Joachim Benner im Interview zu IT-Entscheidungen im Krankenhaus
26.05.2011 -
Joachim Benner im Interview zu IT-Entscheidungen im Krankenhaus. Fachabteilungen nehmen verstärkt Einfluss auf IT-Entscheidungen: Dieser allgemeine Trend in deutschen Unternehmen macht auch vor Einrichtungen im Gesundheitssektor nicht Halt. Wie sieht diese Einflussnahme aus, welche Folgen hat sie in Kliniken und Krankenhäusern? Joachim Benner, Diplom-Volkswirt und Research Analyst beim ITK-Marktforscher IDC, hat diese Entwicklungen evaluiert; mit ihm sprach Michael Reiter.
Management & Krankenhaus: Wie gestaltet sich der Wandel insbesondere im Krankenhausumfeld? Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung?
Joachim Benner: Historisch ist das Verhältnis zwischen IT- und Fachabteilungen belastet: Die IT-Abteilung wird oftmals als Commodity bzw. als Verwalter und Betreiber der IT – statt als Business Enabler, als Partner – wahrgenommen und sie wird zu wenig in die strategischen Planungen eingebunden. Ein Grund hierfür ist, dass ITler nicht ausreichend mit den Kollegen in anderen Bereichen kommunizieren; das Verständnis füreinander ist unzureichend, die ‚Sprachen’ sind unterschiedlich. Die ITler gehen nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Kollegen aus anderen Abteilungen ein – Kommunikationsbarrieren wie Zeit, Kultur und Sprache schwächen die Position der IT-Abteilung. Hinzu kommt, dass eine wachsende Zahl von IT-Angeboten insbesondere den Informationsfluss über medizinische, pflegerische und administrative Bereiche hinweg verbessert, heute sogar unter Einbezug haus- und gruppenübergreifender Lösungen. Das Wissen über die Optimierungsmöglichkeiten der Prozesse durch solche Lösungen – Schlagworte sind hier Kostensenkung, Rationalisierung, Qualitätsverbesserung – verbreitet sich zusehends in der Branche, was den abteilungsübergreifenden Charakter der Entscheidungsfindung verstärkt. Längst ist unter diesen Umständen der Einfluss insbesondere der kaufmännischen und auch der medizinischen Leitung sehr hoch, hinzu kommt von außen der strategische politische Rahmen etwa bei der Gesundheitskarte. Fachabteilungen sind somit meist stark in IT- Projekte eingebunden und übernehmen eine aktive Rolle.
Welche weiteren Faktoren spielen eine Rolle?
Joachim Benner: Wissen aus den Fachbereichen wird auch im Bereich der IT immer wichtiger – zumal Medizintechnik und IT immer stärker zusammenwachsen. Zudem ist der Umgang mit IT inzwischen allgemein normal, die Scheu vor dem Themengebiet ist abgelegt.
Geschieht dieser Wandel unter Einbezug der Krankenhausleitung?
Joachim Benner: Zu einem höheren Grad als in anderen Wirtschaftsbereichen muss die Krankenhausleitung vom Nutzen und Mehrwert der IT-Projekte überzeugt werden.
Wie informieren sich die Nicht-ITler über Potenziale der IT für ihren Bereich?
Joachim Benner: Die Fachabteilungen sprechen zwar auch die IT-Abteilung an, holen sich jedoch ferner notwendige Informationen und Erfahrungen bei externen IT-Dienstleistern und anderen Leistungserbringern/ Referenzhäusern sowie bei IT-Anbietern und zusätzlichen externen Quellen, etwa den Medien. Die Botschaft der IT-Anbieter darf dabei nicht zu technisch sein; sie muss die Anforderungen der Fachabteilungen klar adressieren. Die Anbieter müssen deutlich aufzeigen, wo sie den Fachabteilungen die Arbeit erleichtern können – mit den Stichwörtern Prozessoptimierung, Kostensenkung, Rationalisierung von personellem Aufwand.
Wie findet die Einflussnahme konkret statt?
Joachim Benner: Die IT-Abteilung und die Fachabteilungen planen Projekte häufig gemeinsam – beispielsweise im Beschlussgremium und in Projektgruppen.
Welche Vorteile und Nachteile bringt diese „Demokratisierung“ von IT-Entscheidungen?
Joachim Benner: IT darf nicht am Bedarf der Fachabteilungen vorbei gehen, fachliches – etwa medizinisches – Wissen ist für zielgerichtete IT unerlässlich. Dieses Wissen bringen die Fachabteilungen mit. Die Verzahnung von Medizintechnik und IT wird in Zukunft immer stärker, dies ist ein triftiger Grund für die Notwendigkeit von Fachwissen. Die Konsequenz: ohne die aktive Einbindung der Fachabteilungen gibt es keinen Weg in die Zukunft IT-gestützter optimierter Prozesse, die für Leistungserbringer erfolgskritisch werden. Allerdings muss die IT-Abteilung die Kontrolle behalten, sonst besteht die Gefahr von Wildwuchs – Standardisierungspotenziale bleiben ungenutzt, Schnittstellenprobleme entstehen, die Zukunftsfähigkeit der IT-Landschaft steht in Frage; ganz wichtig ist natürlich ferner im medizinischen Umfeld das Thema Sicherheit; Fachabteilungen haben zum Teil aus IT-Sicht unrealistische Wünsche im Hinblick auf Technik, Sicherheit, Aufwand und Kosten. Hier muss die IT-Abteilung gegensteuern.
Wie lautet Ihre Aufforderung an die IT-Leiter?
Joachim Benner: Wichtig ist, dass sich die IT-Abteilung vom rein technikorientierten IT-Betreiber zum Prozessgestalter entwickelt. Dies ist in Ansätzen zu erkennen, allerdings ist dies bei der Mehrzahl der Einrichtungen noch nicht der Fall. Zudem muss die IT stärker mit dem Business zusammenwachsen. Viele IT-Leiter scheinen aber erkannt zu haben, dass die IT in Zukunft stärker in die Prozesse der Fachabteilungen integriert werden muss, um deren Aufgaben effizient lösen zu können und einen echten Mehrwert für die Krankenhäuser liefern zu können. Notwendig sind dazu auch ein enger Kontakt zum Business und eine rege Kommunikation sowie fundierte Kenntnisse der Geschäftsprozesse. Diese Kenntnisse der Geschäftsprozesse gewinnen für die alltägliche Arbeit der IT verstärkt an Bedeutung. Hierzu kann etwa die Vereinbarung von Service Level Agreements – SLAs – zwischen der IT-Abteilung und ihren internen Kunden beitragen. Zudem muss die IT-Abteilung stärker in strategische Entscheidungen der Krankenhäuser eingebunden werden. Sie hat dabei auf die Fachabteilungen zuzugehen – sie kann nicht erwarten, dass sich das Business auf die IT zu bewegt.
Ihre Aufforderung an die Krankenhausführung?
Joachim Benner: Diese Entwicklung der IT muss von der Krankenhausleitung „top down“ aktiv unterstützt/ gefordert werden. Sie muss den Informationsaustausch fördern. Ihre Personalplanung sollte darauf zielen, Fachkräfte einzustellen, zu fördern und auszubilden, die die beiden Seiten IT und Medizin verstehen. Wenn erforderlich, sollte sie externe Dienstleister mit ins Boot holen.