Grundwasserkühlung schlägt Kältemaschinen um etliche Faktoren
08.12.2020 - Die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz gilt für die Tirol Kliniken als wichtiges Ziel.
Zwar klappt die siebenprozentige Energieeinsparung wohl erst im nächsten Jahr. Aber die Österreicher sehen sich auf dem richtigen Weg, u. a. mit einer thermischen Grundwassernutzung, die im Verhältnis zu Kältemaschinen geradezu fantastische Einsparungen erzielen. Dies und mehr erläutert Projektleiter Gebäudetechnik und Medizintechnik Dipl.-Ing. Wolfgang Codemo der Tirol Kliniken in Innsbruck.
M&K: Krankenhäuser zählen zu den Großverbrauchern auf dem Energiesektor. Ist das eine unumstößliche Tatsache oder ist eine Trendwende möglich?
Wolfgang Codemo: Gesetze, Normen, Verordnungen und Richtlinien regeln sehr viele Bereiche im Krankenhaus. Durch hohe Hygieneanforderungen im Bereich der Lüftungsanlagen und Warmwasseraufbereitungen sowie der notwendigen medizintechnischen Infrastruktur sind der Energieeffizienz Grenzen gesetzt. Dennoch gibt es viele Stellschrauben, an denen eine Verbesserung erzielt werden kann. In den Tirol Kliniken ist mit der Einführung eines Energiemanagementsystems nach der ÖNORM EN ISO 50001 im Jahr 2014 ein wichtiger Meilenstein gelungen. Damit war ein gezielterer Know-how-Transfer zu anderen Standorten möglich.
Ein wichtiger Wert ergibt sich aus dem Durchschnittsverbrauch pro Bett. Ein Blick in die Kennwerttabelle zeigt: Dieser steigt mit der Klinikgröße. Das gilt für Wärme ebenso wie für Strom. Das müsste doch umkehrbar sein, oder?
Codemo: Zunächst zur Definition des spezifischen Energieverbrauchs je Bett. Hierbei handelt es sich um die Summe der witterungsbereinigten verbrauchten Energie (Wärme, Strom) pro behördlich genehmigtem Bett. Der Kennwert bei einer größeren Klinik wie z. B. der Universitätsklinik Innsbruck ist auch deshalb größer, da hier auch konditionierte Flächen eingerechnet werden, welche neben der Patientenversorgung auch für andere Zwecke erforderlich sind. Hierzu zählen u. a. Hörsäle, Laborflächen für die Forschung usw. Weiterhin sind auch spezielle Ambulanzen oder energieintensive Nutzungen wie z. B. GMP-Bereiche anzuführen, welche kleinere Kliniken nicht aufweisen. Eine Trendumkehr wird hier aufgrund der Vorgaben nur schwer möglich sein. Zudem war es in Österreich bis vor COVID-19 politischer Wille, die Bettenanzahl in den Krankenhäusern zu reduzieren. Dies führt bei gleichbleibenden Bestandsfläche unweigerlich zu einem Verbrauchsanstieg je Bett.
Natürlich bestehen bei Neubauten die besseren Chancen. Aber auch die Bestandsimmobilie bietet Chancen und Möglichkeiten. Wo kann der Betreiber am ehesten ansetzen?
Codemo: Um gezielte Maßnahmen zu setzen, müssen zunächst die Energieverbrauchsdaten (Ist-Situation) der Immobilie analysiert werden. Es geht im Wesentlichen darum, jene Bereiche mit dem größten Energieverbrauch zu identifizieren. Es lassen sich bereits durch kostengünstige Maßnahmen wie Optimierung von Zeitprogrammen oder Verbesserung der Effizienz im Teillastverhalten von technischen Anlagen Energie einsparen.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor bildet auch das Nutzerverhalten, welches durch entsprechende Schulung und Sensibilisierung einen Beitrag leisten kann. Erfahrungsgemäß sind in die größten Einsparungen in der Wärmeenergie möglich.
Die Tirol Kliniken mit einigen Häusern haben sich der Energieeffizienz verschrieben. Wo liegen die Ziele und wie laufen die Umsetzungen?
Codemo: Als Zielsetzung soll unter Berücksichtigung evtl. baulicher Änderungen bis zum Jahr 2020 der Gesamtenergieeinsatz um 7 % gegenüber dem Basisjahr 2013 reduziert werden. Aufgrund der Verzögerung von Bauprojekten sowie energieeffizienten Maßnahmen bzw. auch einem Flächenzuwachs von
ca. 12 % wird das Ziel nicht ganz erreicht werden. 2021 sollte es aber klappen.
Als Leuchtturmprojekt gilt die ‚Innere Medizin Süd‘ in Innsbruck, die vor zwei Jahren in Betrieb gegangen ist. An welchen Stellschrauben haben Sie bei der Planung und Umsetzung gedreht?
