Antibiotika: Resistente Bakterien bedrohen Gesundheit von Patienten
04.07.2012 -
Antibiotika: Resistente Bakterien bedrohen Gesundheit von Patienten. Während die „Vogelgrippe“ monatelang für Schlagzeilen sorgte, bleibt eine andere Gefahr beinahe unbemerkt: Gefährliche Bakterien breiten sich bei uns aus, die gegen die meisten Antibiotika unempfindlich und daher nur schwer zu bekämpfen sind. Ursache ist der zu häufige und oft unnötige Einsatz von Antibiotika, der die Entstehung von Resistenzen bei Bakterien fördert. Experten fordern jetzt zum Umdenken auf: Antibiotika sollten nach einer gesicherten Diagnose eingesetzt werden. Ein einfacher Bluttest zeigt, ob die Einnahme eines Antibiotikums nötig ist.
Oft unnötig verordnet
75 % der Verordnungen von Antibiotika entfallen auf Atemwegserkrankungen, die allerdings meistens viralen Ursprungs sind. Bei virusbedingten Infektionen sind Antibiotika jedoch unwirksam. Dieser zu häufige, ungezielte Einsatz der Medikamente begünstigt die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen. Dabei werden Bakterien unempfindlich gegen die antibiotischen Wirkstoffe, so dass sich Erreger ungehindert im Körper ausbreiten und schlimmstenfalls zum Tod führen können. „Erschreckend sind die weiterhin ansteigenden MRSA-Raten, das heißt Anteile der Staphylococcus aureus- Bakterienarten, die auf alle Penicilline, Cephalosporine und andere Betalactam-Antibiotika resistent sind“, warnt Prof. Winfried Kern. Wie der Infektiologe vom Universitätsklinikum Freiburg kürzlich berichtete, treten solche gefährlichen Erreger nicht nur in Kliniken, sondern inzwischen auch im ambulanten Bereich auf.
Die Keime können lebensbedrohliche Lungenentzündungen und Blutvergiftungen auslösen. Ein Problem ist laut Kern zunehmend auch die Rate Fluorchinolon-resistenter Escherichia coli – ein Erreger von Harnwegsinfektionen. Die Behandlung dieser Infektionen wird für die Mediziner aufgrund der Resistenzen immer schwieriger. „Zu einem umsichtigen Antibiotikaeinsatz und nachhaltigen Umgang mit dieser Ressource gibt es keine Alternative“, fordert Kern daher. Um die gefährliche Spirale der Resistenzentwicklung zu durchbrechen und die drohenden Wirkungslosigkeit von Antibiotika zu verhindern, wurde im März 2006 die Initiative „Antibiotika- Einsatz: gezielt ist sicher“ gegründet, in der Kern Vorstandsmitglied ist.
Labortest hilft bei Einsparung von Antibiotika
Ein Ausweg aus dem Dilemma der steigenden Resistenzraten könnte eine exakte Diagnose mittels eines einfachen Labortests bieten, der bakterielle von viralen Infektionen unterscheidet. Dass sich mit diesem sog. Procalcitonin-Test unnötige Verordnungen von Antibiotika vermeiden lassen, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2004 von Prof. Beat Müller vom Universitätsspital Basel. In dieser Studie wurden 243 Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen entweder aufgrund herkömmlicher diagnostischer Kriterien oder auf der Basis eines Procalcitonin-Tests behandelt. In der Procalcitonin- Gruppe wurden daraufhin nur halb so viele Antibiotika-Verschreibungen vorgenommen wie in der Vergleichsgruppe.
Der Therapieerfolg war in beiden Gruppen der gleiche: Die Patienten fühlten sich zu einem gleichen Prozentsatz wieder gesund, die Infektionszeichen hatten sich gleichermaßen normalisiert. „Bakterien produzieren Giftstoffe, die im Rahmen der Entzündungsreaktion den Körper dazu anregen, das Hormon Procalcitonin in höherer Menge zu produzieren als bei viralen Infekten“, erläutert Müller das Prinzip dieses Bluttests. Bei einem stark erhöhten Procalcitoninwert ist deshalb die Einnahme von Antibiotika erforderlich, bei einem niedrigen Wert dagegen nicht. Eine weitere Studien von Prof. Müller belegt, dass auch die Behandlungslänge mit Antibiotika mit Hilfe des PCT-Tests deutlich vermindert werden kann: In der ProCAP Studie von 2006 konnte bei Patienten mit schweren Pneumonien die Dauer der Antibiotikagabe von 13 auf sechs Tage reduziert werden – bei gleichem Behandlungsergebnis.
Das bedeutet eine um fast 70 % verkürzte Antibiotikagabe. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie konnte Müller zudem die Langzeitsicherheit einer verminderten Antibiotika-Gabe durch PCTgesteurte Diagnose über einen Zeitraum von sechs Monaten bei Patienten mit einer COPD, einer sog. „Raucherlunge“, demonstrieren. Auch in der Hausarztpraxis in einem Gebiet mit schon sehr tiefem Antibiotikaverschreibungen können nochmals über 70 % des Antibiotika- Verbrauchs eingespart werden, wenn der Test konsequent zur sicheren Diagnose eingesetzt wird. Darauf deuten erste Analysen einer gerade abgeschlossenen Studie hin, berichtete Müller. Die Experten halten es daher für sinnvoll, beim Verdacht auf eine Infektion zunächst eine gesicherte Diagnose zu stellen. Denn die dadurch mögliche Einsparung von Antibiotika könnte langfristig auch zu einem Rückgang der Resistenzen führen. Auf diese Weise steigt die Chance, diese unverzichtbaren Medikamente für die Zukunft zu erhalten.