Hygiene

Nosokomiale Infektionen: „Deutschland muss handeln“

29.03.2012 -

Um die hohe Zahl an nosokomialen Infektionen zu minimieren, reichen hygienische Maßnahmen allein nicht aus. Auch Forschung und Industrie sind gefragt.

Bei der Häufigkeit nosokomialer Infektionen zählt Deutschland in Europa nur zum Mittelfeld, z. B. in der Anzahl von Infektionen auf Intensivstationen. Allerdings lässt sich bei manchen Infektionsarten ein leichter Rückgang erkennen, z.B. nach den Helics-Daten eine Abnahme der Infektionen nach Hüftendoprothesen-Operationen.

Nach aktuellen Schätzungen auf Basis der KISS-Daten kommt es im Jahr zu 28.000 Device-assoziierten nosokomialen Septikämien, fast 130.000 Katheter-assoziierten Harnwegsinfektionen, 225.000 postoperativen Wundinfektionen sowie 60.000 nosokomialen Pneumonien. Zählt man noch andere Krankenhausinfektionen, z.B. im Bereich des Magen-Darm-Traktes, dazu, so errechnen sich 500.000 bis 600.000 nosokomiale Infektionen pro Jahr.

Allerdings unterschätzen die KISS-Daten systematisch die wahren Zahlen: So geht z.B. das Sepsis-Netzwerk von 154.000 Sepsisfällen im Jahr aus, davon über 50.000 nosokomial erworben. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie geht von 200.000 nosokomialen Pneumonien pro Jahr aus. Somit errechnen sich realistischerweise eher nosokomiale Infektionsraten im Bereich von 500.000 bis 1.000.000 pro Jahr.

Ein Hauptproblem bereits derzeit und anwachsend für die Zukunft sind multiresistente Keime. Bezüglich MRSA liegt Deutschland in Europa nur im Mittelfeld. Nach den KISS-Daten sind unter 1 % der stationären Patienten MRSA-Träger. Nach aktuellen Studien im Rahmen von Netzwerken, z. B. in Essen, im Saarland, in Siegen-Wittgenstein, in Sachsen-Anhalt, im Kreis Höxter, in der Euregio-Region Münster sowie in Gelsenkirchen, liegen die wahren Zahlen jedoch bei zwei bis drei Prozent.

Daten aus den bisher wenigen Kliniken, die ein generelles Screening aller stationären Aufnahmen durchführen - z.B. das Universitätsklinikum Essen -, belegen, dass durch dieses die absolute Zahl der MRSA-Träger in den Krankenhäusern kaum ansteigt, dass jedoch die Träger schneller erkannt werden und es zu weniger nosokomialen Übertragungen kommt.

Ein generelles Screening aller stationären Aufnahmen sollte daher zum Standard in den Krankenhäusern werden. Zusätzlich zeigen aktuelle Untersuchungen, dass innerhalb weniger Stunden bereits MRSA-Träger ihre Umgebung massiv mit dem Keim kontaminieren und insofern einer schnellen Erkennung und Isolierung bedürfen.

Sowohl Auswertungen der KISS-Gruppe als auch Krankenkassendaten belegen, dass die Zahl der MRSA-Infektionen im Krankenhaus eher abnimmt, dass jedoch die Zahl der Keimträger, und damit der Risikopersonen, deutlich ansteigt. Nur etwa ein Viertel der MRSA-Infektionen bzw. -besiedlungen wird heute noch im Krankenhaus erworben, der Rest wird von außen mitgebracht.

Damit kommt den Sektoren außerhalb des Krankenhauses, die bisher relativ wenig zu MRSA geregelt haben, eine zunehmende Bedeutung für die Ausbreitung und auch die Bekämpfung des Erregers zu. Aktuelle Prävalenzdaten in Alten- und Pflegeheimen zeigen MRSA-Trägerschaften im Bereich von zwei bis über 10%. Gerade für Alten- und Pflegeheime sind die derzeitigen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts unbefriedigend, da sie den Mitarbeiterschutz ungenügend berücksichtigen. Dazu kommt, dass in vielen Alten- und Pflegeheimen sowie auch im Bereich der ambulanten Pflege oft keine Berufskleidung gestellt wird und somit das Risiko der Keimverschleppung bis in die Familie evident ist.

Während Erfahrungen aus Frankreich und England zeigen, dass MRSA bei konsequentem Vorgehen deutlich reduziert werden kann, stellen multiresistente gramnegative Erreger ein ständig wachsendes Problem dar, das auch die Zukunft dominieren wird. Das ist besonders problematisch, da für diese Keime nur wenige Antibiotika zur Verfügung stehen und Neuzulassungen nicht zu erwarten sind.

Daher sind im Hinblick auf die Ausbreitung dieser Keime erhebliche hygienische Anstrengungen im Gesundheitswesen zu fordern. Darüber hinaus muss die Forschung erheblich intensiviert werden: Zum Beispiel weiß man heute nicht, inwieweit entsprechende Keimträger die Keime weiter behalten bzw. im Privatleben an Familienmitglieder und Bekannte abgeben.

Häufig wird die Meinung vertreten, dass nur 20 bis 30 % der Krankenhausinfektionen verhütet werden können. Insbesondere amerikanische Daten zeigen, dass ZVK-bedingte Sepsisfälle bis zu 100% verhindert werden können, Beatmungs-assoziierte Pneumonieraten bis zu 70 %, Blasenkatheter-bedingte Harnwegsinfektionen bis zu 70% und postoperative Wundinfektionen mindestens zu 55%. Vor diesem Hintergrund muss in Deutschland das Ziel sein, alle Krankenhausinfektionen zu verhindern.

Hierzu bedarf es natürlich nicht nur hygienischer Maßnahmen, sondern umfassender Forschungsanstrengungen, Innovationen der Industrie - z.B. in Form von Antibiotika- und Medizinprodukte-Entwicklung - sowie neuer Therapien. Nur wenn sich Deutschland dieser Frage stellt und in Europa tatsächlich zu den führenden Ländern in der Verhinderung nosokomialer Infektionen zurückkehrt, kann es den guten Ruf seines Gesundheitswesens weltweit halten und ausbauen.

 

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