Die Fallakte bekommt neuen Schub
20.03.2013 -
Pünktlich zur diesjährigen conhIT, dem Branchentreff der Healthcare IT, soll die elektronische Fallakte (EFA) 2.0 vorgestellt werden. Während die bisherigen Spezifikationen der Fallakte eher eine national proprietäre Beschreibung für Deutschland waren, soll diese auf den internationalen Spezifikationen der „Integrating the Healthcare Enterprise (IHE)" aufbauen. IHE ist eine weltweite Initiative aus Anwendern und Herstellern mit dem Ziel, den Datenaustausch zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen zu standardisieren und zu harmonisieren.
Die Umsetzung der medizinischen Prozessabläufe zwischen den Systemen und die Schaffung von Interoperabilität steht hierbei im Vordergrund. Anwender beschreiben international, was sie für ihre Arbeit benötigen, und die Hersteller definieren in Spezifikationen, welche existierenden Standards zur Umsetzung der Anwenderanforderungen wie eingesetzt werden. Für die Krankenhäuser ist dieser Schritt zunächst nur indirekt wichtig, für die IT-Unternehmen, die ihre Produkte international anbieten wollen, könnte dies allerdings viel bedeuten.
Richten sich die Unternehmen nach diesen Spezifikationen, können sie ihre Produkte auch international vertreiben. Dabei werden vor allem die hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen umgesetzt, die beim Austausch von Informationen zu einem medizinischen Fall eines Patienten über Sektor- und Einrichtungsgrenzen hinweg in Deutschland gelten. Ist dies nun ein Durchbruch für die einrichtungsübergreifende EFA?
Bereits im Frühjahr 2012 gründeten der bvitg und der Verein Elektronische FallAkte die Arbeitsgruppe „EFA on top of IHE", um eine Kommunikationsplattform für eine arztgeführte elektronische Fallakte im Markt zu entwickeln und zu etablieren. Der Verein Elektronische FallAkte, der durch Klinikvertreter und die Fraunhofer Gesellschaft in der Arbeitsgruppe vertreten ist, greift auf Erfahrungen aus der praktischen ärztlichen Routine und der Administration zurück sowie auf eine Sicherheitsarchitektur, die bereits mit den Landesdatenschutzbeauftragten abgestimmt ist. Der Bundesverband Gesundheits-IT und seine Mitglieder repräsentieren 90 % der IT-Hersteller im stationären, ambulanten und zahnmedizinischen Bereich. Beteiligt sind laut Dr. Ralf Brandner, Leitung der bvitg-Arbeitsgruppe Interoperabilität, Unternehmen wie AGFA Healthcare, CompuGroup Medical, ICW, Marabu und Siemens. In der Arbeitsgruppe sind damit neben Anbietern von Krankenhausinformationssystemen (KIS) und Praxis-Verwaltungs-Systemen (PVS) auch Hersteller von Dokumentenmanagementsystemen (DMS) und von Fallaktensystemen aktiv.
In mehreren Workshops wurden gemeinsame Fachkonzepte erarbeitet, die im nächsten Schritt ausspezifiziert und mit dem „IHE-Cookbook" harmonisiert werden sollen, um zur conhIT im April 2013 erste Früchte zu tragen. Behandelt wurden die Punkte „Harmonisierung der Informationsmodelle", „Verwaltung von Patientenidentifikationen", „Abbildung von Patientenzustimmungen" und „Vernetzung von Fallakten-Providern". Brandner berichtet: „Das Cookbook zum Thema einrichtungsübergreifende Befund- und Bildkommunikation greift das ganze Thema aktenbasierter Kommunikation auf, betrachtet aber neben der Fallakte auch weitere Aktentypen, die in Deutschland in Projekten eingesetzt werden." Er benennt z. B. die einrichtungsübergreifende Elektronische Patientenakte (eEPA) und die Persönliche Elektronische Patientenakte (PEPA).
Zukunftssicher scheint dies zumindest in Sachen Patientenrechtegesetz zu sein, schließlich werden hier aus Sicht Brandners lediglich bestehende Regelungen zusammengeführt - und diese werden in der elektronische Fallakte 2.0 berücksichtigt. Aber: „Offen bleibt weiterhin, wie sich die verschiedenen Aktentypen in Deutschland in der Fläche etablieren und wie diese künftig zusammengeführt werden können", meint Brandner, der auch an der Weiterentwicklung der Vernetzungslösungen der ICW arbeitet.
Jörg Holstein, Vorstandsmitglied des bvitg, sieht einen großen Vorteil der EFA z. B. gegenüber Zuweiserportalen der ersten Stunde. Die elektronische Fallakte könne ein Baustein von derartigen Portalen sein. Und: „Es können künftig auch Portale und Aktensysteme von verschiedenen Herstellern miteinander kommunizieren." Gerade dann, wenn mehrere Parteien mit unterschiedlichen Portalen kommunizieren, hat die einheitliche Festlegung des Standards einen Vorteil. Gerade dieser einrichtungsübergreifende Charakter macht die Entwicklung relevant und die Grenzen zur Patientenakte fließend. Der Behandlungsprozess eines Falles kann im ambulanten Bereich beginnen, über einen stationären Aufenthalt weitergehen und dann vielleicht im ambulanten Bereich oder in der Rehabilitation enden. Die gesamte Versorgungskette soll laut Holstein berücksichtigt werden. Die Information kann einrichtungsübergreifend eingestellt werden. Nicht nur die Nutzer und Patienten sollen profitieren: „Wir von der Industrie profitieren mit der neuen Spezifikation davon, dass wir eine investitionsfreundliche Landschaft bekommen. Dazu gehören natürlich Schnittstellen und Standards. Dies gibt unseren Kunden, den Krankenhäusern, aber auch den Niedergelassenen eine größere Investitionssicherheit."
Deutsche Lösungsanbieter können mit dieser Entwicklung ihre Komponenten im internationalen Markt wiederverwenden. Krankenhäuser und Praxen profitieren zudem von einer offenen Lösung, die mehr Stabilität bietet und durch den Verzicht auf Individualentwicklungen langfristig preislich attraktiver sein kann. Die Arbeit der Partner hat ausschließlich die Beschreibung der Konzepte in Form von Spezifikationen und Leitfäden im Fokus und nicht die Entwicklung eigener Software-Komponenten oder von Infrastrukturlösungen. Da die Ergebnisse offen zugänglich und frei von Lizenzrechten sind, dienen sie den betroffenen Anwendern und IT-Anbietern als Sprungbrett für eigene Lösungen. Holstein ist zuversichtlich, dass bereits zur conhIT vom Fraunhofer-Institut ein erster Prototyp der Anwendung gezeigt werden kann - „und sicherlich werden 2014 die ersten Produkte auf Basis von EFA 2.0 am Markt sein".