Gesundheitspolitik

EGKM 2020 - Lehren aus Corona: Deutsches Krankenhaussystem vor Reformen

27.10.2020 - Europäischer Gesundheitskongress München am 26. und 27. Oktober 2020

Experten aus dem Gesundheitswesen plädieren vor dem Hintergrund der Corona-Krise für weit reichende Reformen des deutschen Krankenhaussystems. Es habe sich in der Pandemie zwar insgesamt bewährt, es sei aber auch klar geworden, dass eine duale Finanzierung der Krankenhäuser durch Krankenkassen und Bundesländer nach der Krise nicht mehr realistisch sei, äußerte Andreas Storm, Chef der drittgrößten Krankenkasse DAK, beim Europäischen Gesundheitskongress München. Storm kritisierte vor allem den durch die Bundesländer verursachten Investitionsstau, der die deutschen Kliniken vor ernsthafte Liquiditätsprobleme stelle. Es seien aber darüber hinaus viele weitere strukturelle Veränderungen notwendig, insbesondere um sicherzustellen, dass die Patientenfallzahlen nicht weiter ansteigen, weil Krankenhäuser nur so ihre Umsätze steigern können.

Bei der Eröffnung des erstmals digital stattfindenden Europäischen Gesundheitskongresses, an dem über 1.200 Experten aus dem Gesundheitswesen des deutschsprachigen Raums teilnehmen, zeigte sich die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml nach eigener Aussage “bedrückt“: Die Gesundheitssysteme Europas kämen derzeit an ihre Grenzen. Vor vierzehn Tagen habe es in bayerischen Krankenhäusern 60 beatmete Patienten gegeben, jetzt liege die Zahl bereit bei 100. Es sei aber „wichtig, dass wir das Arbeitsleben und das Schulleben aufrecht erhalten“, so Huml weiter.

Nanna Skovgaard, leitende Beamtin aus dem dänischen Gesundheitsministerium, beschrieb, wie positiv sich die Umstrukturierung des dänischen Krankenhaussystems mit der Reduktion der einst 45 Großkliniken auf 21 in der Krise auswirkt. Das medizinisch sinnvolle Konzept von Einzelzimmern für jeden Klinikpatienten sei vor der Krise aus Kostengründen immer wieder hinterfragt worden. Doch plötzlich bewähre es sich nun in hervorragender Weise. Und auch die verringerte Bettenzahl habe sich entgegen vieler Befürchtungen nicht zum Problem entwickelt, da eine – vor allem durch digitale Vernetzung – intensivierte Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Kliniken , vor allem die ambulante Versorgung der meisten Corona-Erkrankten ermöglicht habe. Vieles, das „remote und kontaktlos“ funktioniere, habe zusätzlich eine Verbesserung bewirkt. Gerade Covid-19 habe daher gezeigt, dass der von Dänemark gewählte Weg richtig sei.

Dr. Christof Veit, Leiter des deutschen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, plädierte für eine Ausweitung der Mindestmengenregelungen. Bei einem speziellen Hirntumor etwa sei ein spezialisiertes Zentrum unausweichlich. Bei Krankenhäusern, in denen es pro Jahr nur zehn komplexe Operationen einer bestimmten onkologischen Erkrankung gebe, „sehen wir Probleme“, so Veit. Dennoch gelte nicht automatisch, „groß ist gut“ - das stimme nicht immer. Sein Institut plädiere stattdessen für eine „Mindestmengenfolgeabschätzungen“: Es müsse immer auch berücksichtigt werden, welche Transportrisiken für Patienten bestünden und ob überhaupt ausreichende Kapazitäten vorhanden seien. Die Krankenhausplanung müsse leistungsorientiert erfolgen: Es sei zu prüfen ob es genügend Kapazitäten, etwa für "invasive Gastroenterologie" gebe. Neben Mindestmengen seien also auch Struktur- und Qualitätsanforderungen zu überprüfen. „Wir brauchen Mindestmengen, aber es muss für die regionale Versorgung einen Sinn ergeben“, so Veit.

Prof. Dr. Götz Geldner, Präsident des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten, thematisierte die Reservekapazitäten deutscher Kliniken und hob hervor, dass die Freihaltung von Betten ausschließlich für Corona-Patienten eine Ausnahme bleiben müsse. „Auch andere Patienten haben ein Recht auf Behandlung“, mahnte der Mediziner.

Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken betonte, dass nicht nur Akutkrankenhäuser, sondern auch die Rehakliniken einen wichtigen Beitrag während ersten Phase der Pandemie geleistet hätten. Ohne Rettungsschirm sei es jedoch für manche Reha-Klinik nun sehr schwierig.

Thomas Egginger, Vorstand der Kliniken Nordoberpfalz, kritisierte, dass durch die Behandlung von Corona-Patienten verursachte Sachkosten von den Krankenhäusern nicht kompensiert werden könnten. Dies beträfe gerade besonders jene Häuser, die vermehrt Covid-19-Fälle aufgenommen hätten. Ursache dafür seien auch die Fallpauschalen. „Wir brauchen eine neue Finanzierung“, resümierte Egginger.

Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, forderte ebenfalls ein anderes Vergütungssystem für Krankenhäuser. „Fünfzehn Jahre nach Einführung der DRG stellen wir fest, dass die Nebenwirkungen die Wirkungen überwiegen“, so Johna. Ziel müsse es sein, „kooperative statt kompetitive Strukturen“ zwischen den Krankenhäusern zu etablieren.

Heute und morgen stehen viele weitere spannende und kontroverse Themen auf der Agenda des Europäischen Gesundheitskongress München. Erstmals findet der Kongress als digitale Veranstaltung statt. Alle Sessions werden per Videostream live im Internet übertragen. Die Teilnahme ist kostenlos, nur eine Online-Registrierung unter gesundheitskongress.de/teilnahme ist erforderlich.

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