Privatisierung von Universitätskliniken
26.04.2014 -
Privatisierung von Universitätskliniken. Die Universitätskliniken gehören zum bundesdeutschen Krankenhaussystem und unterscheiden sich als Träger eines großen Teils der Maximalversorgung in vielerlei Hinsicht nicht von anderen großen Krankenhäusern, haben auch überwiegend die gleichen Kosten- und Finanzierungsprobleme.
In ihrer Verbindung mit den Universitäten sind sie aber auch Stätten medizinischer Forschung und Lehre.
Kennzeichen der Hochschulmedizin sind das Neben-, Mit- und manchmal auch Gegeneinander von Krankenhausversorgung, Forschung und Lehre.
Das komplette Zusammenspiel zwischen Universitätskliniken, Universitäten und Medizinischen Fakultäten sowie die manchmal verwirrende Organisations- und Finanzierungsstruktur der Universitätskliniken ist charakteristisch für die Universitätsmedizin.
Derzeit gibt es 33 Universitätskliniken in Deutschland. Sie versorgen mit ca. 8% aller Krankenhausbetten etwa 12 % der jährlich 17 Millionen stationären Patienten.
Mit etwa 180.000 Mitarbeitern werden jährlich rund 12 Mrd. € umgesetzt, davon 7 Mrd. € in der stationären Patientenbehandlung, eine weitere Mrd. € im ambulanten Bereich.
Der Trägerzuschuss für Forschung, Lehr- und sonstige Trägeraufgaben beträgt, summiert über alle Universitätskliniken, ca. 4 Mrd. €.
Zum Leistungsgeschehen der Universitätskliniken in der Krankenversorgung gehören neben der Maximalversorgung die sog. „Supramaximalversorgung“, d.h. die Behandlung komplexer und überwiegend extrem kostenträchtiger Fälle, aber auch „Unikatleistungen“, die im derzeitigen Finanzierungssystem nicht abgebildet werden.
Schließlich stehen Universitätskliniken am Ende der Behandlungskette und können aufwändige, schwierige Fälle kaum in weiterbehandelnde Krankenhäuser verlegen.
Würde das DRG-System heute scharf gestellt, hätte das für alle Universitätskliniken aufgrund der beschriebenen besonderen Leistungsstruktur ein Defizit in der Größenordnung von 350 bis 450 Mio. € zur Folge.
Erschwerend sind für die Universitätskliniken die weiteren Rahmenbedingungen, die die Benachteiligung der Universitätskliniken im Leistungswettbewerb der Krankenhäuser manifestieren:
• Stagnierende/rückläufige Landeszuführungen
• Investitionsstau im Hochschulbau und verschärfend zugleich Reduktion bzw. künftig auslaufende Mittel nach dem Hochschulbauförderungsgesetz
• Unzureichender Kompetenzrahmen der Universitätskliniken, in der Regel als Anstalt des Öffentlichen Rechts geführt
• Tarifbindung aufgrund der Zugehörigkeit zur TdL- und VBL-Problematik
Auch für Universitätskliniken kann deshalb festgestellt werden, dass die Fusionierungs- und Privatisierungswelle, die inzwischen den deutschen Krankenhausmarkt über alle Versorgungsstufen und Trägerzugehörigkeiten hinweg erfasst hat, vor ihnen nicht Halt macht.
Vielmehr gilt:
• Wenn ein Universitätsklinikum nicht so gut zu wirtschaften versteht wie ein privater Anbieter, dann hat es langfristig keine Chance, im Gesundheitsmarkt zu bestehen.
• Wenn ein Universitätsklinikum nicht Forschung, Lehre und Krankenversorgung als gleichrangige Ziele zu integrieren versteht, hat es seine spezifische Aufgabe als Universitätsklinikum verloren, denn dann könnte man Lehre und Forschung vom Krankenhausbetrieb völlig trennen.
In diesem Kontext stellt in der Tat die materielle Privatisierung des fusionierten Universitätsklinikums Marburg/Gießen eine Herausforderung für alle anderen Universitätsklinika und auch für deren Träger dar.
Ich interpretiere die in Hessen offensichtlich bestehende Notwendigkeit der Privatisierung dieser beiden Standorte so, dass sich das Land nicht mehr in der Lage sah, seine Aufgabe der Daseinsvorsorge, in der besonders anspruchsvollen Verbindung mit Forschung und Lehre, angemessen zu erfüllen.
Dieser Sachverhalt sollte uns alle sehr nachdenklich stimmen.
