Gesundheitsökonomie

Arzneimittelrabattverträge: Fakten gegen Desinformationen

08.05.2020 -

Arzneimittelrabattverträge leisten einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit der Patienten. Sie sind nicht die Ursache für Lieferengpässe, wie oft behauptet wird.

In einem gemeinsamen Pressegespräch benennen die AOK Baden-Württemberg, der AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) Fakten zu Lieferengpässen und Rabattverträgen. „Der wahre Grund für die Desinformationskampagnen von Pharmalobby und Apotheken liegt im Erfolg unserer Rabattverträge. Sowohl wirtschaftlich als auch für die Versorgung der Patienten“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch.

Lieferengpässen wirkungsvoll begegnen
Zu den Ursachen für Lieferengpässe gehören z. B. technische Probleme im Produktionsablauf und Rohstoffengpässe, aber auch intransparente Lieferketten.

„Um die Versorgung zu sichern, brauchen wir vor allem Transparenz und verpflichtende Meldungen über Lieferengpässe. Und zwar auf allen Ebenen, vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Diese Forderung stellt die AOK schon seit Jahren. Es ist gut, dass das Bundesgesundheitsministerium diese Lösung anpackt“, so Litsch. „Außerdem ist es richtig, dass die Aufsichtsbehörden die Vorratshaltung von Arzneimitteln auf allen Distributionsstufen regelmäßig prüfen sollen und hierzu mehr Kompetenzen erhalten.“

Völlig fehl gehen aus Sicht der AOK jedoch Pläne, verpflichtende Mehrfachvergaben bei den Rabattverträgen einzuführen. „Nicht Liefersicherheit, sondern Profitstreben ist der Anlass für Pharmafirmen, wenn sie exklusive Rabattverträge abschaffen wollen“ hält Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chef-Verhandler der AOK-Rabattverträge, fest. „Was soll sich verbessern, wenn drei Unternehmen den Zuschlag erhalten, deren Produkte alle aus derselben Fabrik kommen?“

Denn Lohnherstellung (Herstellung im Auftrag eines anderen Unternehmens) ist bei europäischen Generikaanbietern die Regel, wie Auswertungen der Ausschreibungsunterlagen durch die AOK Baden-Württemberg zeigen. Unter 193 in Europa tätigen Herstellern finden sich nur elf meist kleinere, die tatsächlich für sich selbst produzieren. Von den Arzneimitteln zu 230 generischen Wirkstoffen werden 93% in der EU ausschließlich über Lohnhersteller produziert. Die meisten pharmazeutischen Unternehmer in Deutschland haben also noch nie ein Arzneimittel selbst hergestellt.

Die Analysen zeigen auch, dass der überwiegende Teil der Generikaproduktion in Deutschland stattfindet. 59 Hersteller und Lohnhersteller, die Vertragspartner der AOK sind, haben ihren Sitz in Deutschland. Das sei mehr als in jedem anderen Land, so Hermann. „Deshalb sind Forderungen nach einer verstärkten Arzneimittelproduktion „Made in Europe“ nur Nebelkerzen und darüber hinaus kaum mit dem Europarecht vereinbar, weil es Länder diskriminiert, mit denen Freihandelsabkommen bestehen.“

Ohnehin sei der Einfluss der deutschen Rabattverträge auf die unternehmerischen Entscheidungen global agierender Pharmahersteller gering. „Deutschland hat einen Anteil von vier Prozent am globalen patentfreien Markt. Davon lassen sich profitorientierte Konzerne wohl kaum beeinflussen. Die lassen ihre Arzneimittelwirkstoffe so wie alle anderen Branchen produzieren. Und zwar so, dass die Gewinnmarge möglichst groß ist. Das funktioniert genauso wie bei Autos oder Kameras.“

Exklusive Rabattverträge – Gut für Patienten und Hersteller
Wer exklusive Rabattverträge abschaffen möchte, würde darüber hinaus auf klare Vorteile für Patienten und Pharmahersteller verzichten, wie Analyseergebnisse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) belegen.

