Wohnen – Kosmos der Erinnerungen
Textil, Tapete und Böden – die Versäumnisse der Bauhaus-Meister
Der nachfolgende Beitrag von Dr. Dr. Christoph Metzger entstand als Thesenpapier eines Workshops, der Open Mainded Projektentwicklung in Kronberg/Taunus. In kurzer Form wurden Fragen diskutiert, die sich durch die Gestaltung räumlicher Atmosphären in Textilien, Tapeten mit Bezug auf den Boden ergeben. Dabei wird an die Bedeutung von Materialien erinnert, die häufig an den Rand des Interesses gedrängt wurden, wenn das Wohnen im Zeichen funktionalistischer Architektur in Leder, Stahlrohr, Glas und unter Verwendung von nur noch wenig Holz gestaltet wurde.
Manche Wandlungen haben die Einrichtungen unserer Wohnungen in den vergangen Jahrzehnten durchlaufen. Ähnlich der Mode wechseln auch Stile des Interieurs. Ich gehe ein paar Schritte in die jüngere Vergangenheit, um Motive eines Wandels zu rekonstruieren, der seine Wirkung bis heute zeigt. Warum waren unsere Großeltern und auch Eltern noch so ganz anders eingerichtet, als es heute bei der Generation der 30-Jährigen üblich ist? Welche Vorzüge hatte das Ambiente vergangener Jahre? Was hat zum Wandel verwendeter Materialien geführt?
Zunächst frage ich mich: Wo sind die Stoffe und Tapeten geblieben? Warum konnte einzig Holz, als fast schon historischer Werkstoff, seine Bedeutung als natürliches Material für das Interieur bewahren? Beginnen wir mit einem Rückblick zum Thema Stoff und Gewebe: Wie steht es in der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts um das Bewusstsein textiler Gestaltung und deren Entwicklungen?
Bekannt ist, dass Walter Gropius und Mies van der Rohe grundsätzlich Webtechniken am Bauhaus förderten, vor allem dann, wenn eine persönliche Beziehung zu den Gestalterinnen bestand. Mies van der Rohe, der durch die Bindung mit Lilly Reich den textilen Bereich zu schätzen lernte, förderte die Entwicklung der gleichaltrigen Kollegin. Ihr gelangen monochrome Teppiche ebenso wie die Bespannung des berühmt gewordenen Weißenhof-Stuhls, der als freischwingende Stahlrohrkonstruktion mit Eisengarngurten oder mit einem Geflecht erhältlich war. In großen Stückzahlen hat der Stuhl den Markt erobert und zählt heute zu den frühen Klassikern, die hochpreisig auf Auktionen gehandelt werden. Lilly Reich hat mit der Innengestaltung des Hauses Tugendhat und ihrer Mitwirkung beim Deutschen Pavillon in Barcelona Geschichte geschrieben. Heute jedoch ist sie, anders als Anni Albers, in Vergessenheit geraten. Was sind die Gründe?
Textilien in der Hierarchie der Künste
Die Dominanz der Männer am Bauhaus muss als ein für diese Jahre typische Prägung auch in der künstlerischen Arbeitswelt gesehen werden, ihre bevorzugten Materialien wie Stahl, Beton, Leder und Glas sollten die Geschichte des Neuen Bauens auch nach 1950 prägen. Daher lohnt es sich die Rezeption der textilen Gestaltungen am Bauhaus kritisch zu bewerten. Textile Techniken haben es bis heute schwer. In der Hierarchie der Künste steht dieses Handwerk mit seinen Webtechniken auch am Bauhaus an unterster Stelle. Wieso eigentlich? Warum wurde jener Bereich, der doch für eine größere industrielle Produktion aus dem Handwerk kommend prädestiniert scheint und ideal in die Bauhaus-Philosophie hätte passen können, nicht weiter etabliert? Eine mögliche Antwort: Offensichtlich waren Teppiche und Dekorstoffe wenig attraktiv, sie passten kaum in das Bild einer Moderne, in der die Zöpfe der Vergangenheit abgeschnitten wurden.
