Bauen, Einrichten & Versorgen

Ein Projekt im Sprint - Das Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße in Berlin

22.06.2020 -

Wir erleben derzeit eine Krise globalen Ausmaßes, die fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens berührt und viele Gesundheitssysteme weltweit an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht hat. Um dieser Überlastung vorzubeugen, beschloss man in Berlin den Bau eines Corona-Behandlungszentrums auf dem Messegelände an der Jafféstraße.

Für die Realisierung des Projektes fand sich ein Team mit erfahrenen Spezialisten aus den Bereichen der Architektur, der Medizinplanung und -beratung sowie der TGA zusammen. Der Entwurf und die Bauarbeiten wurden durch das Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner aus Berlin ­koordiniert. Sie brachten als Mitglied im AKG – Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen die für ein solches Projekt notwendige Erfahrung und die Sicherheit in fachlichen Fragen mit.

Modulare Cluster
Die Architektur einer Messehalle bringt, wenn sie in ein Krankenhaus verwandelt werden soll, sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich. Der praktikablen Ausstattung und Flexibilität des neutralen Raumes steht seine schiere Größe entgegen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurde eine Grundrissstruktur entwickelt, die auf modularen Clustern basiert, deren mobile Ausstattung sich adaptiv an die individuellen medizinisch-pflegerischen Anforderungen anpassen lässt. Jeder Cluster wird aus 16 bis 24 Betten sowie einer zentralen Servicezone mit Pflegestützpunkt und Lagerräumen gebildet. Insgesamt sind in der Messehalle 488 Bettplätze eingerichtet, 20 Prozent dieser Plätze sind als Intensivpflegebereich mit Beatmungsgeräten ausgestattet.

Medizinisches Konzept
Das Corona-Behandlungszentrum wird Patienten und Patientinnen mit einem leichteren Krankheitsverlauf übernehmen, die nicht der Intensivpflege bedürfen. Im Bereich der Allgemeinpflege wird der Patient analog einer Normalstation im Krankenhaus versorgt. Da ein Großteil der stationären Covid-19 Fälle eine Lungenbeteiligung hat, sind auf allen Bettplätzen – auch im Bereich der Allgemeinpflege – Sauerstoffanschlüsse vorgehalten. Sollte sich der Zustand der Patienten verschlechtern, werden sie in den Intensivpflegebereich verlegt, wo die Möglichkeit zur maschinellen Beatmung besteht. Eine Diagnostik kann vor Ort mittels Sonografie, Röntgen und sogar Computer-Tomographie durchgeführt werden. Auch die Möglichkeit zur Bronchoskopie ist gegeben.

Wenn das Zentrum den Betrieb aufnimmt, wird die Messehalle mit den Bettplätzen und allen notwendigen dienenden Räumen zum infektiösen Bereich. Außerhalb der Halle ist ein dreigeschossiger Containerbau errichtet worden, der die Logistik sowie Umkleiden und Personalräume umfasst. Über Brücken und Schleusen im zweiten Obergeschoss gelangt das medizinische Personal in die Halle.

Das Konzept für die Gebäudetechnik wurde aus den Gegebenheiten der Messehallenarchitektur abgeleitet, denn die notwendigen Installationen werden über Traversen zugeführt. Die für den Sauerstoff sowie die elektrische und datentechnische Versorgung notwendigen Leitungen werden über die Traversen von oben an die jeweiligen Cluster gebracht, so dass unten eine maximale Baufreiheit erhalten blieb. Diese für den Messe- und Veranstaltungsbereich typische Bauweise ermöglicht ein hohes Maß an Flexibilität und gewährleistete außerdem die Einhaltung der ehrgeizigen Terminziele, da sie ein gleichzeitiges Arbeiten der Gewerke ermöglichte.

Leitsystem für Personal und Patienten
Durch die Aufteilung in definierte Zonen und mit Hilfe einer durchdachten Wegeführung für Personal, Patienten und Material gelingt es, der insgesamt 11.690 Quadratmeter großen Messehalle eine ablesbare Struktur zu geben. Mit dem neu verlegten Linoleum-Boden werden die Bereiche der Allgemeinpflege und der Beatmung in Grün beziehungsweise Blau markiert. Dies wird unterstützt durch ein ortspezifisches Leitsystem, dessen großflächig gesetzte Elemente auch aus großer Distanz erkennbar sind. Kräftige Orange- und Himbeertöne vermitteln Wärme und Zuversicht.

Im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit unseren Ressourcen sind die für das Corona-Behandlungszentrum eingesetzten Materialien zu über 90 % wiederverwertbar. Dies gilt für das angeschaffte medizinische Mobiliar wie den Betten, den mobilen Versorgungseinheiten und Beatmungsgeräten und dem CT, die später in anderen Krankenhäusern Einsatz finden können, ebenso wie für die Messebauwände, Traversen und weiteren Möbel, die nur angemietet sind.

Arbeiten im Ausnahmezustand
Alle Systeme wurden sukzessive erarbeitet und permanent evaluiert. Dabei waren nicht nur die speziellen Anforderungen des Projekts selbst ein absolutes Novum, sondern auch die Informationslage zu Beginn der Bauphase. Weder gab es einen Überblick zu den Bauaufgaben in Bezug auf Räume, Funktionen und Ausstattung, noch lag ein detailliertes Raumprogramm vor. Alles, was sonst a priori gemeinsam von Ingenieuren, Architekten und Auftraggebern erarbeitet wird, musste bei diesem Projekt entwickelt werden, während an anderer Stelle bereits gebaut wurde – ein Sprint an dessen Ende ein Notfall-Behandlungszentrum steht, von dem niemand hofft, es irgendwann zu brauchen.


 

 

Kontakt

Heinle, Wischer + Partner Freie Architekten

Gutenbergstraße 4
10587 Berlin

+49 30 39992099
+49 30 39992010

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