Labor & Diagnostik

Neue Strategien gegen Infektionen

29.06.2014 -

Neue Strategien gegen Infektionen. Die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) ist ein Zentrum für Infektionsforschung und gehört der Helmholtz-Gemeinschaft an.
Management & Krankenhaus interviewte den Wissenschaftlichen Geschäftsführer der GBF, Prof. Dr. Rudolf Balling, über deren Positionierung.

M & K: Was sind die Forschungsschwerpunkte und warum wurde der wissenschaftliche Fokus gerade auf die Infektionskrankheiten gelegt?
R. Balling: Vor einigen Jahrzehnten glaubte man, Infektionskrankheiten seien kein Problem mehr.
Tatsächlich hielt man sie in den sechziger Jahren für prinzipiell besiegt.
Dass das eine gewaltige Fehleinschätzung war, ist heute offensichtlich: Mit AIDS und SARS – um nur zwei Beispiele zu nennen – sind seither erschreckende neue Infektionskrankheiten aufgetaucht.
Die Schlagzeilen, die die Vogelgrippe vor kurzem gemacht hat, zeigen einmal mehr: Jederzeit können Erreger ihre Eigenschaften ändern und uns plötzlich gefährlich werden; beispielsweise, indem sie vom Tier auf den Menschen übergehen.
Die Mobilität sorgt zudem dafür, dass sich Infektionen heute weit schneller verbreiten können als früher.
Dass Bakterien zunehmend resistent gegen Antibiotika werden – Stichwort MRSA – hat für Forschung und Medizin eine weitere Front eröffnet.
Wir untersuchen die grundlegenden Mechanismen von Infektionen.
Was sind die Ursachen dafür, dass manche Menschen anfällig sind für bestimmte Infektionskrankheiten, andere widerstandsfähig?
Wie dringen Erreger in unseren Körper ein, wodurch machen sie uns krank? U.s.w.
Das alles hat langfristig zum Ziel, der klinischen Medizin die Erkenntnisse zu liefern, mit denen sie im Kampf gegen Infektionskrankheiten arbeiten kann. Darüber hinaus wollen wir neue Antiinfektiva identifizieren.

M & K: Die Bekämpfung von Infektionserregern erfordert neue Strategien. Wie sehen diese Strategien aus, welche Methoden und Techniken finden Anwendung?
R. Balling: Um neue Antiinfektiva zu entwickeln, müssen wir nicht nur Infektionsprozesse, sondern alle Aspekte des Lebenszyklus von Erregern gründlich erforschen und verstehen.
Dieses Studium wird es möglich machen, neue Angriffsorte für Wirkstoffe zu erkennen. Für die Suche nach diesen Angriffspunkten gehen wir viele Wege. Wir durchforsten die Genome der Erreger nach bekannten Mustern und interessanten Eigenschaften.
Wir studieren Infektionsprozesse am Tiermodell. Wir blicken mit modernsten Imaging-Verfahren in Zellen und Organe, wir werten mit bioinformatischen Methoden die komplexen Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirtsorganismus aus und vieles mehr.

M & K: Wie wichtig ist die Entwicklung moderner Impfstoffe in der heutigen Zeit?
R. Balling: Wichtiger als je zuvor! Impfungen sind der effizienteste langfristige Gesundheitsschutz.
Wenn ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung gegen einen Erreger geimpft ist, dann kann sich die Infektion nicht mehr epidemisch ausbreiten.
Deshalb erfüllt es mich mit Sorge, dass sich viele Menschen mittlerweile nur noch ungern impfen lassen.
Es stimmt zwar, dass es bei den meisten Impfungen ein gewisses – meist sehr geringes – Risiko gibt, Impfschäden zu erleiden.
Aber wer ungeimpft bleibt und an der Infektion erkrankt, hat ein dramatisch höheres Risiko.

M & K: Welche Rolle spielt die GBF vor dem Hintergrund der Expertise in GMP an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und klinischer Entwicklung?
R. Balling: Die bloße GMP-Produktion an sich ist für uns von geringem Interesse – für die Herstellung von Produktchargen gibt es private Dienstleister, deren Aufgabe das bleiben sollte.
Die eigentliche Herausforderung für uns ist die Prozesstechnik nach GMP-Qualitätsmaßstäben: Entwicklung von geeigneten Verfahrensprotokollen für die Herstellung von Wirkstoffproben.
Die „Kochanleitung“ aus dem Labor übersetzen in einen praxistauglichen Produktions- Prozess für den industriellen Maßstab: Das ist ein sehr spezielles Know-how, das wenige Forschungseinrichtungen aufbieten können.
Jetzt nutzen wir diese einzigartige Expertise für die Infektionsforschung: In Partnerschaft mit der Industrie entwickeln wir Produktionsverfahren für kliniktaugliche Proben von potentiellen Impfstoffen und medizinisch wirksamen Substanzen.

