Zielgenau gegen Herzerkrankungen
03.08.2022 - MHH-Forschungsteam findet neue AAV-Vektoren für Gentherapie im Herzmuskel.
Gentherapien zielen auf die Heilung schwerer, kaum behandelbarer monogenetischer Erkrankungen, die von einem Defekt in einem einzelnen Gen hervorgerufen werden. Entsprechend groß sind die Hoffnungen der Medizin. Einige Gentherapien sind in Europa bereits zugelassen – etwa bei der spinalen Muskelatrophie (SMA), einer angeborenen neuromuskulären Erkrankung mit schwerer Muskelschwäche und Muskelschwund. Dabei werden mit Hilfe sogenannter viraler Vektoren therapeutische Gene als „Medikament“ direkt in die Zelle transportiert. Zu den bekanntesten Vertretern dieser umgangssprachlich als Gentaxis bezeichneten Vektoren zählen die sogenannten Adeno-assoziierten Viren (AAV). Da sie es jedoch von Natur aus gewohnt sind, steuern sie neben dem eigentlichen Ziel auch andere Gewebe an. Zudem können sie vom Immunsystem als fremd erkannt und zerstört werden. Zwei Forschungsteams der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben AAV-Varianten entwickelt, die Herzmuskelzellen ansteuern und so zur gezielten Behandlung von Herzerkrankungen in Frage kommen. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Molecular Therapy veröffentlicht worden.
Millionen Varianten untersucht
„AAV-Vektoren leiten sich zwar von Viren ab, dienen aber ausschließlich als Transportmittel“, erklärt Professorin Dr. Hildegard Büning, AAV-Expertin und stellvertretende Leiterin des MHH-Instituts für Experimentelle Hämatologie. Über die Vektorhülle, das sogenannte Kapsid, docken die AAV-Vektoren an die Körperzelle an und schleusen ihre genetische Fracht in das Zellinnere. Dort wird sie abgelesen und gemäß ihrem Bauplan in das entsprechende Protein umgesetzt. „Das Problem bei den aktuell verwendeten AAV-Vektoren ist jedoch, dass sie an unterschiedliche Gewebe heften können sich somit oft in der Leber wiederfinden“, sagt die Wissenschaftlerin. Das Forschungsteam hat daher unter vier Millionen AAV-Varianten nach geeigneten Kandidaten mit Kapsid-Strukturen gesucht, die bevorzugt Herzmuskelzellen ansteuern. Im Mausmodell hat Biochemikerin Dr. Laura Rode die Vektoren „trainiert“ und untersucht, welche Varianten hauptsächlich im Herzen ankommen und sich kaum noch in die Leber verirren. „Wir hatten mehrere Gewinner im Rennen und haben anschließend getestet, wie stark sie vom menschlichen Immunsystem abgefangen werden.“
Nicht alle Gentaxis erreichen ihr Ziel
Nicht alle Vektoren, die zielgerichtet bestimmte Körperzellen ansteuern, kommen dort auch an. „Etwa 70 Prozent der Bevölkerung hat neutralisierende Antikörper gegen natürlich vorkommende AAV“, erläutert Dr. Christian Bär, Molekulargenetiker am Institut für Molekulare und Translationale Therapiestrategien. „Ihr Immunsystem fängt die Gentaxis ab, bevor sie die Fracht wie gewünscht in die Zelle bringen können.“ Die vorsortierten Vektoren mussten daher in Zellkultur mit menschlichem Blutplasma beweisen, wie gut sie den neutralisierenden Antikörpern entkommen konnten. Die zwei AAV-Varianten haben auch diese Prüfung überstanden. Sie wurden dann mit einem Biomolekül namens H19 beladen, das am Institut bereits erfolgreich zur Therapie bei krankhafter Herzvergrößerung durch Bluthochdruck getestet wurde – allerdings mit einem herkömmlichen AAV-Vektor. „Die neuen Vektor-Varianten haben H19 sogar viel effizienter in den Herzmuskelzellen abgeliefert als der ursprünglich von uns verwendete AAV-Vektor“, betont der Wissenschaftler.
Neue Vektor-Varianten haben mehrere Vorteile
Was auf den ersten Blick nicht spektakulär klingt, ist für eine mögliche therapeutische Anwendung jedoch in mehrfacher Hinsicht wichtig. „Gentherapie ist eine teure Behandlungsmethode, die sich zudem meist nur einmal für jeden Vektor anwenden lässt, weil das Immunsystem spätestens beim zweiten Mal den Vektor als fremd erkennen und eliminieren würde“, erläutert Institutsdirektor Professor Dr. Dr. Thomas Thum. Eine zusätzliche Vektor-Variante bietet die Chance auf eine weitere Behandlung. Wegen der hohen Zielgenauigkeit der neuen Varianten genügt zudem eine geringere Dosierung. „Das senkt die Kosten pro Behandlungseinheit enorm“, betont Professor Thum. Gleichzeitig wird die Verabreichung deutlich erleichtert. „Unser Ziel ist es, dass die Vektoren Herzmuskelzellen so sicher finden, dass sie einfach in den Arm der Herzpatientinnen und Herzpatienten injiziert werden könnten und nicht per Katheter in das Herz verabreicht werden müssten“, sagt Dr. Bär. Bis es tatsächlich so weit ist, müssen Wirksamkeit und Verträglichkeit allerdings noch in weiteren Studien im Großtiermodell und später auch in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden.
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