Personalisierte Medizin - Ergebnisse aus der Grundlagenforschung
04.03.2011 -
Personalisierten Medizin findet Anwendung z.B. in der Prävention, Diagnostik und Therapie seelischer Erkrankungen, in der Krebs- und Diabetesbehandlung. Fast 500.000 Menschen erkranken jedes Jahr in Deutschland an Krebs - ca. die Hälfte davon stirbt daran. Ungefähr 8 Millionen Diabetiker leben in Deutschland, und jeder 10. Deutsche leidet zumindest einmal in seinem Leben an einer Depression, die so schwer ausgeprägt ist, dass sie behandelt werden müsste. Die daraus resultierenden körperlichen und seelischen Belastungen für die Betroffenen sind groß - die finanziellen Belastungen für die Volkswirtschaft nehmen immer mehr zu.
Mehrere Max-Planck-Institute (MPI) forschen an diesen wichtigen Themen. Mithilfe ihrer Forschungsarbeit treiben die Institute nicht nur Verbesserungen bei der Behandlung, sondern oft auch gänzlich neue Lösungen voran, die den Patienten neue Hoffnung geben und dabei helfen können, die Gesundheitskosten zu reduzieren.
Anwendungsfelder personalisierter Medizin
Ein wichtiges Anwendungsgebiet der personalisierten Medizin ist die Prävention, Diagnostik und Therapie seelischer Erkrankungen. Prof. Florian Holsboer vom Max- Planck-Institut für Psychiatrie in München gilt als ein Vorreiter der personalisierten Medizin im Bereich der Depression. Holsboer und seine Mitarbeiter befassen sich mit der Identifikation genetischer Faktoren von Depression und Angsterkrankungen sowie den molekularen Mechanismen, welche die Entstehung der Depression hervorrufen, und erforschen, auf welche Art und Weise dieser klinische Zustand durch Medikamente gelindert oder gar geheilt werden kann. So fanden sie eine Vielzahl von Genvarianten, die gute Vorhersagekraft besitzen, ob ein Patient auf das angewandte Medikament gut ansprechen wird oder ob besser auf ein anderes Medikament ausgewichen werden sollte. Denn bestimmte Genvarianten beeinflussen zum Beispiel die Funktion der Blut-Hirn-Schranke, wodurch Antidepressiva von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ins Gehirn gelangen, wo sie ihre Wirkung entfalten. Ein genetischer Test ermöglicht es, für den Patienten eine wirksame Depressionstherapie einzuleiten.
Auch personalisierte Krebstherapien werden an den Instituten der MPG erforscht. Herceptin ist ein herausragendes Beispiel und stellt so etwas wie den Urknall für die personalisierte Krebstherapie dar, war es doch jahrelang das einzige personalisierte Medikament auf dem Markt. Prof. Axel Ullrich, heute Direktor am MPI für Biochemie, war maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt. Durch die Unterdrückung von Wachstumssignalen im Stoffwechsel von Krebszellen mithilfe eines Anti-HER2-Antikörpers kann so gezielter als durch alleinige Chemotherapie in das Tumorwachstum eingegriffen werden. Herceptin wird seit Jahren erfolgreich zur Therapie von Brustkrebspatientinnen eingesetzt. Das Besondere: Hercep¬tin hilft bei einer speziellen Gruppe von Frauen mit Brustkrebs, die bestimmte genetische Eigenschaften aufweisen, sehr gut (bei allen anderen Brustkrebspatientinnen bleibt jede Wirkung aus). Diese Frauen tragen vermehrt das Gen HER2-neu in sich, und so lassen sich u. a. entsprechend mehr HER2-Rezeptoren im Tumorgewebe oder in Metastasen nachweisen. Bei 25% der Brustkrebspatientinnen ist dies der Fall, und nur bei diesen wird das Medikament eingesetzt.
Mit diesem Forschungsfeld, Proteomik, befasst sich in der MPG insbesondere Prof. Matthias Mann und sein Team am MPI für Biochemie in Martinsried. Mann entwickelt innovative Technologien an den äußersten Grenzen der Protein-Biochemie. Er schuf die Grundlage für die Katalogisierung aller Proteine, die in einem Zelltyp abgerufen werden, um so einen molekularen Fingerabdruck für praktisch jeden Zelltyp unseres Körpers zu erstellen. Auf diese Weise kann bereits u. a. das komplette Protein-Inventar der Langerhans-Inseln in der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren, analysiert werden und z. B. die molekularen Fingerabdrücke einer gesunden und einer erkrankten Langerhans-Insel verglichen werden. Eine neue Dimension präziser, individueller molekularer Diagnostik für die Therapie von Diabetes ist so entstanden.
Die Zukunft der personalisierten Medizin
In diesem Zusammenspiel unterschiedlichster Disziplinen sind wir auf dem Weg in die Medizin der Zukunft, die uns dabei hilft, vielleicht schon bald schwere Krankheiten sehr frühzeitig routinemäßig zu diagnostizieren und zu behandeln.
Jedoch ist ein Umdenken, insbesondere in der Pharmabranche notwendig. Herkömmliche Medikamente wird es in vielen Bereichen nicht mehr geben. Studien zeigen, dass je nach Therapie 30% bis 80% der Medikamente bei den Patienten ohne die gewünschte Wirkung bleiben. Das Schlagwort der Zukunft wird daher Companion Diagnostic oder therapiebegleitende Diagnostik lauten. Das bedeutet, dass es künftig viele „maßgeschneiderte" Medikamente mit einem dazugehörigen Test geben wird. Medikamente werden dann nicht mehr für große Bevölkerungsanteile entwickelt, sondern für klar umrissene Patientengruppen. Mithilfe eines Tests kann man für jeden Patienten das richtige Medikament in der geeigneten Dosierung zum richtigen Zeitpunkt finden - die Behandlung wird zielgerichteter und personalisierter.
In der Praxis sieht das so aus: Vor einer Therapie liefert ein Test in Form einer Erbgutanalyse ein detailliertes genetisches Profil des Tumors. So kann man u. a. sehen, welche Gene in den Tumorzellen verändert sind. Nach Identifizierung des Krebs-Genoms kann man schließlich gezielt Medikamente verabreichen. Der neue Ansatz hilft dabei, Fehlbehandlungen und Kosten im Gesundheitssektor zu reduzieren - laut einer aktuellen Marktstudie weltweit um bis zu 380 Mrd. US-$.
Darüber hinaus wird dieser Ansatz von der europäischen Zulassungsbehörde für Medikamente EMEA und der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA unterstützt. Sie werden wohl in Zukunft zwingend vorschreiben, dass viele Medikamente nur noch mit entsprechenden Tests verordnet werden dürfen. So ist dies bei Herceptin bereits heute der Fall. Inzwischen gibt es in Deutschland neben Herceptin bereits neun weitere Wirkstoffe, für die vor der Anwendung ein Test vorgeschrieben ist. Die Pharmabranche hat diese Entwicklung erkannt, und so gibt es bereits Firmen, die kein einziges Wirkstoff-Entwicklungsprojekt ohne dazugehörigen Test mehr durchführen. Die personalisierte Medizin hat das Potential, die Medizin in den kommenden Jahrzehnten zu revolutionieren. Und die Forschungsarbeiten an den Instituten der MPG zeigen, dass die biomedizinische Grundlagenforschung, deren Motor die Intuition und die Neugierde einzelner Wissenschaftler ist, einen positiven Einfluss auf diese Entwicklung haben kann.