Hygiene

Infektionsprävention in der Zahnmedizin

Evidenzbasierte Hygienemaßnahmen – Theoretisches Wissen und praktische Umsetzung

24.03.2010 -

Die Kosten, die in zahnärztlichen Einzel- wie Gemeinschaftspraxen für Hygienemaßnahmen aufzuwenden sind, stiegen in den letzten zehn Jahren enorm. Diese Aussage ist die Zusammenfassung eines Forschungsberichts mit dem Titel „Hygienekosten in der Zahnarztpraxis - Ergebnisse aus einer kombiniert betriebswirtschaftlich-arbeitswissenschaftlichen Studie" des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) in Köln aus dem Jahr 2008.

Die Untersuchung entstand in Kooperation der Landeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, der Fachhochschule Münster, der Bergischen Universität Wuppertal und der GEWTIB Wuppertal. Umso erstaunlicher ist, dass eine ebenfalls im Jahre 2008 publizierte Untersuchung einer Arbeitsgruppe um Prof. Axel Kramer in Zahnarztpraxen von Berlin, Magdeburg und Greifswald weiterhin beträchtliche Defizite im Bereich des Infektionsschutzes in den betrachteten Zahnarztpraxen beschreibt.

Die Diskrepanz zwischen steigenden Hygienekosten und ungenügender Qualität lässt zwei Erklärungsmöglichkeiten zu. Entweder unterschieden sich die in den beiden Studien betrachteten Zahnarztpraxen in ihrem Hygieneregime beträchtlich. Das ist anzunehmen, denn die Zahnarztpraxen in Westfalen- Lippe bereiteten sich gerade auf eine Begehung durch die Überwachungsbehörden vor. Ebenso möglich ist, dass die Zunahme der Hygienekosten durch wissenschaftlich bisher in ihrer Wirksamkeit nicht bewiesene Maßnahmen erfolgt. kurz gesagt wird das Geld an der falschen Stelle ausgegeben.
Das Erfordernis wissenschaftlicher Evidenz und Transparenz wird auch auf dem Gebiet der Hygiene heute durch eine abgestufte Kategorisierung verdeutlicht, die die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch- Institut bereits 1997 in ihre Empfehlungen eingeführt hat und die auch in der Richtlinie über die „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde - Anforderungen an die Hygiene" (2006) als Hinweis enthalten sind.

Die Kategorisierung basiert auf der wissenschaftlich abgesicherten Beweiskraft der jeweiligen Aussagen oder deren nachvollziehbarer theoretischer Begründung und soll dadurch die Anwendbarkeit bzw. Praktikabilität der Empfehlungen verbessern und deren ökonomischen Auswirkungen berücksichtigen. Nachdrückliche Empfehlungen der Kategorien IA und IB werden dabei von eingeschränkten Empfehlungen oder ungelösten Fragen der
Kategorien II oder III unterschieden. Zusätzlich werden gesetzliche Vorgaben, Verordnungen oder sonstiges verbindliches Recht in einer eigenen Kategorie (IV) berücksichtigt, ohne diese allerdings wissenschaftlich zu bewerten. Spielen im Zeitalter der „evidence based medicine" die persönliche Erfahrung, die lokale Tradition oder der gesunde Menschenverstand des Zahnarztes noch eine Rolle? Eine Antwort könnte sein, dass solche Maßnahmen, bei denen eine Evidence noch nicht bewiesen ist, dort erfolgen müssen und dort ihren Platz haben, wo die Beweisführung zu aufwendig oder unethisch wäre.

Gleichzeitig ist die Zahnmedizin wie alle medizinischen Fächer dazu aufgefordert, kosteneffizient zu arbeiten. Dies impliziert, sich vor allem auf diejenigen Hygienemaßnahmen zu konzentrieren, für die tatsächlich der Nachweis der Wirksamkeit (Kategorien IA und IB) hinreichend belegt werden konnte. Diese sollten dann allerdings konsequent realisiert werden. Eine ungenügende Händedesinfektion oder ein unterlassener Handschuhwechsel zwischen den Behandlungen, die fehlende „Greifdisziplin", die ineffiziente Aufbereitung von Hand- und Winkelstücken oder Turbinen sowie der Reflux aus der Spraynebelabsauganlage stellen derzeit zweifellos wesentliche Infektionsrisiken für die behandelten Patienten dar.

Bakteriell kontaminiertes Kühl- oder Spülwasser der Dentaleinheit kann vor allem für immunsupprimierte Patienten gefährlich sein. Ob allerdings eine jährliche Untersuchung dieser Wasserproben ausreichend oder notwendig ist (Kategorie II), ist ebenso wie die als Richtwert angegebene Koloniezahl von 100 KBE/ml (Kategorie III) eine offene Frage.

Ebenso ist die Tatsache, dass chir­urgisch genutzte zahnärztliche Übertragungsinstrumente derzeit zwingend vor der Dampfsterilisation maschinell in Reinigungs- und Desinfektionsgeräten aufbereitet werden müssen, ohne wissenschaftliche Evidenz. Diese Forderung beschäftigt derzeit aber sogar Gerichte über mehrere Instanzen. Das theoretische Grundlagenwissen zu den Zusammenhängen zwischen Hygieneverhalten/-fehlern und Manifestation einer nosokomialen Infektion ist gerade auf dem Gebiet der Zahnmedizin schmal.

Ebenso sind die Kenntnisse zu den Interaktionen zwischen verschiedenen Feldern der Krankenhaushygiene (z. B. Kompensation von Handlingfehlern durch technische und bauliche Maßnahmen) gering. Die fehlende Deklaration wissenschaftlicher Evidenz sowie die regelhaft fehlende Deklaration von Sicherheitsreserven leisten ein Übriges, um die Wertigkeit von Hygieneleitlinien infrage zu stellen.

Streit zwischen Expertengruppen, Behörden und Zahnärzten sind für die Außenwirkung der Hygiene und für die die medizinische Praxis kontraproduktiv. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit von Hygienemaßnahmen auf dem Gebiet der Zahnmedizin sind daher dringend notwendig. Darum ist es zu begrüßen, dass neben dem seit drei Jahrzehnten agierenden Deutschen Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnheilkunde, der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nun auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene Organisationsstrukturen geschaffen hat, die sich mit Fragen der Infektionsprävention auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen beschäftigt.

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