Codemo: Bereits im Rahmen des Architekturwettbewerbs wurden die Anforderungen an ein energieeffizientes Gebäude festgelegt. Eine sehr gute Gebäudehülle mit funktionierendem Sonnenschutz ist eine wesentliche Voraussetzung zur Erreichung der Ziele. Zusätzlich wurden energieeffiziente Maßnahmen in der Lüftung, Kälteversorgung, Wärmeerzeugung und Beleuchtung festgelegt.
Sie setzen für die Raumkühlung sowie die Gerätekühlung in der Medizintechnik diese thermische Grundwassernutzung ein.
Codemo: Nachdem die Infrastruktur am Areal für die Grundwassernutzung bereits vorhanden ist, hält sich der technische und kostenmäßige Aufwand in Grenzen. Die Einsparung an Betriebskosten und an Energie ist jedoch immens. Die Betriebskosten für Grundwasserkühlung sind um den Faktor 8–9 günstiger als die mit Kältemaschinen erzeugte Kühlung. Durch die Verwendung von Grundwasserkühlung bei diesem Gebäude liegt die Einsparung an CO2 bei ca. 600 t/Jahr. Der Nachteil ist allerdings, dass die Grundwasserkühlung nur bedingt für die Entfeuchtung nutzbar ist. Somit kann nicht ganz auf Maschinenkälte verzichtet werden. Im Fall der Inneren Medizin Süd wird diese durch die Wärmepumpen als „Nebenprodukt“ erzeugt.
Ebenso wurden alle Lüftungsanlagen mit einer Energierückgewinnung verbunden, das alles zentral. Was ist das Ergebnis ihrer Effizienzmessungen?
Codemo: Beim Jahresnutzungsgrad liegen wir bei der Wärmerückgewinnung über 90 %. Neben der Wärme werden mit der hocheffizienten Wärmerückgewinnung auch in der Kälte etwa 10 % zurückgewonnen. Die Einsparung von CO2 liegt damit bei ca. 350 t im Jahr.
Wie stellt sich das Kreislaufsystem in der Lüftung hygienisch dar? Keimbelastungen sind heute ein signifikantes Problem.
Codemo: Ein wesentlicher Punkt ist die regelmäßige Wartung und Pflege von Lüftungsanlagen. Die Anlagen müssen so konzipiert werden, dass eine Reinigung gut durchführbar ist. Die Einhaltung des Intervalls für den Filtertausch ist ein wichtiges Kriterium, um die Keimbelastung so gering wie möglich zu halten. Der Einsatz von Kreislaufverbundsystemen in der Wärmerückgewinnung verringert das Risiko zusätzlich. Aus diesem Grund werden bei uns Rotationswärmetauscher in medizinisch genutzten Bereichen nicht mehr eingebaut.
Die Nutzung einer Brunnenwasserkühlung ist nicht ungewöhnlich. Sie setzen diese im Kinderherzzentrum seit 2015 ein. Wie erfolgreich ist der Betrieb auf Dauer?
Codemo: Die drei Tiefbrunnen mit einer Förderkapazität von gesamt 250 l/s versorgen das gesamte Klinikareal in Innsbruck. Der Großteil der erforderlichen Kühlleistung, ca. 80 %, wird über Brunnenwasserkühlung abgedeckt. Um das vorhandene Brunnenwasser möglichst effizient einzusetzen, wird dieses mehrstufig genutzt. Das sekundäre Brunnenwasser wird zunächst über sämtliche Luftkühler der Lüftungsgeräte geführt. Der Rücklauf aus den Kühlregistern dient nun als Vorlauf für die Fußbodenkühlung und für die Kühldecken. Nach Durchlaufen dieser Kühlsysteme wird das Wasser zu den Wärmetauschern der zentralen Wärmerückgewinnungsanlagen der Lüftungsanlagen geführt. In der letzten Stufe erfolgt noch die Kühlung der Kondensatoren der Kältemaschine. Damit wird das Rückgabewasser im Idealfall auf ca. 25 °C angehoben. Dieses vortemperierte Rückgabewasser dient seit einigen Jahren als Energiequelle für die Wärmepumpen am Areal. Mit Brunnenwasserkühlung können somit im Kinder- und Herzzentrum ca.
360 MWh/a eingespart werden.
Zur Person
Dipl.-Ing. Wolfgang Codemo hat Elektrotechnik an der TU Graz studiert. Er arbeitete zunächst bei der Biotronik GmbH als Projektleiter für klinische Studien implantierbarer Herzschrittmacher. Bei den Tirol Kliniken ist er seit 2002 engagiert, seit 2006 in der Funktion als Projektleiter für Gebäudetechnik und Medizintechnik.
Autor: Bernd Waßmann, Herrenberg