Selbstreinigende Oberflächen schützen vor der Übertragung von Bakterien und Viren
27.01.2022 - In Zeiten hohen Infektionsrisikos bedarf es wirksamer Schutzmaßnahmen. Die Vermeidung von Übertragungswegen durch kontaminierte Oberflächen ist ein wichtiger Bestandteil. Bekannt ist, dass photokatalytisch aktive Beschichtungen die mikrobielle Belastung reduzieren.
Um die Effizienz dieser durch Licht getriebenen Reaktion zu erhöhen, wurde innerhalb des Projekts „Covid-DEKONT“ eine neuartige Materialzusammensetzung entwickelt und in Werkstoffe eingebracht. Durch die Kombination von kupferdotiertem Titandioxid mit Schichtsilikaten konnte ein synergistischer Effekt erzielt werden, der die Mikroorganismen effektiver mit den Katalysatoren in Kontakt bringt und deren Inaktivierung beschleunigt.
Um die derzeit grassierende COVID-19-Pandemie einzudämmen, gehört neben zahlreichen Schutzmaßnahmen auch die aktive Desinfektion von häufig berührten Gegenständen wie beispielsweise Türklinken, Treppengeländer, Tische oder Einkaufswagen bereits zu unserem Alltag. Ohne Desinfektion hängt die Dauer, die Viren auch ohne Wirtszelle überlebensfähig sind, von vielen Randbedingungen ab. Hierauf haben vor allem die Umgebungstemperatur, die Luftfeuchtigkeit, UV-Strahlung sowie die Materialzusammensetzung und Eigenschaften einer Oberfläche einen signifikanten Einfluss. Es ist also ein komplexes Zusammenspiel von zahlreichen externen Faktoren. Ziel der Forschungsarbeiten des Fraunhofer IFAM in Kooperation mit der Universität Szeged in Ungarn war es, hierfür eine flexible Beschichtungslösung für Bauteiloberflächen zu entwickeln, die eine zuverlässige und dauerhafte Dekontamination ohne chemische Behandlung ermöglicht und gleichzeitig im großen Maßstab kostengünstig realisierbar ist.
Schichtsilikate ermöglichen direkten Kontakt zu Mikroorganismen
In ersten Entwicklungsarbeiten des Fraunhofer IFAM zu silberdotierten Titandioxid-Photokatalysatoren interkaliert in Schichtsilikaten und dispergiert in einem Polyurethan-Lack – kurz PU-Lack – konnte gezeigt werden, dass eine Applikation des Lacks auf Oberflächen eine erfolgreiche Dekontamination von Bakterien als auch Viren ermöglicht – und dies im Bereich des sichtbaren Lichts bei einer Wellenlänge > 430 nm. Einen bestimmenden Faktor für diesen schnellen und effektiven Wirkmechanismus bilden die Schichtsilikate selbst, die auf der Oberfläche wenige Nanometer große aktive Zentren ausbilden und damit den direkten Kontakt zwischen den Mikroorganismen und den photoaktiven Substanzen ermöglichen. Diese Entwicklung wurde bereits patentiert (DE 10 2012 219 918 B4).
In einem weiteren Ansatz sollte das Silber durch Kupfer substituiert und mit einem skalierbaren Fertigungsansatz hergestellt werden. Vor dem aktuellen Hintergrund der COVID-19-Pandemie sollte die Wirksamkeit nicht nur gegen Bakterien, sondern auch gegen Viren getestet werden. Für die Laborarbeit mit Mikroorganismen existieren aus gutem Grund strenge Sicherheitsbestimmungen. Eingesetzt wurden daher Modellmikroorganismen, welche aufgrund ihrer Struktur, Umweltstabilität und Desinfizierbarkeit vergleichbar, aber nicht humanpathogen sind.
