Molekulargenetische Diagnostik in der Onkologie: Zielgerichtete Therapien
30.09.2013 -
Wachsende Erkenntnisse über die molekularen Ursachen der Tumorentstehung konnten den Weg für neue Strategien in der Krebsbekämpfung durch zielgerichtete Therapien ebnen.
Bedeutung der molekulargenetischen Diagnostik in der Onkologie
Die molekulargenetische Diagnostik hat sich zu einem bedeutenden Instrument zur Charakterisierung onkologischer Erkrankungen entwickelt. Sie ist darüber hinaus ein wichtiges Element in der Entwicklung von Therapiekonzepten. Krebserkrankungen lassen sich in ihrer Heterogenität nun nicht nur im klinischen Verlauf und in der Histologie darstellen, sondern auch auf der ursächlichen, molekularen Ebene differenzieren. Eben diese Heterogenität ist es, die eine besondere Herausforderung an Diagnose und Therapie stellt.
Tumore entstehen meist aus einer Zelle (klonale Entstehung). Diese Zelle erwirbt genetische oder epigenetische Veränderungen, die zelluläre Prozesse beeinflussen, wie zum Beispiel Proliferation oder Apoptose, und ihr dadurch einen Wachstumsvorteil verschaffen. Tochterzellen dieser ersten Zelle sind in der Folge wiederum weiteren Mutationsereignissen unterworfen, bis durch die Akkumulation verschiedener genetischer Veränderungen letztendlich Tumorzellen entstehen.
Die Erforschung dieser Prozesse ermöglichte die Identifizierung genetischer Veränderungen, die für die Entstehung von Krebszellen von entscheidender Bedeutung sind. Diese Aberrationen können als Marker für den malignen Prozess dienen und zum Beispiel zur Identifikation von Patienten mit erhöhtem Krebsrisiko oder zur Einschätzung der Prognose der Krebserkrankung eingesetzt werden. Sie sind aber auch, dank der zunehmenden Erkenntnisse über die Rolle von Signalwegen bei der Krebsentstehung, Ziele von neuen selektiven und zielgerichteten Therapien (prädiktive Marker).
So ermöglicht die Charakterisierung von Tumoren auf molekularer Ebene, das Ansprechen auf bestimmte Therapieansätze vorherzusagen und diese Therapien dann zielgerichtet bei den Patienten einzusetzen, die aufgrund der genetischen Beschaffenheit ihres Tumors von ihnen profitieren.
EGFR-Signalweg
Viele prädiktive Biomarker für Tumorerkrankungen sind im Zusammenhang mit der Erforschung des EGFR-Signalwegs identifiziert worden. Epidermale Wachstumsfaktorrezeptoren (EGFR) sind Zelloberflächenrezeptoren. Sie werden durch die Bindung von extrazellulären Wachstumsfaktoren aktiviert und beeinflussen über ihre Tyrosinkinasedomäne intrazelluläre Signalwege, die Proliferation und Apoptose steuern. Bei malignen Prozessen kommt es häufig zu einer verstärkten Aktivierung dieser Signalwege durch eine Überexpression oder Überaktivierung von EGF-Rezeptoren. Der EGFR-Signalweg bietet sich daher als Ziel von selektiven Therapien an, die durch eine Unterdrückung der abnormen Signale eine Hemmung dieser malignen Prozesse bewirken sollen.
Zur Hemmung von EGFR-Signalen sind verschiedene Strategien etabliert. Anti-EGFR-Antikörper blockieren die Bindung von extrazellulären Wachstumsfaktoren an den Rezeptor. Tyrosinkinase-Inhibitoren hemmen die Aktivität der Tyrosinkinasedomäne des Rezeptors im Inneren der Zelle.
Anti-EGFR-Antikörper
Anti-EGFR-Antikörper, wie Cetuximab und Panitumumab, kommen beispielsweise beim metastasierenden Kolorektalkarzinom zum Einsatz, bei dem in 80 % der Fälle der EGF-Rezeptor überexprimiert wird. Bei der Auswahl der Patienten, die von diesen Therapien profitieren, ist jedoch zu beachten, dass mitunter Mutationen in Proteinen auftreten, die Teil der intrazellulären EGFR-aktivierten Signalwege sind. Solche Mutationen können zu einer konstitutiven Aktivierung dieser nachgeschalteten Signalproteine (vor allem KRAS und BRAF) und damit zu einer Entkopplung des Signalwegs vom EGFR-Rezeptor führen. Aktivierende Mutationen in den Genen für KRAS und BRAF resultieren daher in einer Resistenz gegen anti-EGFR-Therapien und sollten vor dem Einsatz dieser Therapien ausgeschlossen werden. KRAS-Mutationen treten bei 30-40 %, BRAF-Mutationen bei 5-10 % aller Kolorektalkarzinome auf.