Auf der Suche nach Details dieser Entwicklung bin ich auf eine Besonderheit gestoßen, die erwähnenswert scheint: Nur in Textilwerkstätten fanden zunächst wenige weibliche Schüler am Bauhaus (1919-1933) eine Heimat. Offen in der Haltung – die im Zuge der Reformbewegungen der 1920er Jahre stand – aber doch ausgrenzend in der Handlung, wurden weibliche Studenten nicht, oder nur in Ausnahmefällen – wie einmal auf Empfehlung von László Moholy-Nagy – ausnahmsweise einmal in eine Metallwerkstatt aufgenommen. Zwischen proklamierter Liberalität und personellen Entscheidungen klafft am Bauhaus eine beträchtliche Lücke. Frauen am Bauhaus wurden systematisch nicht integriert, was zur Folge hatte, dass Entwicklungen textiler Bereiche nur am Rande verfolgt wurden. Zudem war das Feld des Webens mit weiblichen Konnotationen verbunden. Weben, Spinnen, Verknüpfen wurden nicht nur von Oskar Schlemmer als eine zweidimensionale Kunst und damit unmännliche Kunst erachtet.
Einfluss ohne Personifizierung
Am Bauhaus herrscht das Dogma, dass nur Männer im Stand sind dreidimensional zu denken, zu planen und somit die Zukunft zu entwerfen. Typisch für diese Haltung, die noch heute manchen Architektinnen als Vorurteil begegnen, hier stellvertretend Oskar Schlemmer. „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt und sei’s zum Zeitvertreib.“ (Anja Baumshoff, Bauhaus Werkstätten, in: Jeannine Fiedler und Peter Feierabend (Hg.), Bauhaus, Verlag Könemann, Köln, 1999 S. 466. ) Gertrud Arndt, Otti Berger, Lilly Reich, Gunta Stölzl und Anni Alberts sind nur einige wenige Namen, die mit dem Bauhaus verbunden bleiben und deren Muster von Paul Klee und Wassily Kandinsky dankbar aufgenommen wurden. Während die abstrakten Werke dieser und anderer Bauhausmeister weltberühmt wurden, fristeten Textil, Teppiche und Tapeten ein Dasein am Rande, das letztlich meist ohne weitere Personifizierung in die industrielle Produktion einfloss.
Ähnlich erging es auch anderen Dekors. Das Schicksal textiler Oberflächen und Materialien zeigt Parallelen mit jenen der Tapeten auf, die als Relikte vergangener Tage als unmodern empfunden wurden. Dekortextilien und Tapeten erscheinen fortan als Zeichen eines historischen Bauens, dass durch die Moderne des Bauhauses überwunden werden sollte. So wurde bereits im Zuge der Einrichtung der Dessau-Siedlung in Törten durch Walter Gropius die Werkstatt für Wandmalerei mit der Aufgabe betreut, Konzepte für farbige Anstriche anstelle von Tapeten zu erstellen.
Offenkundig verdrängt das Bauhaus, mit seiner dogmatischen Haltung in Ausbildung und Gestaltungen den sensorischen Bereich des Taktilen. Doch damit nicht genug. Verbunden ist mit der Bewegung und ihrer Philosophie auch der Verlust eines sensorisch attraktiven Werkstoffes, der zudem eine gute Wärmedämmung hat. Ähnlich wie auch in der Vergangenheit Tapeten als Isoliermaterial Verwendung fanden, wenn einfache Holzhäuser größere Fugen aufwiesen, die durch den günstigen Baustoff, zur Not sogar mit Zeitungspapier, eher behelfsmäßig als handwerklich gelungen, abgedichtet wurden, waren Tapeten sogar ein nützliches Material, das der (Beton-)Moderne zum Opfer fiel.
„Dekorationsirrtümer“ und Materialgerechtigkeit
Während noch Adolf Loos um 1900 die Tapete als ein britisches Produkt feierte, lehnen nur 20 Jahre später führende Bauhausmeister die Tapete als überkommenes Relikt vergangener Dekorationsirrtümer zunächst ab. Die Tapete entsprach nicht der Vorstellung der Bauhausgemeinde nach Materialgerechtigkeit. Nur am Rande entwickelten sich im Jahr 1929 einige Vorlagen, die mit Blumen und ornamentalen Mustern eine verspielte Dekoration anboten. In diesem Umfeld wurden Formate gerasterter monochromer Muster gefertigt, die weniger einem dekorativen Charakter entsprachen, sondern vielmehr als funktionale Wandversiegelungen eingesetzt wurden.