Ich frage mich, warum können Universitätskliniken in der Trägerschaft der Länder nicht genauso erfolgreich ihre Aufgaben wahrnehmen, wie das offensichtlich privaten Konzernen zugetraut wird.
Das nicht nur in Hessen bestehende gewaltige Investitionsdefizit kann auch unter privatrechtlicher Trägerschaft letztlich nur dadurch behoben werden, dass aus den Kliniken heraus eine ausreichende Rendite erwirtschaftet wird, um die notwendigen Investitionen zu tätigen.
Denn schließlich hat der private Betreiber ausdrücklich auf jede staatliche Förderung (Finanzierung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz bzw. dem Hochschulbauförderungsgesetz) verzichtet.
Meines Erachtens bestätigt die Entwicklung in Hessen nur noch einmal eindringlich die Notwendigkeit, die Universitätskliniken künftig mit mehr Kompetenzen auszustatten, als dies heute der Fall ist.
Dies erscheint mir – gerade in Kenntnis der zum Teil divergierenden Interessenlage der Länder als Träger auf der einen Seite und der Universitätskliniken als dem Krankenhauswettbewerb ausgesetzten Einrichtungen auf der anderen Seite – künftig nur durch Umwandlung in privatrechtliche Unternehmensformen oder aber durch die Errichtung von Stiftungen möglich.
Sofern diese weitergehende Verselbständigung nur für den Preis des Verzichts auf die Gewährträgerhaftung des Landes möglich ist, muss jedes Universitätsklinikum die daraus resultierenden Vor- und Nachteile für sich abwägen.
Der „Preis“, auf die Gewährträgerhaftung des Landes zu verzichten ist meines Erachtens akzeptabel, stellt diese doch das „Einfallstor“ schlechthin für die Einflussnahme ins operative Geschäft der Unikliniken (Politik, beteiligte Ministerien, Landesrechnungshöfe) auf allen Betätigungsfeldern dar.
In nahezu allen Bundesländern steht die Novellierung der Gesetze zur Verselbständigung und Führung der Universitätskliniken an.
Diese Chance gilt es zu nutzen. Dringlich erscheint mir auf jeden Fall die Herauslösung der Universitätskliniken aus der Tarifbindung der Länder, wie sie in Baden-Württemberg erfreulicherweise für den Bereich des nicht wissenschaftlichen Dienstes bereits erfolgt ist.
Die Befugnis zur Verhandlung der Tarifverträge für das wissenschaftliche/ärztliche Personal muss den Universitätskliniken/ den Universitäten ebenfalls übertragen werden, damit sich das Desaster, das wir zurzeit infolge der Ärztestreiks erleben, nicht noch einmal wiederholt.
Denn die Konzeptlosigkeit der Tarifpolitik der TDL beschädigt die Universitätskliniken schwer, die ohnmächtig diesem Treiben zusehen müssen, aber die für die erheblichen wirtschaftlichen Schäden dagegen wohl anscheinend selbst aufkommen müssen.
Neben der Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktion für das gesamte Personal ist die angemessene Kapitalausstattung, u.a. durch Übertragung des gesamten Immobilienvermögens und damit letztlich auch der Zugang zum Kapitalmarkt, sowie die Zuweisung der Bauherreneigenschaft eine ganz wesentliche Forderung der Universitätskliniken für die ausstehende Gesetzesnovelle.
Nur damit werden die Universitätskliniken überhaupt in die Lage versetzt, Maßnahmen zur Beseitigung des enormen Investitionsstaus zu ergreifen, der ursächlich ist für Unwirtschaftlichkeiten in den Klinikbetrieben und die Attraktivität der Universitätskliniken hinsichtlich ihrer Mitbewerber schmälern.
Viele weitere Regelungen, die sich idealerweise aus der Umsetzung des Aktienrechtes ableiten ließen, sollten den notwendigen Kompetenzrahmen der Universitätskliniken ergänzen.
Letztlich braucht es mutige, von politischen Weisungen unabhängige Aufsichtsräte, die sich primär als Sachverwalter der Interessen der Universitätskliniken verstehen und unternehmerische Entscheidungskompetenzen und Führungsstrukturen der Universitätskliniken ausdrücklich unterstützen.
Denn auch für die Universitätskliniken wird künftig das gelten, was wir heute tagtäglich aus anderen Branchen erfahren: Nicht Größe, sondern Entscheidungskompetenz und Reaktionsgeschwindigkeit sind für die Existenzsicherung der eigenen Organisation maßgeblich!
Kontakt:
Irmtraut Gürkan
Universitätsklinikum Heidelberg
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