Was sich die Menschen wünschen: Neue Wohnformen für Ältere – Trends und Umsetzung
24.04.2020 -
Mit zunehmendem Alter und bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen wird die Wohnung zunehmend der Lebensmittelpunkt. Ältere Menschen verbringen den weitaus größten Teil ihres Alltags zu Hause. Damit geht eine emotionale Verbundenheit mit Wohnung und Wohnumfeld einher. Auch wollen die meisten Menschen bei Beeinträchtigungen möglichst auch weiterhin selbstständig und selbstbestimmt im vertrauten Wohnumfeld leben. Diesen Wohnwünschen gerecht zu werden ist jedoch schwierig, weil viele Wohnungen nicht die notwendigen Anforderungen erfüllen. In Zukunft werden die Anforderungen noch steigen. Ein Beitrag von Ursula Kremer-Preiß, Kuratorium Deutsche Altershilfe.
Die Zahl älterer und pflegebedürftiger Menschen wächst – dazu kommt der Rückgang des familialen und professionellen Helferpotenzials. Diese Herausforderungen der demografischen Entwicklung erfordern die verstärkte Schaffung barrierefreier bzw. -armer Wohnangebote. Das Wohnen muss stärker mit Versorgungssicherheit zusammengedacht, Lösungen für den wachsenden Pflegenotstand entwickelt werden.
Durch die zunehmende Belastung sozialer Sicherungssysteme, Altersarmut und Wohnkostensteigerungen (ökonomische Herausforderungen) bedarf es außerdem eines verbesserten Wohnangebots, das für Ältere bezahlbar bleibt – das aber auch gesamtgesellschaftlich refinanzierbar ist.
Schließlich brauchen wir Antworten für die sozialen Herausforderungen in Form von sozialer Differenzierung und Spaltung sowie der wachsenden Einsamkeit: Sie machen ein differenziertes Wohnangebot für unterschiedliche Wohnwünsche erforderlich, die den sozialen Zusammenhalt und die soziale Teilhabe durch Austausch und Begegnung stärken.
In den vergangenen 30 Jahren sind vielfältige Initiativen gestartet worden, um den Wohnwünschen Älterer und den genannten Herausforderungen besser gerecht werden zu können. Dabei lassen sich die nachfolgend beschriebenen Entwicklungen beobachten.
Wohnen im Heim
In den vergangenen Jahren wurden vor allem die traditionellen stationären Wohn- und Versorgungsangebote ausgebaut. Das stationäre Wohnangebot wuchs seit 2005 um mehr als 200.000 Pflegeplätze – dadurch ist die Anzahl der Pflegebedürftigen in der stationären Dauerpflege von 2005 bis 2015 um +20,6 % gestiegen (Statistisches Bundesamt 2017: Ausbau stationärer Pflege seit 2005 nach Bundesländern, Berlin). Seit 2015 stagniert jedoch der Ausbau. In fast allen Bundesländern standen im Jahr 2017 pro 1.000 Pflegebedürftigen weniger Plätze zur Verfügung als noch im Jahr 2010. Bundesweit sind die Versorgungsanteile der stationären Pflege inzwischen von 31,2 % auf 24,0 % (2017) gesunken.
Auch qualitativ verändert sich das Angebot. Viele stationäre Einrichtungen organisieren das Wohnen im Heim heute nach dem „Hausgemeinschaftskonzept“, wo in dezentralen familienähnlichen Gruppen Hilfe und Pflege in Form einer normalen Alltagsgestaltung mit Präsenzkräften organisiert wird. Andere Einrichtungsträger haben spezielle Versorgungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz geschaffen, z. B. Pflegeoasen oder Demenzdörfer. Auch öffnen zunehmend Einrichtungsträger ihre Heime ins Quartier und werden zu Gesundheits- oder Quartierszentren, um Ressourcen aus dem Quartier für ihre Bewohnerschaft zu nutzen oder um für andere Pflegebedürftige im Quartier die Versorgung zu sichern.
Abgesehen davon gibt es eine Tendenz, Einrichtungen zu „ambulantisieren“, um mehr Selbstbestimmung und individuelle Lebensgestaltung im Heim zu ermöglichen. So stellt z. B. im „Stambulant“-Modell von Benevit aus Mössingen der Heimträger nur ein Grundleistungspaket bereit. Andere Leistungen können nach Bedarf hinzugewählt und auch von unterschiedlichen Dienstleistern, Angehörigen, Ehrenamtlichen erbracht werden. Manche Einrichtungsträger „ambulantisieren“ ihr Angebot insgesamt.
Zwischen Heim und Häuslichkeit
Parallel zum Ausbau der klassischen stationären Pflege hat sich zwischen den Polen „Heim“ und „vertrauter“ Häuslichkeit in den vergangenen Jahren ein breites Spektrum an alternativen Wohnformen entwickelt. Sie werden vielfach als „neu“ bezeichnet, obwohl sie schon viele Jahre auf dem Markt existieren. Ihre Innovation besteht darin, dass sie neue Lösungen suchen, um den Herausforderungen der klassischen häuslichen oder stationären Wohnsettings zu begegnen. Sie versuchen, auf der einen Seite mehr Versorgungssicherheit (wie im klassischen häuslichen Wohnsetting) zu gewährleisten und auf der anderen Seite mehr Selbststimmung auch bei Hilfe und Pflegebedarf (wie im klassischen stationären Wohnsetting) zu ermöglichen.
