„Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit – und sie macht uns immun gegen ‚alternative Fakten‘“
12.11.2024 - Lalita Ramakrishnan ist am Freitag, 8. November 2024 in Berlin mit dem mit 120.000 Euro dotierten Robert-Koch-Preis ausgezeichnet worden.
Stuart L. Schreiber hat die Robert-Koch-Medaille in Gold für sein Lebenswerk erhalten. Im Rahmen der Preisverleihung bekam Andreas F. Widmer den Robert-Koch-Preis für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Nora Schmidt, Lucie Loyal und Matthias Gröschel erhielten die diesjährigen Preise für Postdoktorand*innen. Die Verleihung der Auszeichnungen fand in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt.
„Robert Koch hätte sicher eine große Freude an der Veranstaltung heute gehabt,“ so Prof. Dr. Wolfgang Plischke, Vorstandsvorsitzender der Robert-Koch-Stiftung. „Wir zeichnen heute Errungenschaften in der Tuberkulose-Forschung aus, in der Arzneimittel-Entwicklung und in der Krankenhaus-Hygiene.“ Robert Koch, der 1907 selbst zum Vorstand der Stiftung gehörte, gründete die moderne medizinische Mikrobiologie mit – er entdeckte 1882 den Tuberkulose-Erreger und erhielt 1905 den Nobelpreis für Medizin. Plischke: „Wir ehren heute Lalita Ramakrishnan für ihre Ansätze in der Behandlung von Tuberkulose, einer Infektionskrankheit, die immer noch die tödlichste weltweit ist.“
Gute Rahmenbedingungen für die Wissenschaft erforderlich
Sabine Dittmar, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, sprach über die Wichtigkeit des Robert-Koch-Preises und die internationale Relevanz der Forschung: „Diese Auszeichnung wissenschaftlicher Erkenntnisse gehört zu den wichtigsten in diesem Land und auf der Welt.“ Das mit Prof. Dr. Drew Weissman erneut ein Preisträger einen Nobelpreis erhalten habe, sei bemerkenswert. Bereits in der Vergangenheit war der Robert-Koch-Preis wiederholt eine inoffizielle Indikation für den Nobelpreis – seit 1975 wurden nun schon 14 Robert-Koch-Preisträger*innen mit der schwedischen, von Alfred Nobel gestifteten, Auszeichnung geehrt.
Das habe aber, so Sabine Dittmar, Konsequenzen für Regierung und Gesetzgeber: „Es ergeben sich für die Politik zwei Aufgaben – zum einen die, gute Rahmenbedingungen für die Wissenschaft zu schaffen, und zum anderen zu helfen, den Erkenntnissen aus der Wissenschaft einen Weg in die Politik zu bereiten.“ Es sei das gemeinsame Ziel, aus „Forschung Gesundheit werden zu lassen“.
Erstmals wurde innerhalb der feierlichen Preisverleihung auch die Auszeichnung für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention verliehen. Prof. Dr. Sebastian Suerbaum, der die Laudatio auf den Prof. Dr. Andreas F. Widmer hielt, sagte über den Schweizer: „Er hat die Infektionsprävention in Deutschland, der Schweiz und der ganzen Welt entscheidend verbessert.“ Dabei hatte die Schweizer Ikone eigentlich Chirurg werden wollen, sich aber dann noch rechtzeitig für die Karriere, in der er weltweiten Einfluss auf den Umgang mit Patient*innen und dem Schutz ihres Lebens haben würde, entschieden.
Bescheiden nahm Andreas Widmer den Preis entgegen, nannte ihn eine Motivation für Nachwuchsforscher*innen und sagte: „Infektionsprävention ist keine Raketenwissenschaft, aber rettet jeden Tag Millionen von Leben.“ Es sei zwar ein hoher Preis für seine Familie gewesen, die oft auf ihn habe verzichten müssen, aber eben auch unerlässlich, sich für das Retten von Menschen auf alltäglicher Ebene einzusetzen. Widmer vermittelte, auch in seinen persönlichen Interessen – wie dem Segelfliegen –, dass Wissenschaft nicht abgehoben sein dürfe, und immer wieder zur Bodenständigkeit zurückkehren müsse.
Pionierarbeit in der Tuberkulose-Forschung
Bodenständig und eine Lebensretterin ist auch Prof. Dr. Lalita Ramakrishnan. „Sie ist eine außerordentliche Wissenschaftlerin, die Pionierarbeit in der Tuberkulose-Forschung leistet – ihre Arbeit hat unschätzbaren Wert“, so Prof. Dr. Dominique Soldati-Favre vom Wissenschaftlichen Beirat der Robert-Koch-Stiftung in ihrer Laudatio über die Preisträgerin des Jahres. „Sie begegnen einer anhaltenden Krise mit einer unerschütterlichen Anmut.“ Zum Hintergrund: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass immer noch etwa zehn Millionen Menschen pro Jahr an Tuberkulose erkranken und etwa 1,5 Millionen Menschen daran sterben.
