Dr. Willi Tillmann im Interview: Bedeutung der Labordiagnostik
04.07.2012 -
Dr. Willi Tillmann im Interview: Bedeutung der Labordiagnostik. Die Labordiagnostik steht nach Auffassung von Dr. Willi Tillmann, Siemens Medical Solutions Diagnostics, zu Unrecht häufig im Fokus der Einsparungen. Mit Daniela Sczesny für Management & Krankenhaus sprach er über den Stellenwert der Labordiagnostik, gesundheitsökonomische Aspekte und Ziele des Unternehmens.
Management & Krankenhaus: Wie schätzen Sie den Stellenwert des Diagnostik-Marktes in Deutschland ein?
Willi Tillmann: Als Vertreter der Siemens Medical Solutions Diagnostics möchte ich mich in meinen Ausführungen ausschließlich auf den Bereich der in-vitro Diagnostik beschränken. Die Bedeutung der modernen Labordiagnostik für unser Gesundheitswesen ist im Vergleich zu ihrem geringen Kostenanteil erheblich: Sie bietet eine der Voraussetzungen für die Früherkennung und rechtzeitige und optimale Behandlung von Krankheiten und ist damit von entscheidender Bedeutung für Arzt und Patient. Zwei Drittel aller medizinischen Diagnosen beruhen auf Laborbefunden – und dies alles, obwohl die Labordiagnostik einen Anteil von nur 2 % an den gesamten Gesundheitsausgaben ausmacht.
Management & Krankenhaus: Die Diagnostik erhält – im Vergleich zur Therapie – in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Willi Tillmann: In der Vergangenheit kamen die Patienten generell weniger in Kontakt mit der Diagnostik, verglichen mit der Therapie, in der ihnen von ihrem behandelnden Arzt Medikamente verschrieben wurden. Dies ändert sich nun im Rahmen der IGeL-Angebote und im Zuge der Sekundärprävention. Hier können sich die Patienten aktiv für Untersuchungen entscheiden, wozu ihnen über das Internet auf öffentlichen Informationsportalen wie z.B. www.labtestsonline.de Entscheidungshilfen angeboten werden. Bezüglich der diagnostischen Methoden beobachten wir also einen zunehmenden Informationsgrad bei den Patienten, der dank dieser Initiative des VdGH und der DGKL sicherlich weiter steigen wird.
Management & Krankenhaus: Was sind die Ursachen dafür, dass die Diagnostik „keine Lobby“ in Deutschland hat?
Willi Tillmann: Die Labordiagnostik gerät aufgrund der Transparenz ihrer Organisationsstrukturen und der entsprechenden Kosten häufig in den Fokus von Einsparmaßnahmen. Die Bedeutung der Diagnostik für die Gesamtheit des Gesundheitssystems und ihr ökonomischer Nutzen wurden in der Vergangenheit nicht oder nur ansatzweise gesehen. Auch die Erstattungssysteme blicken derzeit noch vorwiegend auf die einzelnen Bereiche Labor und Therapie, kurativ versus präventiv. Hier ist zu hoffen, dass die Gesundheitsökonomie in Zukunft einen höheren Stellenwert haben wird.
Management & Krankenhaus: Kann eine optimale diagnostische Struktur in Deutschland nicht viel Geld sparen, die derzeit in der Therapie ausgegeben wird?
Willi Tillmann: Ja, natürlich. Nehmen wir als typisches Beispiel den BNP Test als Monitoringinstrument in der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz. Dieser Test hilft bei der Therapieoptimierung, wovon einerseits natürlich der Patient profitiert, andererseits aber auch wesentliche Kosteneinsparungen durch verkürzte Liegezeiten und weniger intensivmedizinische Behandlung erreicht werden können. Ich beziehe mich hier auf entsprechende Veröffentlichungen im New England Journal of Medicine. Weiteres Beispiel: Bei frühzeitigem Einsatz von Infektions- und Sepsismarkern kann die Zeit bis zur effektiven Therapie verkürzt und damit Leben gerettet und die Behandlungsdauer reduziert werden. Generell muss für eine optimale diagnostische Struktur sichergestellt werden, dass innovative Diagnostika zeitnah den Eingang in das Gesundheitswesen finden. Dies kann nur geschehen, wenn sie auch entsprechend schnell in die Erstattungssysteme aufgenommen werden.
Management & Krankenhaus: Aufgrund der Alterspyramide wird die Zahl der Labor-Analysen in Zukunft steigen. Was bedeutet das für die zukünftige stationäre und niedergelassene Labordiagnostik? Welche Veränderungen ergeben sich daraus?
Willi Tillmann: Durch die Veränderung der Altersstruktur werden in Zukunft auch andere Krankheitsbilder eine Bedeutung erhalten, für die dann entsprechend neue und innovative Tests entwickelt werden müssen. Des Weiteren müssen die Labormediziner in den beiden von Ihnen genannten Bereichen die Prozesse effizienter gestalten, z.B. durch Automationslösungen, um dem erhöhten Probenaufkommen in kürzerer Zeit gerecht zu werden. Hierbei können wir die Labore mit entsprechenden Produkten unterstützen, die wir kontinuierlich optimieren.
Management & Krankenhaus: Welche Ziele im Bereich der Diagnostik hat Ihr Unternehmen für 2007 und die weitere Zukunft?
Willi Tillmann: Unser Fokus für 2007 liegt vorerst auf der in-vitro Diagnostik und unserem kontinuierlichen Bestreben, die „richtigen Dinge richtig zu tun“, d.h. Krankheitsbilder mit den geeigneten Tests zu diagnostizieren, die Analytik präzise daraufhin abzustimmen und sie letztendlich effizient zu gestalten. Für die Zukunft stellen wir uns als Siemens Medical Solutions darüber hinaus eine Verschmelzung von in-vitro Diagnostik und medizinischen bildgebenden Verfahren in Richtung einer individualisierten Medizin vor.