IT & Kommunikation

Autos oder doch nur schnellere Pferde

14.03.2013 -

Mehr denn je wird die Informationstechnologie zu einem Schlüsselfaktor im Gesundheitswesen. Wo liegen die Trends der Health-IT und was sollten die Schwerpunkte der Industrie sein?

Das im Zuge des HITECH-Acts aufgelegte Förderprogramm der amerikanischen Regierung mit dem Stichwort „meaningful use" zeigt deutlich: Gesundheitseinrichtungen sollen den Einsatz und die sinnvolle (Folge)Nutzung elektronischer Patientenakten im Gesundheitswesen forcieren. Erwartungen sind: Effizienz, Qualität, Patientensicherheit und -souveränität werden gefördert. Prinzipiell ist praktische Medizin eine entscheidungsintensive Aufgabe, die immer auf Informationen beruht: Was war, was ist, was soll (wird) sein? In diesem Sinne sind natürlich eine vollständige und akkurate Dokumentation sowie deren zeit- und sachgerechte Zugreifbarkeit und Präsentation in Entscheidungssituationen Determinanten für Behandlungsadäquanz und -qualität sowie Patientensicherheit.

Papierlose Aktenführung

Die verschiedenen Systeme in deutschen Kliniken, Arztpraxen und Pflegediensten werden nicht nur für Abrechnung und Abrechnungsdokumentation genutzt, sondern zunehmend auch für die institutionelle medizinische Dokumentation. Sie lösen das Papier allmählich ab. Auf dem Weg dorthin stellen Usability und Mobility sowie die damit verbundenen Kosten erhebliche Barrieren dar. Die klinische Folgenutzung der oft aufwendig erfassten medizinischen Informationen ist ebenfalls noch gering, da Hersteller - oft auch Anwender - meist doch nur die Abrechnung als Folgefunktionalität im Blick haben.

Was werden künftig bestimmende Themen sein, auf die reaktiv gehandelt werden muss? Wo lässt sich proaktiv agieren? Mit Blick auf die Vergangenheit ist festzustellen, dass die etablierte Health-IT-Industrie im Wesentlichen reaktiv agiert: Sie baut - folgend den gesetzlichen Anforderungen - ihre Lösungen aus.

Zum einen zeigt sich nun, dass die Politik zunehmend den Wertebeitrag von Health-IT für die Gesundheitsversorgung erkennt und in größeren Programmen auch die Umsetzung von Versorgungsaspekten durch IT unterstützt. Als Beispiel lässt sich der Aktionsplan „Arzneimitteltherapiesicherheit" und die damit einhergehenden Bemühungen um eine standardisierte Medikationsdokumentation anführen. Beispielhaft sei auch die Vereinbarung verschiedenster Akteure über eine standardisierte Tumordokumentation vor dem Hintergrund des nationalen Krebsplanes genannt. Zum anderen schreitet zunehmend der Bedarf an Vernetzungslösungen und an Integration telematischer und telemedizinischer Anwendungen voran. Das zeigen Projekte und Echteinsätze großer IT-vernetzter Praxisnetze oder Projekte zur elektronischen Fallakte.

Meaningful use

Vor diesem Hintergrund werden künftig in den institutionellen Systemen Funktionalitäten erforderlich, mittels denen die vielen erfassten medizinischen Informationen noch besser für ärztliches und pflegerisches Handeln genutzt werden können („meaningful use"). Hier werden vor allem Aspekte zur Unterstützung der Patientensicherheit eine Rolle spielen, aber eben auch Lösungen, die eine bessere Integration der IT-basierten Dokumentationstätigkeiten im praktischen Alltag ermöglichen. Es geht also um Aspekte der Usability und Mobility. Zudem sind die Interoperabilitätsfunktionalitäten der Systeme gefordert, um die überinstitutionelle Zusammenarbeit und Dokumentation sowie die Kooperation mit den Patienten zu unterstützen.