Kupfer ersetzt teures Silber und zeigt hohe Wirksamkeit gegen Viren sowohl auf metallischen als auch polymeren Oberflächen
Dass silberdotiere Photokatalysatoren für die genannte Anwendung eingesetzt werden können, ist in der Fachliteratur umfänglich beschrieben. Verschiedene Studien verweisen darauf, dass der Einsatz von Nanosilber aber auch Gefahren für Lebewesen und Umwelt birgt. Nanosilber kann beispielsweise über die Haut in den Körper gelangen und ist deshalb umstritten. Zudem ist der hohe Preis des Metalls ein weiteres Argument, um nach Alternativen zu suchen und für die industrielle Anwendung eine sichere und kostengünstige Beschichtung zu entwickeln.
Für die Produktion des kupferdotierten Photokatalysators wurde am Fraunhofer IFAM ein Prozess entwickelt, der auch die Herstellung größerer Mengen schon im Labormaßstab erlaubt. Anschließend konnte der Katalysator in einem PU-Lacksystem dispergiert als auch in thermoplastische Polymere kompoundiert werden. Die thermoplastischen Polymere ließen sich leicht zu Filamenten extrudieren, die mit dem 3D-Druck-Verfahren Fused Filament Fabrication (FFF) zu komplexen Bauteilen verdruckt werden konnten. Untersucht wurde der Einfluss verschiedener Füllgehalte des Photokatalysator-Komplexes auf deren Wirksamkeit.
Die Versuchsreihen zeigten, dass Füllgehalte des Photokatalysator-Komplexes von rund 35 Gewichtsprozent im PU-Lack und 50 Gewichtsprozent im Polymer sehr gute antibakterielle und antivirale Abbauergebnisse erzielen. Innerhalb von zwei Stunden konnte sowohl unter UV-Licht als auch mit einer sonnenlichtähnlichen Lichtquelle eine Abbaurate von über 80 Prozent gegenüber den Kontrollbauteilen erzielt werden.
Im Ergebnis kann das Silber durch Kupfer in den unterschiedlichen Anwendungen vollumfänglich ersetzt werden. Auch dieses Verfahren wurde zum Patent angemeldet.
Je nach Fragestellung können Unternehmen von diesen Forschungsergebnissen profitieren und Machbarkeitsstudien zur Anwendung für ihre eigenen Produkte am Fraunhofer IFAM beauftragen. Eine umfangreiche Analytik am Institut kann dabei sämtliche Entwicklungsschritte wissenschaftlich begleiten und validieren.
Materialentwickler aus der Industrie können Analysemöglichkeiten am Fraunhofer IFAM für eigene Entwicklungen nutzen
Neben der Materialentwicklungskompetenz bietet das Fraunhofer IFAM zahlreiche Analysemöglichkeiten an, um die Wirksamkeit von antiviralen und antibakteriellen Oberflächen und Desinfektionsverfahren durch effiziente, objektive und aussagekräftige Testverfahren nachzuweisen. Mannigfache Wirkmechanismen und Anwendungsbedingungen erfordern dabei eine grundlegende Expertise sowohl im material- als auch im biowissenschaftlichen Bereich. Im mikrobiologischen Analytiklabor des Fraunhofer IFAM arbeiten daher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachgebieten wie der Materialforschung und der Mikrobiologie eng vernetzt an der Durchführung und Weiterentwicklung von Testmethoden zum Nachweis der antimikrobiellen Wirksamkeit. Dafür stehen moderne Prüf- und Analysemethoden zur Verfügung, die das gesamte Entwicklungsspektrum eines Produkts begleitend unterstützen oder final validieren können. Zu den etablierten Verfahren zählen der Plaque-Assay zur Quantifizierung von infektiösen, zytopathischen Viren, der auf der sichtbaren Veränderung der infizierten Zellen beruht. Eine vergleichbare Wirksamkeitsprüfung gegenüber Bakterien lässt sich mit einem Proliferationstest realisieren. Mit diesem Testverfahren wird ermittelt, ob und wie stark die Vermehrung der Bakterien in Abhängigkeit des eingesetzten Wirkstoffs im Vergleich zu einer Kontrollprobe gehemmt wird. Die Möglichkeit spezifische Versuchsbedingungen wie zum Beispiel Beleuchtungsszenarien zu realisieren und diese in die Testung einzugliedern, rundet die Expertise des Fraunhofer IFAM ab.
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