Hygiene

200. Geburtstag von Ignaz Semmelweis

„Wäre heute sicher ein Favorit für einen Nobelpreis“

25.06.2018 -

Am 1. Juli 2018 jährt sich der Geburtstag von Ignaz Semmelweis zum 200. Mal.

Am vergangenen Donnerstag veranstalteten MedUni Wien, AKH Wien und der in Wien ansässige Semmelweis Verein zu Ehren des Wiener Chirurgen und Geburtshelfers, Begründers der evidenzbasierten Medizin und des „Erfinders“ der Händehygiene ein Fachsymposium. Zuvor betonten die ExpertInnen bei einer Pressekonferenz beim restaurierten Semmelweis-Denkmal auf dem Medizinischen Universitätscampus AKH Wien die große Bedeutung des zu Lebzeiten verkannten Pioniers der Hygiene in der Medizin für den medizinischen Fortschritt. „Händehygiene rettet jeden Tag viele Menschenleben“, betonten die Experten von MedUni Wien, AKH Wien und vom Semmelweis Verein.

„Wir nutzen heute die exzellente Gelegenheit, eine Ikone der modernen Medizin zu würdigen. Ignaz Semmelweis war einer der wichtigsten Mediziner seiner Zeit und ein großer Kämpfer für den medizinischen Fortschritt. Viele PatientInnen verdanken ihm sehr viel, die Medizin an sich verdankt ihm sehr viel. Würde er jetzt leben, wäre er sicher ein Favorit für einen Nobelpreis. Leider wurden seine großen Errungenschaften erst nach seinem Tod mit nur 47 Jahren gewürdigt“, unterstrich Markus Müller, Rektor der MedUni Wien, die Bedeutung Ignaz Semmelweis‘.

„Ignaz Semmelweis hat sich aufgrund seiner Beobachtungen und Erkenntnisse dafür eingesetzt, dass erstmals auf Händehygiene im Krankenhausalltag geachtet wurde. Heute wissen wir um die enorme Bedeutung richtiger Händehygiene, zum Schutz der uns anvertrauten PatientInnen und unserer MitarbeiterInnen. Die Statue von Ignaz Semmelweis soll uns daran erinnern, dass eine sichere Behandlung, durch konsequente Händehygiene, am persönlichen Einsatz jeder und jedes Einzelnen, liegt“, betont Sabine Wolf, Direktorin des Pflegedienstes des AKH Wien.

Die Entdeckung der Händehygiene

Semmelweis hatte Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt, dass es an Geburtshilfe-Stationen, in denen die Patientinnen von geistlichen Schwestern und Hebammen betreut wurden, eine weitaus niedrigere Mortalität gab, als an Stationen, in denen Ärzte und Studierende arbeiteten, die auch Leichensektionen durchführten. „Damals gab es eine enorme Diskrepanz zwischen 8,2 Prozent und 1 bis 2 Prozent Sterblichkeit“, sagt Elisabeth Presterl, Leiterin der Universitätsklinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle von MedUni Wien und AKH Wien.

Semmelweis fand heraus, dass die Übertragung von infektiösem Material (Bakterien waren damals noch nicht bekannt) die Ursache der Infektionen und der damit verbundenen Sterblichkeit war. Er veranlasste die Mediziner und Studierenden dazu, sich vor einer Entbindung bzw. der Untersuchung von schwangeren Frauen die Hände gründlich mit einer Chlorlösung und später mit Chlorkalk zu desinfizieren. Diese Hygiene-Maßnahme war höchst wirkungsvoll – die Sterblichkeit sank auf 1,3 Prozent. Später verschärfte Semmelweis seine Vorschriften dahingehend, dass die Hände vor jeder Untersuchung zu desinfizieren seien, wodurch er in manchen Monaten keinen einzigen Todesfall mehr hatte.

