Christoph Bode (Freiburg). "Unter Rivaroxaban ereigneten sich jedoch signifikant weniger fatal verlaufende und intrakranielle Blutungen sowie signifikant weniger Blutungen in ein kritisches Organ."
Weiter verwies Bode auf Subanalysen der ROCKET-AF-Studie(9). "Eine Subanalyse zeigt, dass Rivaroxaban bei Hochrisiko-Patienten mit ischämischen Ereignissen in der Vorgeschichte neuerliche Embolien ebenso wirksam reduzierte wie in der Gesamtpopulation." Auch hinsichtlich der Blutungen hätte sich in diesem Kollektiv keine höhere Gefährdung ergeben. "Unter Rivaroxaban traten nur 0,59 intrakranielle Blutungen pro 100 Patientenjahre auf, unter Warfarin dagegen 0,80", so Bode. Eine weitere Subanalyse belegt Bode zufolge, dass Rivaroxaban bei Patienten mit mild bis moderat eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance 30 bis 49 ml/min) ebenso wirksam und sicher ist wie Warfarin.(10) In der Rivaroxaban-Gruppe habe es sogar signifikant weniger fatal verlaufende Blutungen gegeben.
"Damit beugt Rivaroxaban bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern primären und sekundären Schlaganfällen effektiv und sicher vor und lässt sich auch bei eingeschränkter Nierenfunktion gut einsetzen", fasste Bode zusammen.
Antikoagulation beim akuten Koronarsyndrom? Und es geht doch!
Auch beim akuten Koronarsyndrom hoffen Experten auf therapeutische Fortschritte. Andere moderne orale Antikoagulanzien zeigten in dieser Indikation allerdings bislang eher enttäuschende Ergebnisse. In Studien ging eine Reduktion atherosklerotischer Komplikationen stets mit nicht akzeptablen Blutungsraten einher. Nun stützen sich die Erwartungen auf Rivaroxaban.
In einer großen Phase-III-Studie mit 15.526 Patienten wurde der Faktor-Xa-Inhibitor als Zusatztherapie zu ASS und gegebenenfalls einem Thienopyridin gegen Placebo getestet.(11) Zweimal täglich 2,5 mg Rivaroxaban senkten darin das Risiko für Herztod, Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant um 16%. Zusätzlich reduzierten sich die kardiovaskuläre Sterblichkeit und die Rate der Todesfälle insgesamt signifikant um 34% bzw. um 32%. Zwar war die Inzidenz für schwere und intrakranielle Blutungen unter Verum erhöht, nicht jedoch die für letale Blutungen. "In der niedrigen Dosierung könnte Rivaroxaban künftig als Ergänzung zu ASS und einem Thienopyridin daher eine gute Alternative in der Therapie des akuten Koronarsyndroms darstellen", sagte Professor Dr. Johannes Brachmann (Coburg). (Diese Indikation ist noch nicht zugelassen; die Daten sind aber zur EU-Zulassung eingereicht.)
(+) Die Patienten im Warfarin-Arm hatten eine mittlere TTR von 55%
Quelle
"Wir setzen die Erfolgsgeschichte von Xarelto fort - Einblicke in die Anwendung und Ausblick auf zukünftige Optionen" - Presseveranstaltung der Bayer HealthCare Deutschland am 3. / 4. Mai 2012
Literatur
(1) Eriksson Bl et al. N Eng J Med 2008; 358: 2765 - 2775
(2) Kakkar AK et al. Lancet 2008; 372: 31 - 9
(3) Lassen MR et al. N Engl J Med. 2008; 358: 2776 - 2786
(4) Turpie AG et al. Lancet. 2009; 373: 1673 - 1680
(5) Eriksson B et al. J Bone Joint Surg. 2009; 91-B: 636 - 644
(6) The EINSTEIN-PE Investigators. N Engl J Med 2012; 366: 1287 - 1297
(7) The EINSTEIN investigators. N Engl J Med 2010; 363: 2499 - 510
(8) Patel MR et al. N Engl J Med 2011; 365: 883 - 891
(9) Hankey G et al. Lancet 2011; 11, 315 - 322
(10) Fox KAA et al. Eur Heart J (2011) 32 (19): 2387 - 2394
(11) Mega JL et al. N Engl J Med 2012; 366: 9 - 19