Deswegen ist Aufgeben keine Option. Seit Robert Koch den Tuberkulose-Erreger fand, ist viel passiert, und die Arbeit von Lalita Ramakrishnan hat entscheidend dazu beigetragen, dass wichtige Instrumente zur Erforschung der Krankheit entwickelt werden – vor allem ein robustes Zebrafischmodell, das zu bahnbrechenden Erkenntnissen über die Wechselwirkungen zwischen Bakterien und Wirt während der Infektion geführt hat. Ihr Team hat dieses Wissen genutzt, um neue Behandlungsmöglichkeiten für TB zu entwickeln und die klinische Forschung zu gestalten. Lalita Ramakrishnan entdeckte, dass die Notwendigkeit einer monatelangen Behandlung mit mehreren Medikamenten zur Heilung von Tuberkulose dadurch entsteht, dass aktiv wachsende Bakterien in den Makrophagen des Wirts, die zu den Fresszellen gehören und weiße Blutkörperchen sind, die Ausflusspumpen aktivieren, die die Antibiotika „herauspumpen“ und so das Überleben der Bakterien fördern.
„Es ist eine wundervolle Ehre, diesen Preis zu bekommen“, sagte Lalita Ramakrishnan, und scherzte: „Als ich davon gehört habe, dachte ich: Mach dich besser schnell daran, an etwas wirklich Wichtigem zu arbeiten.“ Die 1959 in Indien geborene amerikanische Mikrobiologin steht weltweit an der Spitze der modernen Tuberkuloseforschung (TB). Sie lobte ihr Team mit einer Anekdote über ein Lob von Stanley „Stan“ Falkow, dem US-amerikanischen Mikrobiologen und Professor für Mikrobiologie, der als Vater des Fachgebiets der molekularen mikrobiellen Pathogenese gilt und erzählte augenzwinkernd: „Als ich als junge Wissenschaftlerin Sorge hatte, selbst keine einzigartigen Ideen wie er zu haben, als ich aus seinem Labor wegging, hat er mir gesagt, dass der Trick sei, sich stets mit einem klugen Team zu umgeben.“
Menschliche Krankheiten besser verstehen
Prof. Dr. Stuart L. Schreiber bekam die Robert-Koch-Medaille in Gold für sein Lebenswerk – und blickte mit einer ausgesprochenen Deutlichkeit auf die Zukunft der Wissenschaft auf der ganzen Welt. Er sagte, was ihn besonders in einer Woche, in der zu befürchten steht, dass der Ausgang der Wahlen in seiner Heimat, den Vereinigten Staaten von Amerika, Folgen für die Akzeptanz von Forschungsergebnissen und Gesundheitsthemen haben werden, bewegte: „Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit.“ Wissenschaftler*innen seien Wahrheitssuchende. Das, so Schreiber, möge kein weltbewegendes Statement sein, aber: „Sie macht uns immun gegen ‚alternative Fakten‘ in Zeiten von Fake News und unbelegten Informationen in den Sozialen Medien.“
Er lobte den Nachwuchs und die Tatsache, dass die Robert-Koch-Stiftung die nächsten Generation schon jetzt fördere. Der US-Amerikaner hat Außerordentliches, Herausragendes geleistet – in dem er entscheidend zum Verständnis der Logik der Signaltransduktion und der Genregulation mithilfe von kleinen Molekülsonden beigetragen hat und so das Verständnis für die Rolle, die diese Wege bei menschlichen Krankheiten spielen, erheblich verbessert. In der aktuellen Forschung untersucht das Schreiber-Labor die Mechanismen, durch die viele Krebserkrankungen Therapien widerstehen. Das Labor untersucht auch einen neuen Mechanismus, mit dem unser Gehirn seine Gesundheit aufrechterhält, sowie therapeutische Wirkstoffe, die den Schutzmechanismus des Gehirns verstärken. Stuart L. Schreiber hat die Prinzipien der chemischen Biologie auf die Medizin übertragen, indem er an der Gründung mehrerer Biotech-Unternehmen beteiligt war.
Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der Robert-Koch-Stiftung, Prof. Dr. Andreas Radbruch hielt die Laudationes auf die Postdoktorand*innen-Preiseträger für Virologie, Immunologie beziehungsweise Mikrobiologie: Dr. Nora Schmidt, Dr. Lucie Loyal und Dr. Matthias Gröschel. Im Gespräch mit Moderatorin Christina Sartori beschrieben alle drei nicht nur ihre bisherige Forschung, sondern auch, wo es für sie als nächstes hingeht.
„Wer weiß, vielleicht begrüßen wir Sie eines Tages hier auf der Bühne wieder,“ sagte Wolfgang Plischke schmunzelnd am Ende der Preisverleihung. „Wir haben heute Abend gemeinsam faszinierende Themen der Wissenschaft kennenlernet und ihre Repräsentant*innen, die ihre Forschung in ihren Gebieten einen großen Schritt weitergebracht haben und die Medizin verändert haben. Und wir haben gesehen: Wo die Zukunft der Forschung ist, was die jungen Forscher*innen bewegt, die gezeigt haben, dass sie auch in der Zukunft bereit sind, dicke Bretter zu bohren.“
Das erklärte Ziel der Stiftung, die Grundlagenforschung zu würdigen und zu stärken und die Aufgabe, Wissenschaftler*innen zu ehren, sei nur dank vieler Unterstützer*innen möglich, so Plischke.
Im Publikum waren auch Prof. Dr. Petra Gastmeier, die 2015 den Preis für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention bekam, sowie Prof. Dr. med. Lars Schaade, der neue Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) und Prof. Dr. Jörg Hacker, ehemaliger Präsident des RKI und langjähriger Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der 2022 mit der Robert-Koch-Medaille in Gold für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden war.
Im Podcast „Robert-Koch-Stiftung“ kommen die Preisträger*innen und andere spannende Persönlichkeiten rund um die Stiftung und die Auszeichnungen zu Wort. Überall dort, wo es Podcasts gibt.