Neue Finanzierungsmodelle von Krankenhäusern: Dr. Susann Breßlein im Interview
29.01.2012 -
Neue Finanzierungsmodelle von Krankenhäusern: Dr. Susann Breßlein im Interview. Kaum eine Branche in Deutschland ist so rasanten Veränderungsprozessen ausgesetzt, wie das Gesundheitswesen. Zudem greifen hier marktwirtschaftliche Steuerungsprozesse nur bedingt – gewachsene Strukturen stehen dem gegenüber. Mit dieser Realität ist auch das Klinikum Saarbrücken mit seinen 1.950 Mitarbeitern und jährlichen Umsatz von 112 Mio. € konfrontiert. Seine Geschäftsführerin, Dr. Susann Breßlein, seit 1993 in dieser Position, weiß um die Notwendigkeiten rund um Finanzierbarkeit und Zukunftsplanung. Krankenhäuser nutzen aktuell die Chancen, die in neuen Finanzierungsmodellen liegen. Die Beziehung zwischen Medizin und Technik ist hierbei vertraglich auf Basis des Nutzens eines Geräts oder des Verbrauchmaterials geregelt. Ulrike Hoffrichter sprach mit der Geschäftsführerin über dieses interessante Thema.
Management & Krankenhaus: Was steckt hinter der griffigen Formulierung „Nutzungsrecht statt Kaufpreis“?
Susann Breßlein: Dieses Finanzierungsmodell, neudeutsch „dynamisches pay per use“ genannt, unterscheidet sich gravierend von Ratenzahlungen oder Leasingverträgen. Dabei wird die Nutzung eines Gerätes bezahlt, ein Beispiel bei den Narkose- oder Beatmungsgeräten mag dies verdeutlichen. Als Parameter für die Bezahlung gelten z. B. Beatmungsstunden oder die Narkoseanzahl. Auf den ersten Blick ist der Unterschied zwischen einem Leasing, einer Bankkredit-Finanzierung und diesem Modell schwer auszumachen. In allen Fällen „finanziert“ ein Externer vor und das Krankenhaus „stottert ab“. Der Unterschied in diesem Modell ist, dass sich der Lieferant an unserem Risiko und an unseren Chancen beteiligt, indem dynamische Nutzungskorridore verhandelt werden. Wenn wir beispielsweise 11.000 statt 10.000 Narkosen im Jahr durchführen, zahlen wir trotzdem nur für die vereinbarten 10.000 Narkosen je einen festen Betrag. Die restlichen 10 % übernimmt die Firma – ab der 11001. Narkose würden nur noch die Verbrauchskosten (Grenzkosten) je Narkose zu zahlen sein. Bei einem Patientenrückgang bezahlen wir umgekehrt auch dann den vollen Satz, wenn wir nur 9.000 Narkosen hätten. So schafft man eine wirkliche Verbündelung in Chancen und Risiken. Das Ziel der Anbieter ist dann eben nicht mehr, möglichst viele Narkosegeräte zu verkaufen, sondern den Kunden darin zu beraten, wie möglichst wenige Geräte zu einem optimalen Output kommen. Nur so können die Nutzungskosten je Narkose niedrig gehalten werden.
Management & Krankenhaus: Diese Art der Finanzierung kann bei Großgeräten und Verbrauchsmaterialien gleichermaßen angewandt werden. In welchen Bereichen haben Sie bereits Erfahrungen?
Susann Breßlein: Angewandt haben wir dieses Finanzierungsmodell auch bei Kernspintomographen und Computertomographen, bei anderen Großgeräten sind wir in der Überlegung. Ebenfalls noch nicht spruchreif – aber weit vorbereitet – ist es bei den Narkose- und Beatmungsgeräten sowie beim Monitoring auf der Intensivstation. Und wir haben sog. Capitations-Verträge bei Verbrauchsmaterialien schon seit Jahren – u. a. bei Endoprothesen oder Medikamenten. Auch hier wird das Risiko geteilt. Bei Herzschrittmachern z. B. ist es so, dass wir einen Fixbetrag pro Jahr bezahlen. Dabei ist eine gewisse Anzahl an Geräten unterstellt. Bis zu 10 % Steigerung übernimmt der Lieferant. Allerdings müssen wir auch den vollen Betrag zahlen, wenn wir bis zu 10 % weniger als geplant abnehmen.
Management & Krankenhaus: Bei Verbrauchsmaterialien binden Sie sich etwa zwei bis drei Jahre an einen Industriepartner. Bei Großgeräten kooperieren Sie wesentlich länger, nämlich neun bis zehn Jahre. Kann das nicht auch ein Nachteil sein?
Susann Breßlein: Man muss davon ausgehen, dass die Geräte eine gewisse Laufzeit und damit Abschreibungszeit haben. Wie kann unser Partner das Gerät einsetzen, wenn nach fünf Jahren der Vertrag endet? Im Verbrauchsbereich arbeiten wir inzwischen ebenfalls mit etwas längeren Beziehungen, weil wir einsehen, dass unsere Partner uns kennen lernen das Risiko abschätzen können müssen.
Management & Krankenhaus: Sind Verträge dieser Art vom Krankenhaus alleine zu „durchschauen“ oder braucht es professionelle Hilfe durch einen Rechtsanwalt?
Susann Breßlein: Letzteres. Die Vergaberichtlinien der Europäischen Union aber auch der Bundesrepublik sind inzwischen so kompliziert, dass wir als kommunales Krankenhaus viele Dinge beachten müssen. Mit einem Juristen sind wir also gut beraten. Neue Aspekte kommen immer dann hinzu, wenn Angebote auch europaweit ausgeschrieben werden müssen. Über die Investition hinaus sind im übrigen diverse andere Gesichtspunkte zu bedenken, z. B. die Beratungsleistung oder die Wartung oder die Lieferung gerätenahen Zubehörs, die das Gesamtpaket abrunden. Ohne juristische Begleitung sowohl bei der Ausschreibung als auch bei der Vertragsgestaltung sind derartige Konstellationen nicht denkbar.