2018 haben 82,7% der Patienten, die ihren rabattierten Wirkstoff von einem exklusiven Rabattpartner über einen längeren Zeitraum einnehmen, ihr Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Bei den Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen, bei denen sich mehrere Rabattpartner die Versorgung teilen, erhielten nur 69,1% der Arzneimittelpatienten das Arzneimittel immer vom selben Hersteller.

„Rabattverträge mit Exklusivpartnern tragen dazu bei, unnötige Medikamentenwechsel zu vermeiden. Das fördert die Therapietreue der Patienten und den Erfolg der Therapie“, sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Darüber hinaus können Pharmafirmen mit Exklusivverträgen ihre Absatzmengen und damit ihre wirtschaftlichen Grundlagen besser planen. Denn bei Mehrfachvergaben verteilt sich der Markt nicht einfach gleichmäßig auf die zwei oder drei Vertragspartner. Nach den Analysen des WIdO entfallen bei den Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen, die von drei Rabattpartnern beliefert werden, im Schnitt 60,2% der Verordnungen auf den verordnungsstärksten Partner, 27,6% auf den zweiten und 12,2% auf den verordnungsschwächsten Partner. Bei einzelnen Wirkstoffen übernimmt der verordnungsstärkste Rabattpartner sogar 93,0% der Verordnungen, während für andere Rabattpartner nur 0,2% der Versorgung übrigbleiben.

Helmut Schröder: „Die Ausschreibung im Mehrpartnermodus erschwert die Kalkulation der Anbieter deutlich. Diese Unsicherheit müssen sie einpreisen, was zu höheren Preisen für die Gesetzliche Krankenversicherung führt. Letztlich können Mehrfachvergaben sogar Lieferengpässen Vorschub leisten, wenn in den Apotheken einzelne der möglichen Rabattpartner bevorzugt werden und diese die Verordnungsmengen nicht eingeplant haben.“

Hohe Versorgungssicherheit bei patentfreien Arzneimitteln
Mit ihren Desinformationskampagnen haben es Pharmafirmen und Apotheker geschafft, der Politik einen Handlungsdruck vorzugaukeln, der sich nüchtern betrachtet leicht widerlegen lässt. Aktuelle WIdO-Analysen belegen, wie gut die Versorgungssicherheit für die Arzneimittelpatienten ist.

Anfang September 2019 waren 99,3% der Arzneimittel, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, lieferbar. Nur 461 Arzneimittel waren laut offiziellen Meldungen, die auf freiwilligen Meldungen der Pharmaindustrie basieren, vorübergehend nicht verfügbar. Unter den 9.000 Arzneimitteln, für die es einen AOK-Rabattvertrag gibt, lag der Anteil der lieferbaren Präparate demnach sogar bei 99,7%. Schröder unterstützt die Forderung, dass Hersteller Lieferschwierigkeiten verpflichtend melden müssen, wenn keine ausreichende Versorgungssicherheit im Folgemonat gewährleistet werden kann. „Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht gelingen soll.“

Martin Litsch betont in diesem Zusammenhang: „Selbst dieser marginale Anteil von Lieferengpässen bedeutet noch keinen Versorgungsengpass. Denn in der ambulanten Versorgung stehen normalerweise immer genügend Arzneimittel anderer Hersteller zur Verfügung.“

Und Christopher Hermann ergänzt: „Auch höhere Preise würden die Versorgungssicherheit nicht verbessern. Andernfalls müsste die Arzneimittelversorgung in den USA am besten sein, denn dort sind Medikamente weltweit am teuersten. Erstaunlicherweise haben die USA doppelt so viele Lieferengpässe wie Deutschland.“

Vor dem Hintergrund dieser Fakten fordert die AOK die Politik auf, den Kampagnen von Pharmaverbänden und Apothekern nicht einfach hinterherzulaufen und erfolgreiche Wettbewerbsinstrumente zu streichen. Der Handlungsspielraum der Krankenkassen sei schon an anderen Stellen deutlich beschnitten worden. In Zukunft müsse es wieder mehr Wettbewerb um die beste Versorgung geben dürfen, so die Vertreter der AOK.

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