COVID-Impfung könnte Erkältungen ausbremsen
14.02.2022 - Alle in der Europäischen Union zugelassenen Corona-Impfstoffe schützen vor schweren COVID-Verläufen. Darüber hinaus könnten diese Impfstoffe Erkältungs-Coronaviren hemmen, die mit dem Pandemie-Auslöser SARS-CoV-2 verwandt sind. Anhand einer kleinen Kohorte haben Forschende der Ulmer Universitätsmedizin nun nachgewiesen, dass COVID-19-Impfungen die neutralisierende Aktivität gegen Erkältungs-Coronaviren erhöhen. Die Studie ist im Journal Clinical Infectious Diseases erschienen.
Neben dem pandemischen Erreger SARS-CoV-2 gibt es mindestens sechs weitere Coronaviren, die Menschen infizieren. Darunter sind die Auslöser der lebensbedrohlichen Erkrankungen SARS und MERS, aber auch relativ harmlose und weit verbreitete Erkältungsviren. „Die unterschiedlichen Coronaviren ähneln sich im Aufbau des Spike-Proteins, das an menschliche Zellen bindet und somit deren Infektion ermöglicht. Alle COVID-Impfungen nutzen dieses Protein von SARS-CoV-2 zur Immunisierung“, erklärt Professor Frank Kirchhoff, Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie. Ausgehend von diesen Ähnlichkeiten haben Forschende des Universitätsklinikums Ulm und der Universität Amsterdam untersucht, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 die Immunantwort gegen saisonale Erkältungs-Coronaviren beeinflusst (hCoV-OC43, hCoV-NL63 und hCoV-229E). Tatsächlich konnten sie einen gewissen Schutzeffekt nachweisen.
Für die aktuelle Studie spendeten 24 Probandinnen und Probanden zwei Mal Serum: Die erste Blutabnahme erfolgte vor einer Kreuzimpfung mit den Vakzinen von AstraZeneca und BioNTech; die zweite zwei Wochen nach der vollständigen Impfung. Mit diesen Proben haben die Forschenden Neutralisations-Experimente durchgeführt: Dabei untersuchten sie, wie effektiv die Seren die Infektion von Zellen durch verschiedene Coronaviren hemmen. „Um mögliche Effekte der COVID-19-Impfung nachzuweisen, haben wir zunächst die neutralisierende Wirkung der Seren analysiert, die vor der Impfung abgegeben wurden. Die Ergebnisse wurden dann mit der Neutralisierungs-Effizienz unterschiedlicher Coronaviren nach der Kreuzimpfung verglichen“, erläutern die Ulmer Erstautoren Jan Lawrenz und Qinya Xie. Die Forschenden haben die Virusvermehrung in den Blutproben anhand der Produktion von viraler Erbsubstanz und Proteinen bestimmt.
Um auch die Hemmung der hochpathogenen SARS-CoV-1- und MERS-Coronaviren untersuchen zu können, stellten die Autorinnen und Autoren in einem zweiten Schritt nicht vermehrungsfähige Viruspartikel her. Diese Partikel wurden mit den Spike-Proteinen der Erreger von SARS, MERS und COVID-19, aber auch von Erkältungs-Coronaviren ausgestattet. Untersuchungen mit diesen sogenannten „pseudotypisierten“ Viruspartikeln bestätigten die vorherigen Ergebnisse mit den vermehrungsfähigen Coronaviren.
Insgesamt zeigten die Seren aller Studienteilnehmenden bereits vor der ersten Impfung eine neutralisierende Aktivität gegenüber den Erkältungs-Coronaviren hCoV-OC43 und hCoV-NL63 – sowie eine schwächere Hemmung von hCoV-229E. Nach der Kreuzimpfung steigerte sich die neutralisierende Wirkung gegen diese Coronaviren um das 1,5- bis 4-fache. Durch die Impfung gebildete Antikörper hemmten nicht nur den pandemischen Erreger SARS-CoV-2, sondern auch das eng verwandte hochaggressive Virus SARS-CoV-1. „Unsere Studie zeigt, dass die COVID-Impfung die neutralisierende Aktivität der Seren gegen saisonale Coronaviren verstärkt. Dabei stellt sich die Frage, ob Antikörper gegen das SARS-CoV-2 Spike-Protein mit den anderen Coronaviren ,kreuzreagieren‘, oder ob die Impfung bereits vorhandene B-Zellen gegen Erkältungsviren reaktiviert. Die vorläufigen Daten deuten darauf hin, dass die Reaktivierung vorhandener B-Zellen eine relevante Rolle spielt“, resümiert Dr. Janis Müller, Wissenschaftler am Ulmer Institut für Molekulare Virologie.
Letztlich glauben die Forschenden nicht, dass COVID-19-Impfungen saisonale Erkältungen wirksam verhindern können – dafür ist die erworbene Immunität wahrscheinlich zu schwach und kurzfristig. Allerdings könnte die Schutzimpfung Häufigkeit, Dauer und Schwere solcher Atemwegsinfektionen günstig beeinflussen. In welchem Maße dies geschieht, müssen weitere Studien klären.
Die Autorinnen und Autoren der Universitäten Ulm und Amsterdam wurden im Zuge des Projekts Fight-nCoV mit EU-Mitteln gefördert, dazu kamen Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).