Gesundheitsökonomie

Dr. Jörg-Peter Schröder im Interview: Arbeitsklima als Wirtschaftsfaktor

25.12.2011 -

Dr. Jörg-Peter Schröder im Interview: Arbeitsklima als Wirtschaftsfaktor. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in Krankenhäusern werden Mitarbeiter heute häufig als Kostenfaktor angesehen. Organisationsabläufe diktieren den Arbeitsalltag, der Mensch ist eine „Ressource“, an der gespart werden kann. Über die Ausprägungen und negativen Auswirkungen sprach Management & Krankenhaus mit dem Burnout- Experten Dr. Jörg-Peter Schröder, Arzt für Unternehmensgesundheit und Führungscoach.

Management & Krankenhaus: Dr. Schröder, gibt es einen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Produktivität?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Ja. Gesundheit fördert Arbeit. Konflikte mindern die Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit. Das Wohlbefinden der Mitarbeiter ist wichtig, wird aber in den wenigsten Kliniken ernst genommen. Organisationskrankheiten wie Burnout und Mobbing sind an der Tagesordnung.

Management & Krankenhaus: Woher kommt das?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Das Problem ist folgendes: Die Beförderung von Ärzten basiert immer mehr auf deren Wissen. Dabei ist das Wissen für eine Führungskraft gar nicht entscheidend. Die wenigsten Chefärzte haben Führung gelernt. Doch der Impact- Faktor von Publikationen sagt eben nichts aus über die Fähigkeit, Menschen zu motivieren und eine Abteilung oder gar eine Klinik zu führen. Der Chefarzt der Chirurgie müsste theoretisch gar kein Facharzt sein, es genügen fachlich hervorragende Oberärzte.

Er muss vielmehr gemeinsame Überzeugungen, Werte und verbindliche Regeln schaffen. Zudem braucht es vertrauensvolle und unterstützende Beziehungen. Die Führungskräfte müssen eine Transparenz von Entscheidungen aufzeigen und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen schaffen. Alle Mitarbeiter müssen die Ziele des Krankenhauses verstehen und von der Sinnhaftigkeit überzeugt sein.

Management & Krankenhaus: Wie äußern sich die Folgen mangelnder Führung?

Dr. Jörg-Peter Schröder: In den meisten deutschen Krankenhäusern findet kein gesunder Umgang miteinander statt. Hierarchiedenken und Bereichsegoismen prägen den Klinikalltag. Die Ärzte leiden unter der massiven Mehrarbeit, die die Administration ihnen auferlegt. Andererseits resultieren die Probleme auch aus mangelnder Organisation und fehlendem Selbstmanagement.

Den meisten Führungskräften in den Kliniken fehlt Kraft, sie leiden unter stressbedingten vegetativen Beschwerden. Wenn Überforderung als bedrohlich empfunden wird, kommt es u.a. zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Kreativität sowie Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation. Das führt zu sinkender Arbeitsproduktivität und schlechter -qualität, zuletzt zum Burnout. Die Kosten und Einbußen an Produktivität sind immens.

Management & Krankenhaus: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Im Gesundheitswesen ist der Faktor Gesundheit als strategischer Wirtschaftsfaktor im Krankenhaus noch nicht erkannt worden. Mitarbeiter und deren Leistung erleben keine wirkliche Wertschätzung. Die Arbeit der Zukunft muss diesem Gedanken Rechnung tragen. Tatsache ist auch, dass eine gute Atmosphäre auf einer Station nachweislich die Gesundung der Patienten fördert. Und die Atmosphäre korreliert auch direkt mit der Arbeitsleistung und der Arbeitszufriedenheit.

Management & Krankenhaus: Wie können bestehende Defizite abgestellt werden?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Die Führung muss Gesundheit und Wertschätzung vorleben. Und genau das findet in den Krankenhäusern zu selten statt. Die Fähigkeit, Führungsanforderungen im betrieblichen Alltag gerecht zu werden, ist das Ergebnis von Lernprozessen und der Entwicklung und Förderung vorhandener Begabungen, Talenten und Potentialen. Ziel muss es sein, eine neue Dimension von Leadership in Krankenhäusern wirkungsvoll und nachhaltig zu implementieren, damit die Wertschöpfung gesteigert werden kann. Seminare und Workshops sowie die individuelle Begleitung zur Kulturund Persönlichkeitsentwicklung in Krankenhäusern sind hierzu sinnvoll.

Management & Krankenhaus: Sie sprechen von Persönlichkeitsentwicklung. Wie kann diese konkret aussehen?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Durch eine persönlichkeitskonforme Adaptation des Verhaltens besteht die Möglichkeit, Entwicklungs- und Lernbedarf nach individuellen Punkten zu gestalten:

  • Erkennen der eigenen typologischen Muster, Schwerpunkte, Talente, Potentiale und Kernkompetenzen
  • Erkennen der individuellen emotionalen Intelligenz
  • Abgleich von Selbstbild und Fremdbild führungsrelevanter Persönlichkeitsfaktoren in einer 360°-Gesamtschau
  • Berücksichtigung der (zukünftigen) Managementebene bei der Wahl des Feedback-Instruments
  • Personale Autorität und Verantwortung
  • Ausarbeitung eines maßgenauen Entwicklungsprogramms
  • Kritisch/konstruktive Begleitung mit Messstellen zum Lern- und Entwicklungsfortschritt

Ein seriöser Coach bietet eine effektive Unterstützung für Nachwuchsführungskräfte und Manager individuell, gruppenbezogen und unternehmensübergreifend an. Eine situations- und fallspezifische Supervision hilft, bisherige Begrenzungen tiefer verstehen zu können und damit zukünftig flexiblere Verhaltensoptionen zu ermöglichen.

Management & Krankenhaus: Und die Moral von der Geschicht?

Dr. Jörg-Peter Schröder: Es ist paradox: Mediziner haben die geringste Lebenserwartung in Deutschland. Krankenhaus und Versorgung dürfen nicht als Mechanik aufgefasst werden. Geistige Kompetenzen und Führungsfähigkeit müssen ausgebildet und bereitgestellt werden. So kann die Arbeit auch wieder Spaß machen. Und vielleicht haben wir in Zukunft dann auch mehr Krankenhäuser, die sich die besten Führungskräfte aussuchen können, weil man dort einfach gern arbeitet.

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