Nicht in die „me-too"-Ecke

Wollen sich also Health-IT-Firmen nicht laufend nur reaktiv durch neue Anforderungen seitens des Gesetzgebers oder der Selbstverwaltungsorgane als Getriebene fühlen, scheint ein proaktives Gestalten dieser Entwicklungen sinnvoll. Wo immer möglich, sollten eigene Lösungen mit (teil)generischen Ansätzen verfolgt werden. Sicher fehlt zumeist die Kraft dazu, vieles gleichzeitig zu realisieren ..., aber ein Anfang lohnt sich auf jeden Fall, wie folgende Beispiele verdeutlichen:

  • Erhöhung der „Konzeptbasierung" der klinischen Dokumentation, d. h. Einbau eines generischen Gesamtansatzes für die Verwaltung von kontrollierten Vokabularen bzw. Ontologien. Deren Inhalte sollte einerseits der Kunde selbst parametrieren können, aber als Inhalte sollten auch die für semantische Interoperabilität oder gekapselte Funktionalitäten wie AMTS, Workflow-Engine, kontextbasiertes Wissensretrieval etc. notwendigen national oder international vereinbarten Vokabulare möglich sein.
  • Implementierung von auf diesen Vokabularen basierenden und strukturell orientiert an internatio­nalen Standards ausgerichteten und in gewissem Rahmen parametrierbaren klinisch orientierten Kernfunktionalitäten. Sie sind sinnvoll für die domänenspezifisch wichtigen Dokumentationsfunk­tionalitäten wie Diagnosedokumentation, Maßnahmendokumentation, Medikationsdokumentation, Symptomdokumentation, Vitalwertdokumentation. Dabei sollte auch die Möglichkeit des Inbezugsetzens untereinander und einer Problemindexierung gegeben sein.
  • Implementierung von problemadäquaten Sichten auf die „Unmenge" der klinischen Informationen zu einem Behandlungsfall. Dies schließt ein, dass eben nicht nur ein starrer für alle Patienten zu benutzender Eingangs- oder Übersichtsbildschirm („Record Summary") als Funktion verfügbar ist, sondern indikationsspezifische Sichten (z. B. die Übersicht zu einem KHK-Patienten sollte andere Aspekte zeigen als zu einem Tumorpatienten etc.) oder sogar ergänzend patientenspezifische Sichten bzw. Mixes davon. Das unterstützt den Informationsübergang z. B. bei Schichtwechsel. Auch spezielle patientenübergreifende Summary-Funktionen bzw. Sichten können für das Personal sehr hilfreich sein.
  • Implementierung von Funktionalitäten zur Verbesserung der Patientensicherheit - wo sinnvoll auf Basis der o. a. Dokumentationsfunktionalitäten.
  • Implementierung eines generischen Interoperabilitätsmoduls, denn die Extraktion von Daten aus einer Datenhaltung und die Zusammenstellung dieser Daten zu Nachrichten an andere Systeme oder Informationsobjekte wie CDA-Dokumenten, die versandt werden, lässt sich in großen Teilen generisch realisieren. Damit käme man zu attraktiveren Schnittstellenpreisen und könnte besser Vernetzungsprojekte unterstützen und fördern.

Mut zu Neuem

Eine ganze Reihe weiterer Aspekte ließe sich anführen. Wichtig scheint, dass man sowohl mit Blick auf die aktuellen Trends als auch mit Blick auf den Ausbau des eigenen Produktes zu einem starken Kompetenzprofil kommt ... und das auch hinsichtlich der Unterstützung und des Verständnisses klinischer Abläufe und Denkprozesse sowie einschlägiger Standards. Damit bringt man das Produkt aus der Ecke des „me too", in die viele Lösungen mit nur marginalen Funktonalitätsunterschieden auf Basis von Ausschreibungskatalogen und Wettbewerberanalyse abgedriftet sind.

Mut zu Innovationen und kreativen an den Bedürfnissen der Ärzte und Pflegekräfte orientierten Lösungsbausteinen ist gefragt. Auch in der Automobilindustrie sind jene Firmen inzwischen weitegehend verschwunden, die nur reaktiv gebaut haben, was der Kunde wollte. Letzterer hat jedoch keinen eigenen Machbarkeitssinn und trägt nur bedingt zu Innovationen bei. Um mit den Worten des amerikanischen Automobilbauers Henry Ford zu urteilen: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde."

 

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