Zweiter Entwurf der DIN 1946, Teil 4 - kritische Überlegungen
08.04.2011 -
Zweiter Entwurf der DIN 1946, Teil 4 - kritische Überlegungen. Der zweite Entwurf zur Überarbeitung der schon lange als veraltet geltenden DIN 1946, Teil 4: Raumlufttechnische Anlagen in Krankenhäusern wurde im Juni 2007 veröffentlicht. Wie schon im ersten Entwurf soll als wesentliche Kenngröße für die Abnahme von OP-Räumen der Klasse Ia der Turbulenzgrad der Luftströmung im Schutzbereich unter der Zuluftdecke verwendet werden.
Der nachfolgende Beitrag zeigt, dass es weder richtig ist, einen sehr niedrigen Turbulenzgrad zu fordern, noch ihn als Abnahmekenngröße zu verwenden.
An der Hochschule für Technik und Architektur Luzern ist im Rahmen des Forschungsvorhabens „Gebäudetechnik im Gesundheitswesen“ ein OP-Raum im Originalmaßstab gebaut worden, in dem u. a. die Schutzwirkung lüftungstechnischer Anlagen unter wissenschaftlichen Bedingungen ermittelt werden kann. Hier erfolgte die messtechnische Überprüfung, ob der Turbulenzgrad einer Verdrängungsströmung ein notwendiges und hinreichendes Kriterium zur Beschreibung der Wirksamkeit des OP-Lüftungskonzeptes für OP-Räume der Klasse Ia ist.
Konfiguration zu den Prüfungen: Zuluftverteiler netto 3,1 x 3,1 m², umlaufende Strömungsschürzen bis auf eine Höhe von 2,1 m über dem Fußboden, Abluft und Umluftfassungen im unteren Teil der Wände, handelsübliche Gewebeverteiler mit einem gleichförmigen Abströmprofil sowie mit einem differentiellen Abströmprofil, bei dem im Kerngebiet die Strömungsgeschwindigkeit etwa doppelt so hoch ist wie in den Randzonen (Kernfläche bei dem „Differentialflow“ 2 x 1 m²).
Zunächst erfolgte eine „Typprüfung“, wie sie im zweiten Entwurf der DIN 1946–4 beschrieben wird. Danach darf der Turbulenzgrad, gemessen an 121 Messpunkten im Schutzbereich in 1,2 m Höhe über dem Fußboden ohne die Anwesenheit von OP-Tisch und ohne OP-Lampen die Werte von 15 % im Kerngebiet bzw. 25 % an den vier Eckpositionen nicht übersteigen. Bei Einhaltung der Werte sowie „gleichförmiger Abströmung“ gilt das Deckenfeld als abgenommen, also tauglich für einen OP-Betrieb mit höchsten Anforderungen an die Luftqualität.
Dann wurde für diese Deckenfelder eine Abnahmeprüfung nach VDI 2167–1:2007–08 (Übernahme der schon seit 2002 in der Schweiz gültigen Richtlinie SWKI 99–3) durchgeführt. Hierbei erfolgt die Feststellung der Schutzwirkung der Deckenfelder im komplett eingerichteten OP-Raum, also unter Einbeziehung aller strömungstechnisch relevanten und in der Realität mindestens vorhandenen Komponenten, wie OP-Lampen, OP-Tisch, OP-Team und Anästhesiearbeitsplatz.
Die Schutzwirkung wird berechnet als negativer Logarithmus des Quotienten Partikelkonzentration im Schutzbereich/Konzentration einer bei allen Abnahmen gleichen Referenz-Partikellast. Der Wert für die Schutzwirkung ist analog interpretierbar wie die Wirksamkeit der Desinfektion. Eine Keimreduktionsrate von 10 –5 entspricht einer wirksamen Desinfektion. Eine Partikel reduktionsrate von 10 –5 entspricht einer Schutzwirkung 5 nach SWKI 99–3/VDI 2167–1.
Für die beiden Deckenfelder sind die Abnahmeergebnisse nach SWKI 99–3/VDI 2167–1 und dem DIN Entwurf in der Tabelle dargestellt.
Zunächst ist zu erkennen, dass nur mit einem Differentialflow eine sehr hohe Schutzwirkung zu erreichen ist. Aus den Ergebnissen der Turbulenzgradmessungen nach dem DIN-Entwurf ist zu erkennen, dass keiner der Gewebeverteiler ohne Überschreitung der Turbulenz Grenzwerte bleibt. Der Anteil der überschrittenen Grenzwerte erreicht über 70 %. Auch bei den weiteren Teilprüfungen, die im DIN-Entwurf angegeben sind, können die zulässigen Grenzwerte überwiegend nicht eingehalten werden.
Welches Abnahmeergebnis ist nun glaubwürdiger und repräsentativer?
Eine weitere Versuchsreihe sollte dazu Aufklärung geben. Aus einer schon 1990 erschienenen Veröffentlichung von Degenhard, E. und Warnecke, H.J. (Reinraumtechnik 4/1990, S. 41–47) geht hervor, dass das Nachlaufgebiet hinter Strömungsstörkörpern unter Deckenfeldern mit Lochblechgittern geringer ist als unter Feldern mit Gewebeverteilern. Ursache ist die höhere Grundturbulenz der Zuluftströmung aus Lochblechgittern.
Zum direkten Vergleich wurde das Deckenfeld im Labor-OP-Raum nacheinander ohne Verteiler, mit dem Gleichstrom-Gewebeverteiler und mit einem Gleichstrom-Lochblechverteiler (freier Querschnitt ca. 18 %) betrieben. Als OP-Leuchten dienten strömungsgünstige, sternförmig gestaltete Leuchten (Durchmesser 40 cm, ohne Abdeckung) die abwechselnd mit einer deckelförmigen Abdeckung strömungsungünstiger gemacht wurden.
Die jeweiligen Schutzwirkungen der drei Verteiler nach VDI/SWKI und die Turbulenzgrade der Zuluft in 30 cm Abstand vom Durchlass sind in der Abbildung dargestellt.
Erwartungsgemäß war die Grundturbulenz der Zuluft bei der Lochblechdecke mit im Mittel 40 % sehr hoch und beim Gewebeverteiler mit 3 % sehr niedrig.
Beim hohen Zuluftstrom zeigt sich, dass die Schutzwirkung beim Lochblechverteiler praktisch doppelt so hoch ist wie beim Gewebeverteiler. Dieses für einen Gleichstromverteiler gute Ergebnis wird sowohl mit strömungsoptimierten OP-Lampen als auch mit strömungstechnisch schlechten OP-Lampen erreicht. Da mit sind die Erkenntnisse von Degenhard/Warneke auch auf OP-Räume mit Deckenfeldern übertragbar. Eine mäßige Erhöhung der Turbulenz der Zuluftströmung führt zu einer Verringerung der Leegebiete unter den OP-Leuchten. Es ergeben sich bessere Schutzwirkungen.
Insofern ist den Autoren unverständlich, warum auch im zweiten DIN-Entwurf ein Abnahmeverfahren aufgenommen werden soll, das minimale Turbulenzgrade erzwingt, Differentalflowverteiler verbietet und so zu falschen technologischen und lufthygienischen Entwicklungen führt.