Auch beim Mammakarzinom sind Antikörpertherapien etabliert. Hier findet sich bei ca. 20 % der Patientinnen eine Überexpression des HER2-Rezeptors. HER2 gehört ebenfalls zur Familie der epidermalen Wachstumsfaktorrezeptoren. HER2-positive Mammakarzinome sind mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Allerdings profitieren Patientinnen mit HER2-Überexpression von einer adjuvaten Chemotherapie in Kombination mit einer anti-HER2-Therapie. Dafür werden monoklonale anti-HER2-Antikörper, wie Trastuzumab und Pertuzumab, eingesetzt, die die Bindung von Wachstumsfaktoren an HER2 blockieren. Vielversprechende Ergebnisse zeigte in einer aktuellen Studie auch eine Weiterentwicklung des anti-HER2-Antikörpers Trastuzumab, bei der der anti-HER2-Antikörper mit einer zytotoxisch wirksamen Substanz gekoppelt wird (Trastuzumab-Emtansin). Mit Hilfe des Antikörpers soll die zytotoxische Substanz zielgenau an den Krebszellen ihre Wirkung entfalten.
Tyrosinkinase-Inhibitoren und andere Inhibitoren
Die zweite Gruppe von Wirkstoffen, die die Signale von EGF-Rezeptoren beeinflusst, sind die Tyrosinkinase-Inhibitoren. Sie wirken im Zellinneren auf die Tyrosinkinasedomäne des Rezeptors, so dass zwar noch Wachstumsfaktoren binden, aber keine Signalwege im Inneren der Zelle mehr aktiviert werden können. Tyrosinkinase-Inhibitoren werden zum Beispiel bei Brustkrebs (Lapatinib, anti-HER2-Therapie), sowie beim Lungenkarzinom eingesetzt (Erlotinib, Gefitinib).
Vor allem beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom finden sich in 10-30 % der Fälle Mutationen im EGFR-Gen, die zur konstitutiven Aktivierung der Tyrosinkinasedomäne führen. Patienten mit solchen aktivierenden Mutationen profitieren von einer Behandlung mit den Tyrosinkinase-Inhibitoren Erlotinib und Gefitinib.
Desweiteren sind Tyrosinkinase-Inhibitoren verfügbar, deren Ziel nicht EGF-Rezeptoren, sondern andere Rezeptortyrosinkinasen sind, die proliferative und apoptotische Prozesse steuern, zum Beispiel die ABL-Tyrosinkinase bei chronisch myeloischer Leukämie (Imatinib) oder die Alk-Tyrosinkinase beim Lungenkarzinom (Crizotinib). Voraussetzung für den Einsatz der Inhibitor-Therapie ist auch hier die genetische Analyse zum Nachweis der entsprechenden aktivierenden Mutationen (BCR-ABL- bzw. EML4-Alk-Translokation).
Für die Therapie des malignen Melanoms wurde ebenfalls ein zielgerichteter Inhibitor entwickelt: Vemurafenib. Voraussetzung für die Wirkung dieses Inhibitors ist die Veränderung der Aminosäure Valin 600 im BRAF-Protein, das, wie bereits erwähnt, Teil des EGFR-Signalweges ist und durch diese Mutation konstitutiv aktiviert wird. Etwa 70 % der Patienten mit malignem Melanom tragen die Mutation.
Perspektiven und neue Technologien
Die Analyse prädiktiver, genetischer Marker und der Einsatz zielgerichteter Therapien hat die progressionsfreie Überlebenszeit bei vielen Krebserkrankungen wesentlich verlängert und ist daher heute aus der Entwicklung von Behandlungskonzepten nicht mehr wegzudenken. Dennoch steht die molekulargenetische Charakterisierung von Tumoren und die daran geknüpfte Entwicklung von Medikamenten noch am Anfang. Viele Mutationen, die maligne Prozesse vorantreiben, sind noch unbekannt. Meist spielen mehrere Veränderungen in verschiedenen Signalwegen, die miteinander vernetzt sind, eine Rolle, so dass die Beeinflussung eines Signalweges durch ein Medikament nicht immer Wirkung zeigt. Wahrscheinlich müssen in vielen Fällen Biomarkerprofile erstellt und mehrere verschiedene Wirkstoffe kombiniert werden, um Erfolge zu erzielen. Solche Kombinationen werden derzeit in Studien untersucht. Hinzu kommt, dass nicht nur genetische und epigenetische Veränderungen, sondern auch Veränderungen auf RNA- und Proteinebene an der Krebsentstehung beteiligt sind. Tumore weisen auch häufig eine hohe genetische Instabilität auf und entwickeln Resistenzen gegen die angewandten Therapien. Die Entdeckung neuer Biomarker und die Entwicklung neuer Therapien schreitet jedoch voran, vor allem dank neuer Technologien, wie dem Next-Generation-Sequencing, die in Zukunft sicher wesentlich zur Beschleunigung der Entwicklung beitragen werden.
Literatur bei den Autorinnen.