Herausragend in seiner Zeit und zukunftsweisend wurden die anthroposophisch inspirierten geometrischen Abstraktionen aus den Niederlanden, die von der De Stijl-Bewegung ausgingen und in Gestalt von Piet Mondrian international Designgeschichte in nahezu allen Bereichen des Dekors geschrieben haben. Bis in die kleinsten Winkel architektonischer Konstruktionen sind seine geometrischen, immer dreidimensionalen Gitterformen entwickelt worden, deren Ausgang zunächst natürliche Vorbilder, wie vor allem Bäume, waren, die jedoch so stark in den 1910er-Jahren ins Abstrakte aufgelöst wurden, das deren Ursprünge für Laien nicht mehr identifizierbar sind. Trotz aller anthroposophischen Haltung wurde auch von Mondrian die Wertigkeit von Bodenbelägen in ihren sensorischen Dimensionen vernachlässigt, klar dominieren beim ihm die visuellen Momente dreidimensionaler Raumgestaltung. Eine gestaltete Dramaturgie in den Räumen und Raumfolgen, die sich im Material und seinen Kombinationsmöglichkeiten bieten, sucht man im Bauhaus vergebens.
Gute Bodenbeläge
Ähnlich wie auch Wände und Decken attraktiv gestaltet werden können, um die Sinne des Menschen anzuregen, so sind doch gute Bodenbeläge notwendig, um die Reflexzonen unserer Füße zu stimulieren. Im Idealfall kann das Zusammenspiel gestalteter Oberflächen sämtliche sensorischen Bereiche von Händen und Füße anregen, die jeden Raum taktil wertvoll machen. Dies zumal Hände und Füße seit langem als geheime Fühler und eigenständige Organe des Menschen gelten. Dabei erleben wir Reflex und Stimulanz meist ohne dies bewusst zu registrieren. Während unsere Hände gut sichtbar die Geschichte ihrer Tätigkeiten unserer Lebensjahre erzählen, verbleiben unsere Füße und Beine doch meist verhüllt. Für ältere Menschen hat das Barfußlaufen eine wichtige Funktion. Wenn ein warmer Bodenbelag mit leichter Struktur zu den Füßen spricht – wie etwa in der Felsentherme von Peter Zumthor − dann schenkt der Boden eines Thermalbeckens bereits Sicherheit und motiviert dazu weitere Strecken in der Therme zurückzulegen.
Gewährleisten gute Bodenbeläge Stand und Bewegung, so können auch ältere und kognitiv eingeschränkte Menschen entsprechende Distanzen bewältigen. Besonders unsere Füße brauchen Stimulanzen und werden doch bis ins hohe Alter regelmäßig vernachlässigt. Kümmern wir uns also um die Fundamente unseres Körpers. Geben wir ihm Halt. Für die Praxis wird es in Zukunft darum gehen Bodenbeläge zu identifizieren, die motorische wie kognitive Kompetenzen fördern. Der Innerarchitektur und dem Design kommt die Aufgabe zu, einen Beitrag zur Förderung sensorischer Attraktionen zu leisten. Ideal sind daher Wechsel von Bodenbelägen, die, durch feine Nuancierungen dem Menschen mitteilen an welcher Stelle er sich im Raum oder der Wohnung gerade befindet. Zudem reflektieren natürliche Bodenbeläge in Holz oder Stein die Schritte des Menschen im Raum und erzeugen jene Resonanzen, die es besonders Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit ermöglicht, sich sicher im Raum zu verorten. Gute Raumgestaltung liefert eine unmittelbar erfahrbare Qualität, wie diese auch bei Einrichtungsobjekten der Fall ist.
Woran nun erkennt man den Wert eines sensorisch reich gestalteten Raumes oder eines Objektes? Antwort: Im funktionalen Zusammenwirken haptischer, visueller, akustischer und weiterer Attraktionen. Ähnlich wie ein nicht versiegelter Holzfußboden in Gestalt langer Dielen in Regionen der Mittelgebirge zum Standard gehört, da es sich um ein regionales Material handelt, das atmungsaktiv, feuchtigkeitsaufnehmend und geruchsabsorbierend das ganze Jahr über arbeitet und mit den Jahreszeiten korrespondiert, da es sich ausdehnt und wieder zusammenzieht, so kann das Bild gedeutet werden, das im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig 2018 im Länderpavillon von Neuseeland gezeigt wurde. Der Raum erscheint als ein sensorisch lebendiges Biotop, in dem das Wachstum der Pflanzen das gesamte Raumklima aromatisiert. Der riesige Naturteppich dominiert – mehr Natur in einem architektonischen Raum ist schwer vorstellbar.
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