M & K: Welche Vorteile bietet Ihr DNAChip- Labor?
R. Balling: Auch diese Technologieplattform der GBF bietet hohe Qualität, besonderes Know-how und eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten.
Die spannende Frage, die wir damit untersuchen können, lautet: Welche Gene schaltet ein Krankheitserreger an, wenn er pathogen wird?
Und welche Gene aktiviert der befallene Organismus nach der Infektion?
Das Verständnis dieser Vorgänge wird eine Quelle neuer Erkenntnisse und neuer Ansatzpunkte für die Krankheitsbekämpfung liefern.

M & K: Der Begriff der „individualisierten Medizin“ ist in aller Munde. Wie schätzen Sie die Realisierung ein? Wird dies überhaupt umsetzbar sein und in welchem zeitlichen Rahmen? Wo stehen wir derzeit?
R. Balling: Die individualisierte Medizin wird ohne Zweifel Wirklichkeit werden.
Zuerst wird sie sehr teuer sein, aber ich rechne damit, dass die steigende Nachfrage zu routinemäßigen Anwendungen und damit auf lange Sicht zu sinkenden Kosten führen wird.
Ich denke, dass wir in zehn bis 15 Jahren erste Anwendungen sehen werden. Zurzeit befinden wir uns im Stadium der Erforschung grundlegender Mechanismen.
Das Verständnis dieser Gegebenheiten ist die Voraussetzung für eine auf die Besonderheiten des Einzelnen abgestellte Medizin.

M & K: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Kliniken und Universitäten? Gibt es auch Industrie-Kooperationen?
R. Balling: Wir arbeiten mit zahlreichen Hochschulen in In- und Ausland sehr eng zusammen.
Insbesondere mit unseren benachbarten Universitäten, der TU Braunschweig, der Uni Hannover, der Tierärztlichen Hochschule Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Mit ihnen allen initiieren wir gemeinsam Forschungsprojekte, berufen gemeinsam Professoren, veranstalten Tagungen, Kongresse und Symposien.
Am weitesten gediehen ist die Kooperation mit der MHH.
Gemeinsam haben wir ein so genanntes Translationszentrum eingerichtet, ein Forschungsinstitut, in dem Grundlagenforscher und klinische Mediziner in Teams an infektionsbiologischen Fragestellungen arbeiten.
Ein besonderes Anliegen ist uns aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Industrie ist für uns natürlich besonders wichtig – schließlich bringt sie in die Anwendung, was unsere Forscher entdecken.
Die Firma Bristol MyersSquibb z.B. erprobt gerade in klinischen Tests ein Krebsmedikament, das an der GBF entdeckt wurde, das Epothilon. Und gemeinsam mit der Firma Roche arbeiten wir an Antikörpern für die Medizin.

M & K: Wie profitieren andere Länder von Ihrer Arbeit?
R. Balling: Als Beispiel für unsere guten ausländischen Kontakte kann ich meine Gastprofessur in China nennen, die Verbindungen zum renommierten französischen Pasteur- Institut, aber auch die gemeinsamen Projekte unseres Streptokokken-Experten Prof. Singh Chhatwal mit seinen Kollegen in seinem Heimatland Indien.
In verschiedenen Trainingsprogrammen bilden wir schon seit langem Doktoranden aus allen fünf Kontinenten aus.
Aber was noch weit wichtiger ist: Unsere Arbeit und ihre Ergebnisse kommen langfristig zu einem großen Teil Ländern der Dritten Welt zugute.
Denn gerade dort wüten ja Infektionskrankheiten am schlimmsten.
Wenn wir uns an einem Netzwerk zur Entwicklung eines HIVImpfstoffes beteiligen, dann wird ein Erfolg auch für Menschen in Afrika von Nutzen sein.
Und wenn wir und die MHH gemeinsam mit dem Pasteur-Institut in Frankreich und der Rockefeller University in New York einen Impfstoff für Hepatitis C entwickeln, dann profitieren auch davon die Menschen in ärmeren Gebieten unserer Erde.

Kontakt:
Prof. Dr. Rudolf Balling
Gesellschaft für Biotechnologische Forschung
D-Braunschweig
Tel.: 0531/6181-0
Fax: 0531/6181-515
info@gbf.de
www.gbf.de

 

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