IT & Kommunikation

Interaktives Prozessmanagement: Auch die letzte Sekunde zählt

11.04.2012 -

Wie interaktives Prozessmanagement und die Integration mobiler Endgeräte in die Arbeit von Notdienst und Krankenhaus zu einer optimalen Versorgung von Notfallpatienten beitragen.

Wird ein Notfallpatient ins Krankenhaus eingeliefert, kommt es mitunter auf jeden Minutenbruchteil an. Die Kombination aus erfahrenem Klinikpersonal und eingespielten Abläufen stellt sicher, dass der Patient schnellstmöglich optimal versorgt wird. Allein im letzten Jahr waren rund 37.000 Verkehrsopfer auf eine schnelle Notfallversorgung angewiesen. Je früher das Klinikpersonal über Art und Schwere der Verletzung Bescheid weiß, desto besser kann es sich auf den Patienten einstellen. Durch Echtzeit-Prozessmanagement, bei dem alle nötigen Informationen digital mithilfe mobiler Endgeräte direkt vom Unfallort an das Krankenhaus übermittelt werden, lassen sich zusätzliche wertvolle Sekunden gewinnen. Oliver Hanisch von der PASS Consulting Group und Dirk Pohla von IBM geben Auskunft über Einsatzszenarien und mögliche Effizienzsteigerungen.

Sie beschäftigen sich mit Prozessmanagement in der Praxis und haben sich zuletzt mit relevanten Prozessen im Gesundheitsbereich auseinandergesetzt. Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?

Oliver Hanisch: Es gibt wohl nur wenige Bereiche, in denen sich Prozesse in langer Erfahrung derart gut eingespielt haben wie im Klinikbereich. Jeder Notfall ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Die Ersthelfer müssen schnell und richtig reagieren, der Notarzt muss sofort an den Unfallort, das Unfallopfer auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus und vieles mehr. Das greift hervorragend ineinander.

Was hier noch hinterherhinkt sind aber z.B. die kritischen Vitaldaten des Unfallopfers auf dem Weg in die Klinik, also wesentliche Informationen zu Person, Alter, Zustand oder auch Art der Verletzung. Bedingt wird dies durch oft zeitraubende Medienbrüche zwischen dem Notfallprozess und den Kliniksystemen. Allein in diesem Fall offenbart sich viel Optimierungspotential etwa durch interaktives Prozessmanagement und die Einbindung mobiler Endgeräte.

Was kann man sich unter interaktivem Prozessmanagement vorstellen?

Dirk Pohla: Interaktives Prozessmanagement beinhaltet das Erfassen, Anstoßen und Dokumentieren von Abläufen in Echtzeit. Egal ob man als Vertriebsmitarbeiter im Außendienst beim Kunden oder als Arzt an der Unfallstelle ist: Die Prozesse beginnen bereits am Ort des Geschehens. Je schneller ich den Prozess anstoße, desto größer ist der Nutzen, den ich daraus ziehen kann.

Im von Herrn Hanisch geschilderten Szenario kann dies etwa so aussehen, dass der Notarzt seine Diagnose nicht mehr auf einem Block festhält, sondern gleich via iPad. Der Vorteil besteht zum einen in der Geschwindigkeit, mit der die Daten ohne Umwege der Rettungsleitstelle und dem Krankenhaus zur Verfügung gestellt und somit alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden können. Zum anderen gewinnen die Abläufe an Effizienz, da die Informationen nicht erst in der Klinik ins System eingepflegt werden.

Das heißt, in Zukunft werden Apps Leben retten?

Oliver Hanisch: Eine App an sich rettet sicherlich keine Leben. Aber sie kann dazu beitragen, Informationen schneller demjenigen zu übermitteln, der sie benötigt. Wir haben z.B. eine Notfall-App entwickelt, in der der Nutzer alle wichtigen Daten für den Ernstfall hinterlegt. Trifft dieser ein, haben Ärzte und Notdienste, die mit einem Smart Client ausgestattet sind, schon vor Eintreffen am Unfallort alle relevanten Informationen zur Verfügung.

Dies erleichtert es auch dem Rettungsteam, alle wichtigen Daten direkt an Rettungsleitstelle und Kliniken weiterzusenden. Die App basiert dabei auf der Business Process Management Software von IBM WebSphere, um eine einfache Weiterverarbeitung zu garantieren. Denn letztlich zählt nicht die App, sondern der reibungslose, systemübergreifende Austausch von Informationen - ohne Brüche, das heißt, so schnell wie möglich.

Lässt sich dies auf weitere Prozesse im Krankenhaus übertragen?

Dirk Pohla: Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten von Echtzeit-BPM im Healthcare-Bereich. Es geht bei dem Thema ja nicht nur um Geschwindigkeit. Kliniken können auch ihre Ressourcen besser planen, die im Falle eines Notfalls verfügbar sein sollten. Sie können sehen, welche Ärzte bereitstehen, und zwar im Fall der Fälle auch krankenhausübergreifend. Die digitale Patientenakte ist von Anfang an auf dem aktuellen Stand. Die bislang benötigte Zeit, handschriftliche Notizen ins System zu übertragen, entfällt - und damit sinkt die Fehleranfälligkeit.

Durch das Echtzeit-Prozessmanagement verbessert sich der Informationsfluss, die Ereignisse werden schneller und genauer dokumentiert, die Verwaltung wird effizienter, und der Gesamtprozess ist jederzeit und überall für die Beteiligten transparent und steuerbar.

Oliver Hanisch: Ein Beispiel ist die Stationsplanung. Erhöht der Arzt bei seiner Visite die Medikamentendosis bei einem Patienten, macht er auf seinem Tablet-PC einen entsprechenden Vermerk. Die Stationsleitung ist sofort über die Änderung informiert und kann entsprechend disponieren. Wird die Ration wieder reduziert, erfolgt die Eingabe auf gleichem Wege. Die digitale Akte des Patienten ist so immer auf dem aktuellen Stand und die Behandlungen exakt dokumentiert.

Werden Kliniken die Kosten für entsprechende Systeme überhaupt realisieren können?

Oliver Hanisch: Sie werden es irgendwann müssen. Schon heute sehen sich Privatkliniken einem starken Wettbewerbsumfeld ausgesetzt. Die Qualität und Geschwindigkeit von Behandlungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Verzögert sich die Entlassung eines Patienten um einen Tag, nur weil Untersuchungsergebnisse aufgrund fehlender Einspeisung in seine Akte nicht vorliegen, wird er seinen Unmut entsprechend kundtun und die Klinik nicht weiterempfehlen.

Sobald Real-Time Management in Privatkliniken Standard ist, werden andere Kliniken folgen. Nicht zuletzt werden auch die Kassen Einfluss nehmen, deren Interesse ebenfalls darin besteht, dass Patienten so früh wie möglich entlassen werden - denn kürzere Klinikaufenthalte bedeuten geringere Kosten.

Zur Person

Dirk Pohla studierte Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Unternehmensplanung, Wirtschaftsinformatik und Marketing. Heute ist er Experte für Business Process Management und Business Rules Management und passionierter Tennisspieler und Segler. Er ist Vertriebsleiter Business Process Management bei IBM Deutschland.

Oliver Hanisch beschäftigt, wie Prozessmanagement ganz konkret in der Praxis umgesetzt werden kann. Er zieht Inspiration aus dem Networking mit Querdenkern und verbringt seine Freizeit gern beim Golfspiel.  Er ist Head of Business Development Technologies & Operations bei der PASS Consulting Group.

 

 

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