Händehygiene wirkt sofort und rettet Millionen Menschenleben

Heute weiß man: Optimale Händehygiene senkt die Infektionsrate um bis zu 30 Prozent – und das mit einer einfachen und sehr kurzen Tätigkeit: „Händehygiene ist simpel, effektiv und dauert weniger als 30 Sekunden, kann aber viele Leben retten“, betont Presterl. „Durch die steigende Zahl von multi-resistenten Krankheitserregern muss immer wieder an die Wichtigkeit der Prävention einer Übertragung von Infektionen und deren Erregern erinnert werden.“ Internationale Studien haben gezeigt, dass schon bei einem Anstieg der Händedesinfektionsrate von 48 Prozent auf 66 Prozent eine Reduktion der Infektionen von 17 auf zehn Prozent erfolgt. Europaweit liegt die Compliance derzeit bei rund 50 Prozent.

„Die Förderung der Handhygiene kann durch die Implementierung eines angemessenen multimodalen Ansatzes, der die Verwendung von alkoholbasiertem Händedesinfektionsmittel als wichtigem Systemwechsel mit einschließt, weltweit bis zu 8 Millionen Leben pro Jahr retten“, betonte Didier Pittet, Leiter der Abteilung für Krankenhaushygiene an den Genfer Universitätskliniken und externer Leiter des WHO-Programms „Clean Care is Safer Care“. Er ist auch einer der wichtigsten „Händehygiene-Botschafter“ weltweit und hat die „5 Momente der Händehygiene in Krankenhäusern“ mitentwickelt, eine weltweite Richtlinie für die richtige Handdesinfektion.

Noch mehr Ressourcen für Händehygiene nötig

Die aktuellen Zahlen der Prävalenz-Untersuchung der Händehygiene in Europa zeigen, dass das AKH Wien und die dort beschäftigten ÄrztInnen bei der Compliance europaweit mittlerweile deutlich über dem internationalen Schnitt liegen. „Wir haben uns auf ein gutes Niveau verbessert“, so Presterl. Hundertprozentige Händehygiene gebe es aber aus verschiedensten Gründen (noch) nicht, zum einen sei Händehygiene bis vor kurzem noch „in Vergessenheit geraten“, erst vor wenigen Jahren wurde ihr in der Medizin wieder mehr Beachtung geschenkt, dazu kommen multiresistente Erreger (MRE), die vor allem bei schwer kranken PatientInnen auftreten – etwa in der Intensivmedizin.

Presterl: „Durch die moderne Medizin werden Patienten mit wesentlich schwierigeren Krankheiten intensivmedizinisch und mit invasiven Maßnahmen betreut. Bei einer Besiedelung mit MRE kann es dadurch leichter zu einer Infektion kommen.“ Und drittens müsse hygienisches Verhalten auch trainiert werden. Im medizinischen Curriculum der Universität Wien und der MedUni Wien wird seit 1995 die Händehygiene im Rahmen von Seminaren gelehrt. „Dadurch wird eine neue Generation an ÄrztInnen mit perfekter Händehygiene-Technik und noch mehr Awareness für Händehygiene ausgebildet.“ Wichtig seien hier auch Vorbilder, die in der täglichen Arbeit Händehygiene vorleben. Im AKH Wien fand dementsprechend anlässlich des Welttags der Händehygiene am 5. Mai zusammen mit Vertretern der ärztlichen Direktion und Vertretern der MedUni Wien eine Händehygiene-Staffel nach dem 5-Momente-Modell von Didier Pittet statt.

„Heute sind wir im Vergleich zu Semmelweis‘ Zeiten mit wesentlich gefährlicheren Keimen konfrontiert, die vor allem durch falschen und zu leichtfertigen Gebrauch von Antibiotika entstehen. Diese multiresistenten Keime sind im täglichen Leben zwar nur bedingt ein Problem, aber gerade in Spitälern und Gesundheitseinrichtungen können sie für ohnehin schon geschwächte und damit leicht angreifbare PatientInnen zur Lebensbedrohung werden. Darum müssen wir uns dieses Thema immer wieder ins Bewusstsein rufen und die politischen Entscheidungsträger im Gesundheitswesen dazu ermutigen, ausreichend Ressourcen für die Krankenhaushygiene zur Verfügung zu stellen und alle Initiativen, die Antibiotikaresistenzen reduzieren, zu unterstützen“, betonte Bernhard Küenburg, Gründer des Semmelweis-Vereins.

Österreich ist eines der wenigen europäischen Länder, das die Krankenhaushygiene im Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten festgeschrieben hat.

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