Das Angebotsspektrum dieser neuen Wohnformen reicht dabei von Wohnangeboten, wo der gemeinschaftliche Aspekt im Vordergrund steht (z. B. Mehrgenerationenwohnprojekte, Seniorenwohngemeinschaften) über Wohnangebote, die vor allem mehr Service im Alltag bieten (z. B. Betreutes Wohnen) bis hin zu Wohnangeboten, die das private Wohnen mit umfassender Pflege verbinden (z. B. ambulant betreute Pflegewohngemeinschaften, Pflegewohnungen).
Auch diese Angebote haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Viele versuchen vor allem, noch mehr Versorgungssicherheit zu gewährleisten. So integrieren Mehrgenerationenwohnprojekte „ambulant betreute Pflegewohngemeinschafen“ – oder Betreutes Wohnen entwickelt sich weiter zu sogenannten Verbundmodellen. Bei letzteren werden barrierefreie Wohnungen mit Angeboten der Tagespflege sowie weiteren Leistungen – auch technischen Hilfen –gekoppelt, um so privates Wohnen mit einer Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist die „Wohnen-Plus-Residenz“ der Evangelischen Heimstiftung. Die Grenzen zwischen stationären und ambulanten Wohnangeboten werden so immer fließender.
Wohnen in vertrauter Häuslichkeit
All diese Sonderwohnformen erfordern in der Regel einen Umzug aus der vertrauten Häuslichkeit und vielfach auch aus dem vertrauten Wohnumfeld. Die meisten älteren und auch pflegebedürftigen Menschen wohnen jedoch in ganz normalen Wohnungen und wollen auch dort wohnen bleiben. In den vergangenen Jahren gab es daher vielfältige Anstrengungen, diesem Wunsch nachzukommen.
So wurde eine Vielzahl barrierefreier und -armer Wohnungen im Wohnungsbestand angepasst – auch neue sind gebaut worden, um ein selbstständiges Wohnen auch bei Mobilitätseinschränkungen zu sichern. 2013 gab es 700.000 barrierefreie Wohneinheiten. Der Bedarf wird bis 2030 jedoch auf über 3 Millionen geschätzt. 2019 hatten laut Statistischem Bundesamt von 12,7 Mio. Seniorenhaushalten nur 3,3 % eine barrierearme Wohnung (Statistisches Bundesamt 2019: Wohnen in Deutschland – Zusatzprogramm des Mikrozensus 2018, Wiesbaden).
Eine barrierefreie Wohnung alleine wird die selbstständige Lebensführung jedoch nicht sicherstellen können. Es bedarf ebenso eines barrierearmen Wohnumfeldes und einer fußläufig erreichbaren Infrastruktur, aber auch sozialer Kontaktmöglichkeiten oder wohnortnaher Alltagshilfen und Pflegeangebote. Um das zu gewährleisten, haben sich sogenannte Quartiersansätze verbreitet. Hierbei versucht man, gemeinsam mit den örtlichen Akteuren und der Bewohnerschaft, die unmittelbaren Lebensräume der Menschen so weiterzuentwickeln, dass sie dort entsprechend ihren unterschiedlichen Bedarfen selbstständig und selbstbestimmt leben können.
Ein Beispiel dafür ist der „Ambulant betreute Wohnverbund“ in Kassel-Rothenditmold. Hier erhalten die Menschen in ihren Wohnungen die passende Unterstützung – gleich ob sie allein, mit ihrem Partner oder in Gruppen wohnen. Organisiert wird das durch einen Quartiersstützpunkt von Ehrenamtlichen und professionellen Dienstleistern.
Seit mehr als zehn Jahren wird die Umsetzung solcher sozialraumorientierten Ansätze auch in der Altenhilfe von der Politik und durch vielfältige Initiativen gefördert – z. B. „Quartier 2020“ in Baden-Württemberg. In solchen Ansätzen liegt ein Schlüssel zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen beim Wohnen im Alter.
All diese weiterentwickelten Wohnkonzepte erfordern ein gemeinsames Zusammenwirken vieler Beteiligter. Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Angehörigen, Initiatoren, Leistungsträger und -erbringer, ehrenamtlich Engagierte und Nachbarschaften müssen in geteilter Verantwortung zusammenwirken. Dafür brauchen wir Menschen, die solche Prozesse koordinieren (Case- und Caremanager oder Quartiersmanager, Sozialraumkoordinatoren). Damit sich solche zukunftsträchtigen Wohn- und Versorgungsmodelle flächendeckend verbreiten, bedarf es einer nachhaltigen Finanzierung solcher Tätigkeiten.
Kontakt
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