Gesundheitspolitik

Gesundheitsversorgung auf dem Land - was wir von Finnland lernen können

11.07.2024 - Ob chronisch Erkrankte, multimorbide Patient*innen oder Akutfälle: Auch künftig müssen Menschen in strukturschwachen Regionen optimal medizinisch versorgt werden.

Das ist eine der zentralen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen.

In manchen Regionen Deutschlands droht die Versorgungsinfrastruktur heute schon zum Flickenteppich zu werden. Landarztpraxen schließen mangels Fachpersonal oder weil es keine Nachfolge gibt. Zudem stellt die neue Generation von Ärzt*innen andere Anforderungen an Vereinbarkeit und Work-Life-Balance. Mit dem demografischen Wandel steigt gleichzeitig der Bedarf an medizinischer und pflegerischer Versorgung. Auf der Suche nach Rezepten, um die Gesundheitsversorgung auf dem Land trotz dieser Belastungen weiter sicherzustellen, lohnt sich der Blick nach Finnland. Unsere Nachbarn im hohen Norden haben regionale Einheiten geschaffen und diese mit großem Handlungsspielraum ausgestattet. Unter anderem können Pflegekräfte hier vieles selbst entscheiden – ohne eine Ärztin oder einen Arzt. Der Hausarzt-Tradition setzt Finnland Teamarbeit und digitale Vernetzung entgegen. Dies wäre auch für Deutschland ein großer, aber dringend gebotener Schritt.

Die Gesundheitsversorgung auf dem Land droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Rechnerisch versorgen jede Ärztin und jeder Arzt durchschnittlich rund 198 Menschen. Doch Flächenländer wie Brandenburg, Niedersachsen oder Bayern verzeichnen mit einer Quote von 230 bis 250 deutlich höhere Werte. 25 Prozent der berufstätigen Mediziner*innen sind laut Bundesärztekammer 60 Jahre oder älter. Viele werden bald in den Ruhestand gehen, oft ohne Nachfolgeregelung. Ein weiterer Faktor ist qualitativ: Die junge Generation wünscht sich heute Teamarbeit, anstatt in einer Praxis auf dem Land auf sich allein gestellt zu sein.
 
Schlüsselrolle im Gesundheitszentrum: Pflegefachkräfte

Das große, aber dünnbesiedelte Finnland kennt diese Herausforderungen nur zu gut und hat mutig Reformen durchgeführt. Sie brachten für die Patient*innen erhebliche Umstellungen mit sich. Die Menschen übernehmen nun selbst mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit. Das Gesundheitssystem investiert viel in Prävention und Gesundheitsvorsorge – bis 2050 sollen mehr als 30 Prozent der Ausgaben in Prävention fließen. Im Krankheitsfall sind 130 Gesundheitszentren mit insgesamt 510 Standorten die erste Anlaufstelle. Dort arbeiten unterschiedliche medizinische Fachkräfte unter einem Dach. Der ausschließliche Fokus auf eine Ärztin oder einen Arzt wird abgelöst durch die Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams. So spielen Pflegefachkräfte in Finnland eine Schlüsselrolle. Sie sind es, die in den Zentren darüber entscheiden, ob zum Beispiel eine ärztliche Untersuchung vonnöten ist. Neben der Weiterbildung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften, erhalten die Pflegekräfte spezielle Trainings. So sind sie in der Lage Erkrankte eigenständig zu betreuen und auch bestimmte Medikamente zu verschreiben.
 
Entlastung durch neue Berufsbilder und Telemedizin

Mit dem zunehmenden medizinischen Fachkräftemangel, der in vielen Regionen grassiert, stellt sich auch in Deutschland die Frage: Welche Aufgaben können zum Beispiel Pflegekräfte künftig selbstständig übernehmen? Finnland hat zudem Berufsbilder wie Community Nurses oder Physician Assistants eingeführt, auf die die Ärzteschaft hierzulande bisher verhalten reagiert. Doch sie könnten für Mediziner*innen eine große Unterstützung bedeuten, wenn man sie in die Versorgung klug integriert. Gleiches gilt für telemedizinische Angebote. „Telemedizin darf nicht zusätzlich kommen, sondern muss Hausbesuche oder den Besuch in der Praxis ersetzen. Nur dann wird sie das Potenzial haben, die Ärztin oder den Arzt zu entlasten. Hier gibt es noch zu viele bürokratische Hürden im Alltag“, sagt Franziska Beckebans, Bereichsleiterin für Kundenmanagement und Versorgung bei der SBK Siemens-Betriebskrankenkasse.
 
Technologie vernetzt alle Einrichtungen

Die elektronische Patientenakte (ePA), die hierzulande im Januar 2025 für alle Versicherten eingeführt wird, gibt es in Finnland seit mehr als 20 Jahren. Sie ist das Herzstück der finnischen Gesundheitsversorgung. Alle medizinischen Einrichtungen sind darüber miteinander vernetzt und verpflichtet, ihre Daten dort zu hinterlegen. Auch die Patientinnen und Patienten selbst haben jederzeit Einblick in ihre Daten. Während wir in Deutschland gerade auf sechs Monate Erfahrung mit dem elektronischen Rezept zurückblicken, nutzen die Finn*innen diese Lösung bereits seit Jahren. „Das klassische Hausarzt-Modell wird künftig in ländlichen Regionen zunehmend an seine Grenzen stoßen. Stattdessen werden wir mehr regionale Initiativen sehen, die bestehende Versorgungsangebote und -Anbieter miteinander vernetzen“, erklärt Franziska Beckebans. „Hier wird die ePA in Zukunft für Kontinuität sorgen. Sie wird mittelfristig die Beteiligten vernetzen und für Transparenz sorgen – auch für die Versicherten selbst. Sie hat langfristig das Potenzial, einzelne Versorgungsbausteine zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen. Das macht sie zum Game Changer.“
 
Zum ausführlichen Beitrag „Finnland: Gesundheitsversorgung in der Fläche

 

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